Zu viel Abwechslung, um ein Werk kennenzulernen

  • Wer lernt ein Werk besser kennen? Derjenige, der nur dieses Werk und immer wieder nur dieses eine Werk (in dieser einen Aufnahme) hört oder derjenige, der verschiedene Werke hört, darunter eben auch dieses, um dem es gerade geht?

    Hi Knulp,
    nein, darum wer besser ist, geht es mir wirklich gar nicht. Aber um die Frage, was ist für mich leichter oder passender. Gerade jetzt am Anfang. Ich denke in zwanzig Jahren ist meine Frage für mich auch obsolet.


    Hallo Friese,

    Ich kenne Deine Situation all zu gut. Ich denke, es kommt auf die persönlichen Ausprägungen an: Manche fühlen sich in einer Riesensammlung wohl, andere wollen es überschaubar halten und die Aufnahmen, die sie besitzen, wirklich gut kennen und die verbliebenen Aufnahmen sind vielleicht auch das Eregebnis eines (längeren) Selektionsprozeßes. Manche wollen auch, dass ihre Sammlung eine Art Archivcharakter hat (zB alle/viele berühmte Einspielungen eines Werkes, alle Werke eines oder mehrerer Komponisten). Andere wollen eine Sammlung in einem Umfang, dass sie die Aufnahmen auch regelmäßig hören können. Das muss sich entwickeln. Ich schätze jedenfalls mittlerweile eine überschaubare Sammlung mit Werken, die ich auch wirklich regelmäßig hören kann (Motto 3M: Meisterwerke in Meisterinterpretationen (wenn möglich) in Meisteraufnahmen). Dem gemäß habe ich auch vor einiger Zeit begonnen großzügig auszumisten und über momox und rebuy zu verkaufen. Bis jetzt hat mich noch kein einziger Verkauf geräut, im Gegenteil, ich habe mir Folgendes gedacht: hätte ich doch bloß früher angefangen damit.

    Beste Grüße

    Gerhard

    Hallo Gerhard,

    Ja, wahrscheinlich hast du Recht, das muss sich entwickeln. Und wahrscheinlich braucht das Ganze auch Zeit. (Geduld ist aber nicht meine große Stärke ;-))

    Mal gucken, vielleicht bin ich ja schon auf dem, für mich, richtigen Weg. Es fühlt sich für mich gerade sehr gut an. Und ich habe mich in den letzten Tagen manchmal gefragt, warum ich eigentlich den einen oder anderen Komponisten gekauft habe. Diesen lexikalischen Gedanken habe ich eigentlich gar nicht.

    Aber wenn ich im Radio ein altes Beatles Lied höre, und direkt mit singen kann. Und natürlich auch weiß wer gerade welche Zeile singt und was zum Hintergrund kenne ... dann begeistert mich das. Das ist ein tolles Gefühl. Und das hat mich halt zum Nachdenken gebracht. :) Vielen Dank auch dir, für deine Gedanken.

    Viele Grüße, Michael

  • Es geht mir auch nicht darum, wer besser ist, sondern wie man ein Werk besser kennenlernt. Meine Frage sollte darauf hinweise, dass dies von den gegebenen Umständen abhängig ist. Wenn jemand die klassische Musik im weiten Sinne neu kennenlernt, scheint mir ein auch nur flüchtiges Hören verschiedener Werke zum Kennenlernen der musikalischen Sprache weitaus sinnvoller als das beständig wiederholte Hören desselben Werks in derselben Interpretation. Besonderheiten erschließen sich nur bei Kenntnis des normalen. Wer nur Beethovens Neunte hört, mag meinen, ein Chor gehöre zur Sinfonie dazu usw.

    Einem Klassikhörer seit Jahrzehnten stellt sich deine Frage ganz anders. Bei ihm zeigen sich die üblichen Sammlerauswüchse: Sammeln um des Sammelns willen. Mehr Haben als Sein. Das wurde oben mehrfach angesprochen.

  • Wer lernt ein Werk besser kennen? Derjenige, der nur dieses Werk und immer wieder nur dieses eine Werk (in dieser einen Aufnahme) hört oder derjenige, der verschiedene Werke hört, darunter eben auch dieses, um dem es gerade geht?

    Das ist eine gute Frage. Die Kenntnis des zeitlichen und räumlichen Normalnulls ist sicher hilfreich, um die Eigenheiten eines Werkes als solche zu erkennen. Aber dann geht es doch nur am Werk selbst weiter, oder?

    Die Londoner Sinfonien Haydns und Beethovens erste beide sind hilfreich, um die neue Dimension der Eroica zu erkennen. Dazu genügt auch eine oberflächliche Untersuchung des Werkes. Aber der weitere Weg führt doch durch die Partitur - und meinetwegen so diametrale Aufnahme wie Klemperers Studioaufnahme und Järvis Video-Livemitschitt.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Anfang des Jahres habe ich dann in einem Anfall von Wahnsinn radikal aussortiert. Ich nutze ein NAS, da ist das natürlich recht leicht möglich. Jetzt habe ich es soweit reduziert,dass ich nur noch 12 Komponisten habe. Und pro Werk gibt es maximal 3 Interpretationen. Werke die mir nicht wirklich gefallen habe ich rausgeschmissen.

    Hallo Friese,

    gerade bei Dir als Klassik-Neuling, ist das total nicht der ideale Weg Werke/Komponisten auszusortieren, die Dir derzeit nicht gefallen.
    Woher willst Du wissen, ob sich bei Dir nach erfolgreichem Kennenlernen des Umfeldes einer dieser Komponisten dieser oder jener dann doch gut gefällt ?

    Ich hatte zuerst als Jugendlicher auch wenig Zugang zu Bartok (das lag aber auch an der KK-GA mit Anda (DG, damals auf LP). Als ich dann später das KK für 2Klaviere, Schlagzeug und Orchester mit Bernstein hörte war ich "hin und weg". :alte1: Heute gehört Bartok zu meinen drei Lieblingskomponisten !


    ;) ;( Aber gut ... bei Dir gibt es ja ohnehin EXTRAS, die man nicht verstehen und teilen muss, wie das Thema bei Dir "Nur Aufnahmen ab 2000":
    Aussortiert werden bei mir nur langweilige Interpretationen von Werken, die ich in ungleich spannenderen Aufnahmen habe ...

    ______________

    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • wenn ich das hier so lese, frag' ich mich grad', wie jemand vor 50 oder 60 Jahren überhaupt zum Klassikkenner werden konnte (Eine LP hat Anfang der 60er ungefähr ein Fünftel eines Facharbeiter-Wochenlohns gekostet, von den raren Gesamtaufnahmen wollen wir da gar nicht reden)...

    ...und vor 100 oder mehr Jahren kann es de facto keine Klassikkenner gegeben haben (da hat's ja noch nicht mal Radio gegeben!)...

    ...ohne hunderte oder gar tausende von Tonträgern und Dutzenden Aufnahmen von ein und dem selben Werk plus wohlfeilem Zugang zu Streaming-Diensten...

    Also, so einer wie Adorno, geboren 1903, oder Karl Haas, 1928 (Adventures in good Music, wer's noch kennt), der konnte doch eigentlich von Klassik gar nichts verstehen, ohne Spotify, YT und einem Lagerproblem für Tonträger, oder..?
    ?( ?( ?(

    Also, mich beschleicht der Verdacht, daß einige beim Erwerb von einschlägiger Expertise irgendwas falsch machen. Oder den falschen Anspruch haben, whatever, weil: Um nackten Konsum gehts doch nicht? Oder vielleicht doch...?
    ;)

    Um etwas zu verstehen, ist es weder eine hinreichende noch eine notwendige Bedingung, daß man ein halbes Dutzend oder mehr Leute fragt, wie SIE es verstehen. Das kann vielleicht hilfreich sein, ja. Muss aber nicht, kann auch verwirren. Oder es ist Zeitverschwendung wegen Redundanz. In der Schule erklären ja auch nicht ein halbes Dutzend Lehrer den selben Stoff nacheinander ein halbes Dutzend mal. Aber bei musikalischen Interpreten? Ich kenne Leute, die haben meterweise Tonträger, aber wenn man nachfragt, keine Expertise, die über das hinausgeht, was vorne auf dem Cover steht.
    OK: Ich gebe zu, daß "Interpretationen im Vergleich" eine interessante Beschäftigung sein kann. Aber das ist nicht die Voraussetzung zum Verständnis klassischer Musik. "Sammeln" hat einen anderen Focus als "Lernen"...
    :cincinbier:
    Grüße vom advocatus diaboli


    sorry wegen des penetrant erhobenen Zeigefingers, aber mit weniger hab' ich's nicht hinbekommen. Will niemand damit nahetreten.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • wenn ich das hier so lese, frag' ich mich grad', wie jemand vor 50 oder 60 Jahren überhaupt zum Klassikkenner werden konnte

    In meinem Fall (wurde vor über 50 Jahren zwar nicht zum Klassikkenner, wohl aber zum Klassikliebhaber): Radio und Tonbandgerät.

    :alter1:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Jemand wie Adorno hatte seit früher Kindheit keinen Mangel an Zugang zu Klavier, Musikausbildung und Notenmaterial. Der ist nun gewiss kein gutes Beispiel für Verwunderung darüber, wie jemand in der prämassenmedialen "Wüste" zum Kenner werden konnte.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Also, so einer wie Adorno, geboren 1903, oder Karl Haas, 1928 (Adventures in good Music, wer's noch kennt), der konnte doch eigentlich von Klassik gar nichts verstehen, ohne Spotify, YT und einem Lagerproblem für Tonträger, oder..?

    Professionell Musik im Elternhaus, praktisch allabendlich ins Konzert, bei sicherlich eingeschränkterem Repertoire an Werken, da war auch viel "Interpretationsvergleich" dabei.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Hallo Michael! So ganz verstehe ich den Thread eigentlich nicht. Ich meine, ich freue mich natürlich, dass Du die Aufnahmen nicht wegwirfst, das würde ich nämlich sehr bedauern! Hör' einfach, was Dir Freude macht, und vergiss nicht, ab und zu mal neue Pfade einzuschlagen und Dich auf was Neues einzulassen. Deine Meinung bilden kannst Du Dir ja nachher auch noch immer! :D

    Jetzt habe ich es soweit reduziert,dass ich nur noch 12 Komponisten habe.

    Welche Komponisten sind das denn, wenn man fragen darf?

    Aber lange Rede kurzer Sinn, mich würde einfach mal interessieren, ob das nur mir so ging, oder ob andere das auch kennen, zu schnell, zu viel Musik, Aufnahmen, Interpretationen undwenn ja, wie seid ihr damit umgegangen?

    Nein, kenne ich überhaupt nicht.

    Warum beschränkst du dich nicht gleich auf ein einziges ultimatives Werk, um es bis ins letzte kennen zu lernen? Dann hättest du genug Zeit, Erkenntnis und Verständnis zu vertiefen.

    Ähm, ist das ein ernstgemeinter Vorschlag?? Erstens geht der Vorschlag von der irrigen Annahme aus, man könne ein Werk wirklich "bis ins letzte" kennenlernen, und zweitens ist das gerade dann vollkommen unmöglich, wenn man das Werk isoliert betrachtet anstatt es in einen gewissen Kontext setzen zu können. Also bitte das NICHT machen, was lothar da vorgeschlagen hat!
    Ein sehr weises Mitglied, dessen Fernbleiben ich bedaure, hat lange vor meiner akiven Capriccio-Zeit etwas geschrieben, was auch jetzt passt:

    Dein ausgeprägter Hang zur Autopsie, lieber Merkatz, wird Dir letztendlich die Erkenntnis einbringen, dass Du , bei aller Akribie, das Geheimnis um ein Meisterwerk nie lüften wirst. Und das ist gut so !

    wenn ich das hier so lese, frag' ich mich grad', wie jemand vor 50 oder 60 Jahren überhaupt zum Klassikkenner werden konnte (Eine LP hat Anfang der 60er ungefähr ein Fünftel eines Facharbeiter-Wochenlohns gekostet, von den raren Gesamtaufnahmen wollen wir da gar nicht reden)...

    Radio, Hausmusik und vor allem LIVE am Stehplatz in der Oper / im Konzert. In Wien war das damals locker erschwinglich.
    Zu den Preisen ein interessanter Link!
    zum Beispiel: am 17. Mai 1993: Staatsopern-Stehplatz (Götterdämmerung) um 15 Schilling - also ca. 1 Euro!

    Aber es stimmt schon, dass das Musikprogramm vor nicht allzulanger Zeit noch total langweilig war und interessante Komponisten praktisch nicht vorkamen.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Hallo zusammen,

    Bustopher schrieb:
    Um etwas zu verstehen, ist es weder eine hinreichende noch eine notwendige Bedingung, daß man ein halbes Dutzend oder mehr Leute fragt, wie SIE es verstehen. Das kann vielleicht hilfreich sein, ja. Muss aber nicht, kann auch verwirren.

    Du hast recht und ich war mir am Anfang auch unsicher, was daraus werdeb wird, aber mittlerweile finde ich es spannend und sehr interessant, was hier gepostet wird. Und die vielen untterschiedlichen Meinungen helfen mir dabei meinen eigenen Weg zu fiinden. Einige waren auch wirklich sehr hilfreich. Es zeigt auch, wie unterschiedlich wir alle an die Sache heran gehen.

    Welche Komponisten sind das denn, wenn man fragen darf?

    ja, dass kann ich dir verraten. Beethoven, Brahms, Fagerlund, Hartmmann, Hindemith, Ligeti, Mahler, Mendelssohn, Prokofjew, Schubert, Strauss, R., Vasks
    Das kann sich aber bei Gelegenheit auch wieder ändern, die Liste ist nicht in Stein gemeißelt. Z.B. habe ich vor kurzem Bartok rausgeschmissen und dafür Vasks reingenommen. Im Moment ist das für mich eine schöne Liste, bei der ich auch genügend Abwechslung habe. Und wie gesagt, die aussortierten sind ja nur auf der Festplatte vergraben, nicht im Garten. ;)

    Aber gut ... bei Dir gibt es ja ohnehin EXTRAS, die man nicht verstehen und teilen muss, wie das Thema bei Dir "Nur Aufnahmen ab 2000":

    ja, ich schaffe das gut, oder? ;)

    Viele Grüße, Michael

  • Man kann ganz banale Dinge auch unnötig verkomplizieren... Die ersten 10-15 Sinfonien, die ich gehört habe, waren vermutlich in etwa Tschaikowskijs 5. und 6., Dvoraks 9. Haydns 94 und 101 oder 103, Beethovens 3, 6 und 9, Schubert 5 und 8 und ein paar von Mozart. Naiv, hauptsächlich mit ein paar Anmerkungen vom Plattencover oder evtl. einem alten Konzertführer ausgestattet, war für mich meiner Erinnerung nach völlig zweitrangig, dass die Pathetique mit einem langsamen Satz endet (außer dass ich den manchmal weggelassen habe...) oder dass die Eroica deutlich länger und "ernster" ist als Haydns Nr. 94. Man kann sich hier erstmal ganz unproblematisch von Neigungen und den bekanntesten Werken leiten lassen und dann eben mit ähnlichen Sachen weitermachen, entweder vom selben Komponisten oder aus der gleichen Epoche etc. Bei einigen einführenden Reihen (zB Große Komponisten und ihre Musik und auch beim BBC magazine) gab es für jedes enthaltene/vorgestellte Werk 3-5 Empfehlungen zum "Weiterhören".

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Kaplan war ein Beispiel für jemanden, der praktisch nur ein einziges Werk (Mahlers 2. ) bis ins letzte Detail erforschte und letzten Endes für seine Kenntnisse bezüglich dieses Werkes auch berühmt wurde.
    Ob man das als Vorbild nehmen möchte ist Temperamentsache, mir wärs Zuwenig. Aber ….

  • Ich möchte noch einen Gedanken vom Kater aufgreifen. Wir können heute doch auf mindestens 400 Jahre Musikgeschichte zurückgreifen. Immer gab es Komponisten, die Werke schrieben die wir mit einer gewissen Ehrfurcht bewundern. Wann man anfängt und womit, das ist eher Zufall. Wenn die Musik uns anspricht, hören wir es immer wieder. Alles zu kennen ist ein fast aussichtsloses Unterfangen (Wer kennt schon Telemann vollständig :D ) .
    Und ja, der Klassikliebhaber meiner Jugendzeit hatte einen gewissen Kanon im Plattenschrank, und der war aus den unterschiedlichsten Gründen heraus überschaubar. Vielleicht von Bach die Brandenburgischen Konzerte, ein Album mit Orgelmusik, das Weihnachtsoratorium, Händels Wasser-/Feuerwerksmusik auf einer Scheibe, ein paar der späten Haydn Sinfonien, das Kaiserquartett (staatstragend :P ) etwas Mozart, einen Schuber mit Beethovensinfonien ( auch damals schon komplett alle neune) Schuberts 8./9. Sinfonie (wurden später umgetauft), Rosamunde, Tod und das Mädchen, Mendelssohn Sommernachtstraum und die Italienische, Brahms und Schumann, Bruckners Romantische und dann/danach wurds schwierig...

    Heute kann doch jeder auf yt die Musik kostenlos kennenlernen, selbst abgelegenste Bereiche. Das Problem ist doch eher, die Orientierung zu behalten und das Zeitbudget nicht zu überziehen. Es gibt in der Regel ja auch ein leben außerhalb der Musik. Entweder geht man in die Tiefe, also mit Musiktheorie und dergleichen oder man geht in die Fläche und lernt viele schöne Stücke kennen.

  • Um zu vermeiden, dass die Sammlung binnen kurzer Zeit eine Größe erreicht, in der ich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehe, gehe ich gerade einen klar strukturierten Weg und habe mir im Rahmen einer jpc-Sonderangebotsaktion (danke an Maurice, der im ›eben gerade billig‹-Thread darauf hinwies) große Teile der Gielen-Edition gekauft. Damit kann ich mir dann erstmal einen Überblick verschaffen und anschließend langsam und vorsichtig weiter vorstoßen. Mal schauen, wie es mich weiterbringt.

  • Zu den 400 letzten Jahren "klassischer Musik" möchte ich noch ein paar Jahrhunderte dazureklamieren: Wenn man's auf Mehrstimmigkeit reduziert, was argumentierbar ist, käme noch zumindest die Zeit von ca. 1180 bis 1620 dazu, wobei man ab dem 14. Jahrhundert schon auch ordentlich "Komponisten sammeln" kann, immer üppiger freilich, je näher man zur Gegenwart kommt.

    Dass sich Friese als Anfänger bezeichnet, wundert mich, da er ja schon viel gehört hat und im Austausch über klassische Musik ist, für mich ist das kein "Anfänger". Wenn man sich vertiefen will, würde ich empfehlen: Musizieren, Bücher lesen - nicht über Komponisten sondern über Theorie und Geschichte. Aufnahmenvergleich halte ich für weniger vertiefend, das hat nur den Vorteil, dass man nichts können muss, dafür versteht man aber auch nicht wirklich mehr, behaupte ich mal.

    Wenn man für sagen wir mal ein halbes Jahr auf 12 Komponisten einschränkt, ist das sicher auch mal eine gute Idee, ich verstreue mich auch immer zu breit in der Gegend beim Musikhören. Momentan mache ich einen Schwerpunkt auf spätes 17. Jahrhundert, um mir die jeweiligen Eigenschaften klarer zu machen, dazu lese ich in "The New Grove" und im 17.-Jahrhundert-Band von "Neues Handbuch der Musikwissenschaft". Eine enge Komponisteneinschränkung finde ich aber auch da nicht zielführend. Komplette einzelne Opern (komplett in Hinblich auf die Überlieferung) habe ich da nur von Sartorio, Biber, Cambert, Lully, Charpentier, Conradi, Blow, Purcell, dazu Szenen/Opernarien von Cesti, JP Krieger u.a., das reicht so halbwegs um die Entwicklungen der Oper von damals nachzuvollziehen, jede weitere Beschränkung wäre ein Verlust, stattdessen blinkt Scarlatti rot im Hintergrund, von dem ich nur ein Spätwerk habe. So ähnlich dann in den anderen Gattungen auch, da bin ich schon für eine Weile beschäftigt, das alles (nochmal) durchzuhören und Neuzugänge einzugliedern.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Jemand wie Adorno hatte seit früher Kindheit keinen Mangel an Zugang zu Klavier, Musikausbildung und Notenmaterial. Der ist nun gewiss kein gutes Beispiel für Verwunderung darüber, wie jemand in der prämassenmedialen "Wüste" zum Kenner werden konnte.

    Professionell Musik im Elternhaus, praktisch allabendlich ins Konzert, bei sicherlich eingeschränkterem Repertoire an Werken, da war auch viel "Interpretationsvergleich" dabei.

    Ich habe ja auch nicht geschrieben, daß er keinen Kontakt zu Musik hatte, Aber die Methode ist schon eine andere. Durch häusliches Musizieren UND eigeschränktes Repertoire UND intellektuelle Auseinandersetzung ist der Zugang ein grundsätzlich anderer, als wohlfeile Silberlinge in den slot zu werfen oder bei YT von Wiedergabe zu Wiedergabe zu zappen. Vor allem unterscheidet sich das von der heutigen Möglichkeit, z.B. alle 32 Beethoven-Klaviersonaten, alle 42 Mozartsinfonien oder gar den gesamten Bach, Mozart, Beethoven et. alias "durchzuhören". Wenn man sich da jeden Tag nur ein Werk vornimmt: Wetten, daß man das erste nicht mehr beim Hören als solches erkennt, wenn man beim letzten angekommen ist? Also ist der Weg der Beschränkung auf ein paar Komponisten und auf deren "most wanted" schon mal grundsätzlich nicht falsch, wobei sich die Komponisten rein lernpsychologisch durchaus stilistisch unterscheiden sollten. An offenkundigen Unterschieden lernt der Anfänger besser als an marginalen (meine kleine Enkelin lernt gerade die Farben: rot, grün, blau, gelb. Orange, magenta, cyan oder was es noch alles im Kontinuum gibt, kommt später). Insbesondere ist es ein Unterschied, ob ich als Kind und Jugendlicher mit der mir zur Verfügung stehenden (Frei)Zeit sagen wir mal: 10 Jahre Zeit habe, nach einschlägiger, vielleicht sogar intensiver Beschäftigung mit dem Thema (und damit meine ich nicht nur passives Hören), eine belastbare Urteilsfähigkeit zu erlangen, oder - was Erwachsene gerne tun - die bereits nach 2-4 Jahren erworben haben wollen, obwohl die täglich zur Verfügung stehende Zeit zur Beschäftigung mit dem Gegenstand zwangsläufig auch noch kürzer ist als bei Jugendlichen. Das meinte ich mit "Anspruch".

    Dass sich Friese als Anfänger bezeichnet, wundert mich, da er ja schon viel gehört hat und im Austausch über klassische Musik ist, für mich ist das kein "Anfänger". Wenn man sich vertiefen will, würde ich empfehlen: Musizieren, Bücher lesen - nicht über Komponisten sondern über Theorie und Geschichte. Aufnahmenvergleich halte ich für weniger vertiefend, das hat nur den Vorteil, dass man nichts können muss, dafür versteht man aber auch nicht wirklich mehr, behaupte ich mal.

    Jawollja! :top:

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Mal gucken, vielleicht bin ich ja schon auf dem, für mich, richtigen Weg. Es fühlt sich für mich gerade sehr gut an. Und ich habe mich in den letzten Tagen manchmal gefragt, warum ich eigentlich den einen oder anderen Komponisten gekauft habe. Diesen lexikalischen Gedanken habe ich eigentlich gar nicht.

    In meinen Anfangszeiten habe ich sehr schnell zwei Dinge begriffen:

    • Klassische Musik ist ein sehr weites Feld
    • Man muß seinen eigenen Weg gehen

    Die Strategie, wie du vorgehst, ist dir selbst überlassen - weil es sich nach deinen Bedürfnissen, Wünschen und Affinitäten richtet. Wir können nur raten und verschiedene Wege vorschlagen, aber machen mußt du. Deine jetzige Reduzierung ist eine Möglichkeit, das Thema zu vertiefen; irgendwann wirst du merken, daß du es anders siehst und es anders machen willst - und dann machst du es anders. Weil du einen neuen Komponisten kennenlernst - weil du ein neues Werk kennenlernst - weil du eine neue Einspielung von einem Werk kennenlernst, welches du schon kennst - weil du etwas Neues im weiten Feld der Klassischen Musik kennenlernen willst. Das geht alles. Alle Wege führen nach Rom - so ähnlich ist das auch in der Klassischen Musik.

    Wenn jemand die klassische Musik im weiten Sinne neu kennenlernt, scheint mir ein auch nur flüchtiges Hören verschiedener Werke zum Kennenlernen der musikalischen Sprache weitaus sinnvoller als das beständig wiederholte Hören desselben Werks in derselben Interpretation.

    Ein wichtiger Punkt. Ich persönlich habe immer ziemlich viel Gas gegeben im Hören, und ich habe durchaus ein Gespür für die Musik entwickelt. Allerdings bin ich wesentlich rastloser an die Sache gegangen, weil es eher meinem Naturell entsprichst: dick auftragen und dann die Patina abkratzen. Mir hat es nicht geschadet.

    Um etwas zu verstehen, ist es weder eine hinreichende noch eine notwendige Bedingung, daß man ein halbes Dutzend oder mehr Leute fragt, wie SIE es verstehen.

    Das meinte ich mit Punkt 2 - es kann erhellend sein zu lesen/hören, wie Andere die Dinge sehen. Aber die Verinnerlichung muß man selber anstreben.

    Hallo Michael! So ganz verstehe ich den Thread eigentlich nicht. Ich meine, ich freue mich natürlich, dass Du die Aufnahmen nicht wegwirfst, das würde ich nämlich sehr bedauern! Hör' einfach, was Dir Freude macht, und vergiss nicht, ab und zu mal neue Pfade einzuschlagen und Dich auf was Neues einzulassen. Deine Meinung bilden kannst Du Dir ja nachher auch noch immer!

    Spontanität ist auch eine Strategie... :jaja1:

    Wer kennt schon Telemann vollständig :D ) .

    Du Clown... :D - niemand in der Welt kennt ihn vollständig, weil es leider nicht geht. Was ich sehr bedaure: es gibt nur wenige Vielschreiber, die so viele sprudelnde Ideen von sich gegeben haben wie dieser gebürtige Magdeburger. Ein Großteil seiner Werke liegen nicht mal in editierten Noten vor.

    -----

    Kurz:
    Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, denn das Feld ist groß genug für alles Mögliche. Gerade heutzutage ist allein durchs Internet so viel verfügbar, daß es nicht langweilig wird. Und früher vor Jahrzehnten konnte man auch an was herankommen, wenn man wollte. Letztendlich geht es immer um den eigenen Antrieb.

    Und ja: in zwanzig Jahren ist das alles obsolet... :D

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Insbesondere ist es ein Unterschied, ob ich als Kind und Jugendlicher mit der mir zur Verfügung stehenden (Frei)Zeit sagen wir mal: 10 Jahre Zeit habe, nach einschlägiger, vielleicht sogar intensiver Beschäftigung mit dem Thema (und damit meine ich nicht nur passives Hören), eine belastbare Urteilsfähigkeit zu erlangen, oder - was Erwachsene gerne tun - die bereits nach 2-4 Jahren erworben haben wollen, obwohl die täglich zur Verfügung stehende Zeit zur Beschäftigung mit dem Gegenstand zwangsläufig auch noch kürzer ist als bei Jugendlichen.

    2-4 Jahre für Erwachsene...ganz ehrlich: ich habe von Anfang an 15 Jahre für mich veranschlagt, um dann als so etwas wie ein Veteranenstatus zu erreichen. Und ich liege gut im Rahmen... :jaja1:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Ein Großteil seiner Werke liegen nicht mal in editierten Noten vor.

    zwei Drittel sind nicht editiert.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • 2-4 Jahre für Erwachsene...ganz ehrlich: ich habe von Anfang an 15 Jahre für mich veranschlagt, um dann als so etwas wie ein Veteranenstatus zu erreichen. Und ich liege gut im Rahmen...

    haja. Das halte ich für realistisch. Ich hatte als Jugendlicher etwa 10 Jahre und war dann soweit, daß ich mir ernsthaft ein einschlägiges Studium überlegt habe, ohne mich im mindesten irgendwie als Experten zu fühlen.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

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