Ich vermute ja mal, dass 95% aller Capricciosis schon als Jugendliche angefangen haben klassiche Musik zu hören und dementsprechend langsam vorgegangen sind. Mittlerweile aber so viel allgemeine Hörerfahrung haben (vielleicht auch über das eigene Hörverhalten, Denkverhalten im Bezug auf Musik) dass sie Zusammenhänge, Melodien und was es da noch so alles gibt, problemlos auch bei einer Erstbegegnung heraus hören.
Ich meine schon zu verstehen, was du meinst. Und dazu kurz mein Erleben: in meiner Kindheit und Jugend (die auch schon ein paar Jahre zurückliegen...) habe ich Musik einfach ganz anders erlebt, z.B. die schaurige Wolfsschluchtszene aus dem Freischütz, die mir als Kind wirklich Angst machte - daran erinnere ich mich noch, als wäre es gestern. Oder die königlichen Fanfaren in aus dem Weihnachtsoratorium im Choral mit dem sanften Krippelein. Das sind Erinnerungen, die sich wahrlich festgebrannt haben und auch, wenn ich mir die Schreier-Aufnahme vom WO heute nicht mehr so oft anhöre, steht sie noch in meinem Regal und irgendwie sind genau DIESER Orgeleinsatz zum "Jauchzet" und der Choral in DIESER Interpretation für mich zu DEM Weihnachtsoratorium geworden. (Das hört sich jetzt etwas flacher an, als es eigentlich in Wirklichkeit ist - es gibt bedeutend mehr, was mir an diesem Werk wichtig ist ).
In meiner Jugend haben mich viele Werke geprägt die ich selbst oder zusammen mit anderen musiziert habe. Einige Partituren sind mir vom Üben und vom "Binge"-Hören (endlich kann ich diesen Ausdruck mal verwenden ) so vertraut geworden, wie das wahrscheinlich jetzt so einfach nicht mehr der Fall sein wird. Und wie das so ist: wenn man jünger ist, ist man auch einfach noch rascher im Auffassen.
Was will ich damit sagen? Jedenfalls mir geht es so, dass ich auch heute noch viel von dem Repertoire beim Hören zehre, das ich mir bis ca. Mitte 20 mit damals relativ wenig Mühe erarbeitet habe. Einiges, was darüberhinaus ging ließ sich auch später noch leicht "erhören", aber viele Bereiche, zu denen ich damals nicht viel Bezug hatte kenne ich heute immer noch nicht so gut, wie ich das gerne würde, oder habe ich mir wirklich einen um den anderen imaginären Centimeter erarbeitet - das gelang mir früher wesentlich einfacher und diese Erlebnisse sitzen wesentlich tiefer.