Beethoven: Sinfonie Nr. 9 d-Moll – Nur noch ein Festtagsbraten im Konzertleben?

  • Bei Mahler hab ich Eindruck, dass seine Mucke versucht, den Jubel zu reanimieren, was m.E. am fetzigsten am Ende seiner 3. funzt

    unbedingt. aber "fetzig"? zum Glück gerade das nicht...

    die "Himmlischen Freuden" am Ende seiner 4. bilden mir dazu gleichsam fahl-düsterer Kontrapunkt ...

    weiß nicht, das Ende mit der Musik ist für mich schon ein sehr stiller Jubel, aber schon einer: daß Alles für FREUDEN erwacht.
    also voll On-Topic, mein lieber Amfortas09:

    ... ich fürchte, jetzt verkackt der Thread durch Off-Topic.. ..

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Das könnte man dann auch "entwickelnde Variation" nennen, wo am Ende was ganz anderes rauskommt, als am Anfang exponiert wurde.
    :wink:

    auch ein Final-Konzept....

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Richtig, das braucht's nicht: Man kann sich auch so lächerlich machen.

    Da stecken gleich zwei Probleme drin...
    Das erste besteht in der Annahme, daß keiner, der sowas unterfängt das Handwerkszeug dazu mitbringt, vom Talent ganz zu schweigen. Wenigstens hier. Wie gesagt: Annahme. Der Beweis ist nicht möglich: Man kann nicht beweisen, daß etwas nicht ist.
    Das zweite besteht in der impliziten Annahme, daß das Ergebnis eines solchen Versuchs "besser" oder wenigstens vergleichbar mit dem Original sein muß, damit sich der Urheber nicht lächerich macht. Nur: was ist bei Kunst "besser" und "schlechter" oder "vergleichbar"? Diese Diskussion wurde schon andernorts vergeblich geführt. Was spricht dagegen, der Mona Lisa einen Bart anzumahlen oder Boticellis "Geburt der Venus" im Stil zeitgenössischer Desous-Reklame umzugestalen? Das Ergebnis ist sicher "anders" als das Original, aber nicht notwedigerweise von minorer Qualität. Und sogar wenn es von minderer Qualität wäre (Kernfrage: nach welchen Kriterien misst man die überhaupt?), wäre jeder Versuch als solcher statthaft. Das ist ein zentrales Paradigma europäischer Kunstauffassung. Im übrigen hat Süßmayr Mozarts Requiem fertiggeschrieben und instrumentiert. Kennt jemand sonst noch was von ihm? Auf dem Requiem steht Mozart.... Und von Mozart gibt es eine Verbesserung von Händels Messiah. Und von mehreren Leuten eine Verbesserung von Pergolesis Serva padrona. Und Busoni hat Bach verbessert... Bach!!

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • unbedingt. aber "fetzig"? zum Glück gerade das nicht...

    ich erlaube mir, aus einem früheren Beitrag zur Amfortesisch-Forschung zu zitieren

    M.E. bezieht sich "fetzig", "Fetzigkeitslevel", generell auf das Beeindrucktsein eines Hörers, so kann es im Amfortesischen heißen "hat ihm vermutlich geringeren Fetzigkeits-Level". Auch können zarteste Gebilde "fetzig rüberkommen", z.B. Webern op. 5. Damit ist natürlich noch keine Übersetzung geliefert, scheint mir ausgesprochen schwer, denn es scheint gerade der mögliche Widerspruch zwischen dem Assoziationraum von fetzig und der tatsächlichen Verwendung zur Sache zu gehören.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • "fetzig"* ist für mich ein Finale wie das von Brahms´ 2ter.
    was auch besonders unproblematisch funzt, weil es kein zu überwindendes Drama gab, das eine Auflösung erwarten läßt.

    *kann ja jeder benutzen, wie er will, und mit der Diskrepanz zum üblichen Sprachgebrauch auch etwas ausdrücken - für mich ist fetzig fetzig und still still.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Wenn ich mich richtig erinnere, gab es da drei Phasen:
    1) Beethoven, 9. Symphonie, 4. Satz bis zum Choreinsatz
    2) Schönberg; Ein Überlebender aus Warschau
    3) Beethoven, 9. Symphonie komplett 1.-4. Satz

    Dabei war ich nicht, und ob ich das "einfältig" gefunden hätte, weiß ich nicht. Da hätte ich das schon miterleben müssen...

    :wink:

    leider verstehe ich gar nicht, was mit diesen "Phasen" gemeint ist.
    wurde in einem Konzert Beethoven IX praktisch 2x aufgeführt, das 1. mal mit Austausch des vokalen Teils von IX,4 durch Schönberg, dann nochmal die gesamte IX in gewohnter Form?

    Könntest du kurz nochmal erklären? danke!

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
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  • "philologische" Info zu Beethoven IX,4 falls nicht bekannt:

    in Skizzen hatte Beethoven die jetzt instrumentalen Rezitative zwischen den Reminiszenen an die Sätze 1 - 3 mit Text versehen. Das hatte (verkürzt) ungefähr so ausgesehen:


    entnommen Gustav Nottebohm, Zweite Beethoveniana, 1887, S. 189ff.
    https://ia800700.us.archive.org/24/items/imslp…9-Beethoven.pdf

    Beethoven hat da also als "nicht diese Töne" die drei ersten Sätze gemeint. muß natürl. nicht heißen, daß man das auf die endgültge Fass. übertragen kann.

    und was ist die Schreckensfanfare? gehört die auch zu den zurückgewiesenen Tönen? oder ist sie das Zurückweisen in quasi revolutionärer Version? was "die Vergangenheit" verjagen soll, nicht etwas wovor man erschrecken soll?

    ist das nicht eher ein utopisch-affirmativer Jubel?

    (heute würde man etwas heruntergekommen sagen: Zweckoptimismus - die Freude soll die Zustände herstellen, die sie dann im Nachhinein rechtfertigen...)


    in letzterm Fall hätte die Freude doch einen Vorkämpfer.

    edit
    ich ziehe diese Erwägung gleich wieder zurück. Würde dem 1. Rez. nein diese erinnern an unsre Verzeifl. die Schreckensfanfare vorausgegangen sein, gehörte auch diese zu den zurückgewiesenen Tönen. ginge doch ganz gut auf, auch in der Endfass., u. philmus hätte Recht

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  • leider verstehe ich gar nicht, was mit diesen "Phasen" gemeint ist.wurde in einem Konzert Beethoven IX praktisch 2x aufgeführt, das 1. mal mit Austausch des vokalen Teils von IX,4 durch Schönberg, dann nochmal die gesamte IX in gewohnter Form?

    Könntest du kurz nochmal erklären? danke!

    Klar: Zunächst nur der 4. Satz der 9. bis zum Choreinsatz ("Freude schöner..."), dann der Schönberg und schließlich die ganze Neunte von vorn bis hinten. Jetzt besser?

    :)

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Klar: Zunächst nur der 4. Satz der 9. bis zum Choreinsatz ("Freude schöner..."), dann der Schönberg und schließlich die ganze Neunte von vorn bis hinten. Jetzt besser?

    ja klar, steht da auch eigentlich ...

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    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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  • Wie ich gerade sehe, habe ich mich möglicherweise geirrt und Gielen hat den Schönberg zwischen 3. und 4. Satz der Neunten eingeschoben, vgl. http://www.schattenblick.de/infopool/musik…n/mufhi129.html.

    Wie es genau war, müßte sich im Netz herausfinden lassen, etwa mit den Stichworten "gielen schönberg überlebender beethoven 9" bei Google.

    :wink:

    PS: "In Frankfurt machte Gielen auch den Aufsehen erregenden Versuch, Beethovens Neunte aus der Perspektive einer Dialektik der Aufklärung zu deuten, indem er Schönbergs "Überlebenden aus Warschau" in den Beginn des Chorfinales hinein montierte. Beethovens optimistische Freudenhymne, die durch Krieg und Holocaust im 20. Jahrhundert nicht mehr glaubhaft klang, wurde durch Schönbergs erschütternden musikalischen Erlebnisbericht neu beleuchtet." (http://www.beckmesser.de/interpreten/gielen.html)

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • "O Freunde, nicht diese Töne etc. " als Antwort auf "Ein Überlebender aus Warschau" würde auf mich etwas zynisch wirken...

    Ein Problem ist, dass "potentiell totalitär" nichts mehr bedeutet. Je nachdem wie Adorno oder ein Post-Adornianer drauf sind, ist ALLES so charakterisierbar.
    Das mag je nach Kontext ja vielleicht sogar plausibel sein, aber was auf alles zutrifft, büßt jegliche Unterscheidungskraft ein.

    Durch einen Einschub eines ganz unpassenden Stückes wie dem Schönberg, ganz gleich ob nach dem 3. oder innerhalb des 4. Satzes wird jedenfalls der Eindruck der "Schreckensfanfare" nach dem langsamen Satz stark geschwächt bzw. das gesamte "Vorspiel" mit der nunmehr nur instrumentalen Zurückweisung der Satzfragmente relativ sinnlos. Es ist also keineswegs eine bloße Gegenüberstellung zweier Stücke, sondern die Dramaturgie der Symphonie wird empfindlich gestört. (Das wäre natürlich mit jedem anderen Stück wahrscheinlich auch der Fall, nur ist der Survivor eben ein grellerer Fremdkörper als bspw. ein anderes Stück Beethovens es wäre.)

    Ich halte es für grundlegend verfehlt, die 9. Sinfonie unter der Perspektive der "zu spät gekommenen" Sinfonien Mahlers (oder selbst Brahms') zu betrachten.
    Im Grunde hat Beethoven selber sowohl den engen Zusammenhang eines Werks (oft mit dem Finale als Höhepunkt) als auch den "per aspera ad astra"-Spezialfall davon überhaupt erst etabliert. (Bei Haydn hat man vereinzelt satzübergreifende Zitate, etwa in der Sinfonie #46, aber eher spielerisch; in Mozarts Jupitersinfonie das Finale als Höhepunkt, aber das ist auch ein Einzelfall und nicht die Auflösung eines das gesamte Werk umfassenden dramatischen Konflikts.) Und es ist sogar bei Beethoven noch eine Ausnahme. Frühe "heroische" Werke wie die "Pathetique" oder op.10/1 + 3 schließen noch mit eher spielerisch-brillanten Finalsätzen, die von einer "poetischen" Warte aus zu leicht gegenüber den vorhergehenden Kopf- bzw. Adagio-Sätzen wirken. Von den Sinfonien sind nur die 5. und 9. emphatisch auf ihre Finali angelegt. D.h. nichts von dem, was uns an diesen Werken fast 200 Jahre später so vorkommen mag, war 1805-1830 ein abgedroschenes Klischee, im Gegenteil.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Und Busoni hat Bach verbessert... Bach!!

    Busoni!! Und nicht irgendein Internetforist, der Beethoven verbessern oder Opern inszenieren zu können glaubt. Aber es soll ja auch Leute geben, die auf die Frage "Können Sie Geige spielen?" antworten "Das weiß ich nicht, ich habe es noch nie probiert." Vielleicht tummeln sich hier also lauter versteckte Genies: Ich gebe zu, dass das nicht unmöglich ist.

  • der Beethoven verbessern oder Opern inszenieren zu können glaubt.

    das ist viel zu hoch gehängt, niemand will dies und niemand glaubt das. Das sind auch Formen, sich mit denm Werk auseinander zu setzen.

    Vor Jahrzehnten, als es das noch kaum gab, hatte ich auch den Wunsch, mal den ersten Satz der Eroica im Tempo 1/2. = 60 zu hören. Etwas locker "wenn ich dirigent wäre, würde ich das mit 1/2. = 60 dirigieren". Ernannte ich mich damit etwa zum Dirigenten?

    edit
    so ein Wunsch liegt halt auf einer allgemeineren Ebene als die konkrete Kritik einer bestimmten Aufführung. Aber natürlich ebenso auch jedem Laien legitim.

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    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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  • Das schnellere Tempo für Eroica,i war aber erstens ein sehr konkreter Vorschlag und zweitens auch ein philologisch gestützter. Das ist schon was anderes als vage Kritik oder irgendwas noch vageres als Alternative zusammenzufantasieren.

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    (B. Pascal)

  • Das schnellere Tempo für Eroica,i war aber erstens ein sehr konkreter Vorschlag und zweitens auch ein philologisch gestützter. Das ist schon was anderes als vage Kritik oder irgendwas noch vageres als Alternative zusammenzufantasieren.

    ok, ein solches Beispiel lag mir halt näher als eine Operninszenierung.

    Aber bei letzteren dort könnten ja auch Alternatvideen wieder verbal u.U. recht konkret formuliert werden können, was bei der Interpretation schnell ungeheuer kompliziert würde (Idee der "Interpretationsanalyse").

    edit
    ach so, ist hier ja der Beethovenfaden, nicht der für alternative Operninszenierungsideen.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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  • das ist viel zu hoch gehängt, niemand will dies und niemand glaubt das. Das sind auch Formen, sich mit denm Werk auseinander zu setzen.

    Richtig!! :cincinbier:

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Das schnellere Tempo für Eroica,i war aber erstens ein sehr konkreter Vorschlag und zweitens auch ein philologisch gestützter.

    Hat aber viele Dirigenten nicht daran gehindert, sich nicht daran zu halten und Talsma & Co haben die Angabe sogar so interpretiert, daß es nach heutiger Lesart nur eine punktierte Halbe auf zwei Sekunden statt auf einer wäre...
    Insofern kann ich Zabkis experimentellen Ansatz durchaus nachvollziehen. Musik hat was mit Erfahrung zu tun. experiri - in Erfahrung bringen, ausprobieren...

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Durch einen Einschub eines ganz unpassenden Stückes wie dem Schönberg, ganz gleich ob nach dem 3. oder innerhalb des 4. Satzes wird jedenfalls der Eindruck der "Schreckensfanfare" nach dem langsamen Satz stark geschwächt bzw. das gesamte "Vorspiel" mit der nunmehr nur instrumentalen Zurückweisung der Satzfragmente relativ sinnlos. Es ist also keineswegs eine bloße Gegenüberstellung zweier Stücke, sondern die Dramaturgie der Symphonie wird empfindlich gestört. (Das wäre natürlich mit jedem anderen Stück wahrscheinlich auch der Fall, nur ist der Survivor eben ein grellerer Fremdkörper als bspw. ein anderes Stück Beethovens es wäre.)

    Möglicherweise war genau das gewollt: Störung der symphonischen Dramaturgie und der Survivor als greller Fremdkörper - eine Provokation. Als Modell dürfte das kaum geeignet sein, denn der Nächste, der so etwas unternähme, evt. mit einem anderen Einschub, wäre bloß der Wiederholer und die Provokation wäre keine mehr.

    Vielleicht finde ich ja noch eine Quelle, aus der hervorgeht, was konkret der Kontext der Gielenschen Kollage war. Evt. ein Gedenktag, das mit dem Faschismus zu tun hat? Oder aktuelle politische Ereignisse, die eine solche Provokation plausibel machen?

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • a) Gielens Aufführungen am 24. und 25. September 1978 standen nicht mit Gedenktagen in Verbindung, reagierten auch nicht unmittelbar auf aktuelle Ereignisse. Es waren zwei ganz "normale", schon viele Monate vorher programmierte Abokonzerte der Frankfurter Museumsgesellschaft, die die Saison eröffneten.

    b) Sowohl aus Gielens Autobiographie "Unbedingt Musik" wie aus der FAZ-Rezension von Dietmar Polaczek (27.9.78) geht die genaue Programmierung der Konzerte hervor: zunächst das Adagio der Neunten, dann Schönbergs A Survivor from Warsaw, dann unter Auslassung der ersten 215 Takte des Finales gleich das Baritonrezitativ "O Freunde, nicht diese Töne" bis zum Ende des Rezitativs. Dann Pause. Dann die vollständige Neunte ohne collagierte Elemente.

    c) Über die Motivation zu dieser Montage gibt Gielen in seiner Autobiographie auf S. 210ff. Auskunft.

    d) Der FAZ-Rezensent Dietmar Polaczek hat es keineswegs bedauert oder sich darüber mokiert, dass Gielen nicht geköpft wurde. Er übt im einzelnen Kritik an der Ausführung, steht der Konzeption des Konzerts aber mit Interesse, wenn nicht sogar Sympathie gegenüber. Am Schluss bemerkt er mit einem Seitenhieb gegen konservative Kreise im Publikum, dass man früher die Überbringer schlechter Nachrichten geköpft hätte, dass Gielen aber mit einem kühlen Applaus davongekommen sei.

    e) Die verschiedenartige Kombination von Schönbergs und Beethovens Werk ist seitdem oft verwirklicht worden, m.W. zuletzt im Silvesterkonzert des Berliner RSO 2017, bei dem Vladimir Jurowski den Schönberg zwischen den dritten und vierten Satz der Neunten einschob. Gielen selbst schreibt (S. 212 von "Unbedingt Musik"), er habe nach 1978 - "um den Schock zu mildern" - den Überlebenden vor der neunten Sinfonie aufgeführt: "und das ist oft nachgemacht worden". Die Idee einer Kombination von Schönbergs A Survivor from Warsaw mit Beethovens Neunter ist aber schon vor 1978 verwirklicht worden - z.B. auf einer 1969 erschienen RCA-LP, bei der Erich Leinsdorf das Boston Symphony Orchestra dirigiert. Auch hier wurde Schönbergs Werk demjenigen von Beethoven vorangestellt:

    :wink:

    .

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