Wagner: Gedanken zu Person und Werk

  • Doch. Diese Aussage ist belegt und lässt sich leicht überprüfen. Man muss nur die Dokumente zur Kenntnis nehmen, die Auskunft über Wagners Denken geben. Man kann dazu seine Schriften und Briefe lesen, oder man zieht die einschlägige Literatur zu Rate. Jens Malte Fischer z.B. hat einige sehr aufschlussreiche Texte zu Wagners Antisemitismus und seinen Stellenwert in Wagners Denken publiziert. Niemand kann behaupten, dass es schwer wäre, diese Publikationen zu beschaffen und zu lesen.

    Ich habe Fischers Buch zuhause und gelesen. Ich habe allerdings nicht bezweifelt, dass Wagner antisemitisch dachte, sondern nur dass diese Fixierung auf die Juden für seine Kunstwerke von Bedeutung ist. Es wäre zu zeigen, welche Werke Wagners ohne Juden nicht denkbar wären. Tolstoj konnte die Deutschen und Franzosen nicht leiden. Es gibt in Krieg und Frieden zahlreiche abwertende Kommentare. Das Thema mag ihn beschäftigt haben, aber ist es für Krieg und Frieden und für Anna Karenina von Belang?

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Es ist allgemein bekannt und nicht zu bestreiten, dass der in Wagners Denken einen zentralen Platz eingenommen hat. Da seine Werke von ihm stammen und erdacht sind, ist die Annahme, dass zwar alle anderen Gedanken, die er gehabt hat, für seine Werke eine Rolle spielen, aber ausgerechnet diese nicht, außerordentlich begründungsbedürftig. Warum soll nur der Antisemitismus nicht in sein Werk eingegangen sein, seine revolutionären Anschauungen (die eng mit dem Antisemitismus verbunden sind), und seine anderen Auffassungen (einschließlich der späten Hinwendung zum Rassismus, die ihn in die Nähe von Gobineau geführt hat) aber sehr wohl? Ich glaube nicht, dass man den Mechanismus, der ausgerechnet den Antisemitismus ausgefiltert haben soll, nschweisen kann, lasse mich aber gern eines Besseren belehren. Wie hat das also funktioniert?

    Eigentlich müssen wir darüber ja nicht spekulieren, denn Fischer führt ausreichend viele Belege aus Wagners Mund und Feder an, die es belegen, und er führt auch ausreichend viele an, die zeigen, dass man das zu Wagners Zeit auch durchaus so verstanden hat. Aber einen Versuch ist es ja wert.

  • Von Belang = von zentraler Bedeutung. Und das ist definitiv nicht der Fall.

    was heißt "zentral"? wie in obig verlinktem thread schon erwähnt, sind einige Figuren in Werken Wagners spätestens ab den Meistersingern klare Widerspiegelungen antisemitischer Klischees oder zumindest, und das ist für die fatale Wirkungsgeschichte Wagners in Deutschland, als solche lesbar. Ob die Werke und deren Dramaturgie ohne diese Figuren wesentlich anders wärten, kann eine interessante Frage sein, aber auchn büschen Spökenkiekerei - sie sind halt wie sie sind und da spielen antisemitisch gesehene Charaktere halt schon eine Rolle.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • ad Argonaut:

    Ich glaube, wir drehen uns im Kreis. Deine Annahme, dass alle (konkreten) Gedanken Wagners für seine Werke eine Rolle spielten, sehe ich bei Fischer nicht so ausgeführt. Ich halte das auch für unwahrscheinlich, erst recht, wenn man allen Gedanken eine ähnliche Bedeutung einräumt. Alle Figuren Wagners sind ohne Juden problemlos denkbar.
    Zudem: Nur weil Wagner gewisse negative menschliche Eigenschaften, die in seinen Opern behandelt werden, mit Juden in Verbindung gebracht hat, heißt das nicht, dass er diese Eigenschaften ohne Juden nicht für negativ gehalten hätte. Dies ist sogar äußerst unplausibel.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • was heißt "zentral"? wie in obig verlinktem thread schon erwähnt, sind einige Figuren in Werken Wagners spätestens ab den Meistersingern klare Widerspiegelungen antisemitischer Klischees oder zumindest, und das ist für die fatale Wirkungsgeschichte Wagners in Deutschland, als solche lesbar. Ob die Werke und deren Dramaturgie ohne diese Figuren wesentlich anders wärten, kann eine interessante Frage sein, aber auchn büschen Spökenkiekerei - sie sind halt wie sie sind und da spielen antisemitisch gesehene Charaktere halt schon eine Rolle.

    Die Tatsache, dass in Wagners Opern keine Juden auftreten, zeigt ja unbestreitbar auf, dass er deren angeblichen negativen Eigenschaften auch in Unabhängigkeit der Herkunft sehen konnte. Was soll daran Spökenkiekerei sein?

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Alle Figuren Wagners sind ohne Juden problemlos denkbar.

    Das bin ich skeptisch. Hatten wir dort schon etwas genauer: "Juden-Karikaturen" in Wagners Figuren. Dort z. B. # 28. Das dort erwähnte Buch von Marc A. Weiner (Antisemitische Fantasien. Die Musikdramen Richard Wagners) finde ich besonders lesenswert.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Das bin ich skeptisch. Hatten wir dort schon etwas genauer: "Juden-Karikaturen" in Wagners Figuren. Dort z. B. # 28. Das dort erwähnte Buch von Marc A. Weiner (Antisemitische Fantasien. Die Musikdramen Richard Wagners) finde ich besonders lesenswert.

    :wink:

    Die Frage ist doch: dichtete man den Juden Eigenschaften an, weil man sie nicht mochte, oder mochte man die Juden nicht, weil sie gewisse Eigenschaften haben? Erstes natürlich. Aber ich ziehe nicht in Zweifel, dass Wagner in seinen Werken antisemitische Codes verpackt hat. Nur: wie bedeutsam für die Aussage und den Gehalt der Werke ist denn das? Ich behaupte: wenig.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • dichtete man den Juden Eigenschaften an, weil man sie nicht mochte, oder mochte man die Juden nicht, weil sie gewisse Eigenschaften haben?

    Oder mochte man "die Juden" nicht, weil man ihnen zuvor gewisse Eigenschaften angedichtet hatte?
    Ich fürchte, dass dies der Fall (gewesen) sein könnte.

    Adieu
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Oder mochte man "die Juden" nicht, weil man ihnen zuvor gewisse Eigenschaften angedichtet hatte?
    Ich fürchte, dass dies der Fall (gewesen) sein könnte.

    Adieu
    Algabal

    Natürlich, da hast Du recht. Aber jedem kritischen Beobachter musste klar sein, dass das nicht stimmen kann. Wagner konnte oder wollte sich das nicht eingestehen. Aber auf sein Werk legte er als großer Künstler wohl andere Maßstäbe an, weswegen die angeblich jüdischen Eigenschaften ja auch von Nichtjuden verkörpert werden. Der Künstler Wagner war also klarsichtiger als der Mensch und Essayist.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Nur: wie bedeutsam für die Aussage und den Gehalt der Werke ist denn das? Ich behaupte: wenig.

    Und ich behaupte: viel. Und damit befinden wir uns mitten in der Kontroverse, die in der Wagner-Forschung bis heute nicht abgeschlossen ist, wenn ich das richtig sehe.

    Genau über dieses Thema wollte ich übrigens mal Anfang der 1980er promovieren ("R. Wagner: Antisemitismus als ästhetisches Programm"), aber es kam damals anders. Heute bin ich froh darüber, aber das nur nebenbei.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Und ich behaupte: viel. Und damit befinden wir uns mitten in der Kontroverse, die in der Wagner-Forschung bis heute nicht abgeschlossen ist, wenn ich das richtig sehe.

    Das glaube ich gerne, dass die Kontroverse noch nicht abgeschlossen ist. Zusammenfassend stelle ich meine Position noch einmal dar: sowohl Wagners Schaffensdrang als auch sein Antisemitismus sind Ausdruck seiner psychologischen Veranlagung, aber sie bedingen einander nicht. Die zahllosen Zeugnisse und Selbstzeugnisse legen nahe, dass Wagner Narzisst war, mit allen Konsequenzen, die das nach sich zieht, und eine Angststörung hatte. Er wurde klarerweise nicht narzisstisch und paranoid, weil es Juden gab, sondern dies entwickelte sich unabhängig davon. Sein Antisemitismus eignet sich auch nicht als künstlerisches Substrat, weil dieser nicht binär ausgelegt war. Soll heißen: nur weil er Juden wahre Schöpfungskraft absprach, heißt das nicht, dass er sie Nichtjuden automatisch zugestand. Brahms hielt er ebenso für steril wie Mendelssohn. Die Figur des Beckmesser kann daher in Wagners Gedankenwelt ohne Juden existieren. Es geht ihm hier um das Nichtschöpferische und rein Reproduktive, das sich auf Kosten der wahrhaft Kreativen breit macht. Die Vehemenz, mit der Wagner gegen jüdische Kollegen vorging, war mMn nicht primär weltanschaulich motiviert. Einerseits war dies natürlich Ausdruck der narzisstischen Kränkung, andererseits stand zumindest Mendelssohn wirklich für eine Ästhetik, die er ablehnte. Deshalb hatte Wagner auch keine Probleme, Brahms ebenso abzulehnen. Sein Verhalten gegenüber Liszt wiederum war auch als Folge einer narzisstischen Kränkung zu verstehen, denn Liszt war bekanntlich ein katholischer Frömmler. Ich denke, dass Wagners Persönlichkeitsstörung aber auch seine revolutionären Ansichten profund waren. Somit wäre das Mammutprojekt "Ring" bereits erklärbar - ohne Juden.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Ich glaube, wir drehen uns im Kreis.

    Na klar dreht Ihr Euch im Kreis, denn letztlich ist nur das von Wagners Werken da, was da ist. Die Gegenprobe, nämlich was wäre wenn, ist nicht möglich. Somit läßt sich keine der Positionen - Das Werk wäre genauso, wenn er nicht antisemitisch, antikapitalistisch, whatever gewesen wäre vs. es wäre ganz anders und damit Wagner nicht Wagner - belegen und bleibt Spekulation. Es gibt in Geschichte keine Alternativmodelle. Wir können schlichtweg nicht wissen, was Wagner anders gemacht hätte, wenn er ein anderer Mensch gewesen wäre. Nachdem aber der Mensch nicht von seinen Gefühlen und Gedanken getrennt werden kann und sein Wirken (nicht nur als Künstler, sondern ganz allgemein und nicht nur bei Wagner) von eben jenen Gefühlen und Gedanken determiniert wird, können wir durchaus annehmen (sic! "belegen" läßt sich das selbstverständlich nicht!), daß das Wirken eines Menschen anders ist, wenn er von anderen Gefühlen und Gedanken geleitet wird. Zumindest differenziell. Der Schmetterlingseffekt läßt grüßen. Sinngemäß steht das auch schon bei Lichtenberg: Wenn ich dieses Buch nicht geschrieben hätte, so würde heute über 1 000 Jahre abends zwischen 6 und 7 z.E. in mancher Stadt in Deutschland von ganzen andern Dingen gesprochen worden sein, als würklich gesprochen werden wird. Hätte ich zu Vardöhus einen Kirschkern in die See geworfen, so hätte der Tropfen Seewasser den Myn Heer am Kap von der Nase wischt nicht gnau an dem Ort gesessen. (Sudelbuch D55)

    Nachtrag: Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo in der Mitte

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Bitte mein letztes Post noch einmal lesen, vielleicht verstehst Du dann, worum es mir geht. Ich bitte auch, längst abgehandelte Argumente nicht in voller Länge zu wiederholen. Es ist schon unübersichtlich genug in diesem Thread.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Lieber Felix, danke für die Zusammenfassung Deiner Position. Was Wagners Persönlichkeit angeht, so mag ich Dir gar nicht widersprechen. Wagner mag narzißtisch und paranoid gewesen sein; das alles kann ich aus verschiedenen Gründen nicht beurteilen. Ich finde bei Wagners Werk allerdings eher die antisemitischen Codes relevant, die er in seinen Opern verwendete und die anscheinend von einem Gutteil seiner Zeitgenossen wohl verstanden wurden. Diese Codes - und das wäre allerdings eigens nachzuweisen (bzw. es wurde bereits nachgewiesen) anhand von fundierten Werkanalysen, die auch die Musik miteinbezieht, es gibt ja eine riesige Menge Literatur dazu, von Adorno bis Weiner und darüberhinaus findet sich so einiges dazu, ich habe da momentan keinen guten Überblick - sind m. E. werkkonstituierend, also nicht nur auch mit eingepackt, ohne das Wesentliche zu berühren. Die Persönlichkeit Wagners selbst finde ich schon deshalb nicht so relevant, weil ich das, was er schuf, für entscheidend halte und die Wirkung, die er damit erzielte.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Diese Codes - und das wäre allerdings eigens nachzuweisen (bzw. es wurde bereits nachgewiesen) anhand von fundierten Werkanalysen, die auch die Musik miteinbezieht, es gibt ja eine riesige Menge Literatur dazu, von Adorno bis Weiner und darüberhinaus findet sich so einiges dazu, ich habe da momentan keinen guten Überblick - sind m. E. werkkonstituierend, also nicht nur auch mit eingepackt, ohne das Wesentliche zu berühren.

    Das müsste nachzuweisen sein, indem man zeigt, dass der heutige Hörer, der ja zumeist die antisemitischen Klischees aus dem 19. Jahrhundert gar nicht kennt, Wagners Opern grundsätzlich anders aufnimmt und versteht. Gibt es dafür Anhaltspunkte? Ich gebe auch zu bedenken, dass ich die Inhalte von Wagners Opern sehr wohl als Produkt seines Denkens und nicht primär seiner Persönlichkeit ansehe (ich bezweifle aber, dass alle Gedanken Wagners darin Platz gefunden haben). Das hatte ich ja mit Mendelssohn vs. Brahms in Verbindung mit Beckmesser darzulegen versucht. Ich halte viel eher seinen Antisemitismus als Ausdruck seiner Persönlichkeit, was eben aus heutiger Sicht nur mehr wenig Relevanz hat. Als Ausdruck seiner Persönlichkeit sehe ich auch die Energie an, die er entwickelte, um sein Ringprojekt durchzusetzen, nicht so sehr die Inhalte. Die sind mit seinen revolutionären Ansichten kompatibel.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Klar, Mime und Beckmesser tauchen immerhin in heutigen Inszenierungen noch als Judenkarikaturen auf, das wirkt also nach. Andere Klischees des 19. Jahrhunderts sind heute weniger oder gar nicht mehr präsent. Weiner hat etwa zur Figur des Hagen einiges aufgeführt, das müßte ich allerdings erst wieder nachlesen.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

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