ALBIONS OPERN – Spaziergang durch das englische Musiktheater in 20 Werken und Aufnahmen
Warum? – Eine kurze Hinführung
Als Eduard Hanslick Ende der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts nach rund zwanzig Jahren wieder einmal nach England gekommen war, stellte er (unter anderem) fest, dass sich die englische Oper in der Zwischenzeit gemausert hatte. Sie nahm nicht mehr den „armseligen Operettenstandpunkt“ ein, an der er sich erinnerte, sondern hatte sich „zu größerer Bedeutung gehoben“. Aber dennoch hatte es die englische Oper in diesen zwei Dezennien nicht geschafft, sich in Albion und insbesondere seiner Hauptstadt Londinium gegen die italienische Oper durchzusetzen. Vielmehr sei sie – trotz der gesteigerten Produktivität englischer Komponisten – auch „heute noch das Aschenbrödel.“[1]
Auch heute passt – finde ich – der Vergleich mit dem Aschenbrödel noch ganz gut. Natürlich gibt es eine Reihe von englischen Opern, die gegenwärtig mehr oder minder regelmäßig gespielt werden. Aber es sind, so mein laienhafter Eindruck (den mit Aufführungszahlen zu untermauern ich im Moment schlicht zu faul bin), nur wenige. Natürlich kennt „man“ dies und auch das – von Purcell beispielsweise oder auch von Britten. Aber dann wird es schon dünn. Bis in den (fiktiven) „Kanon“ oder ins „Repertoire“ hat es der Großteil der musiktheatralischen Werke, die vom 17. Jahrhundert an bis in die unmittelbaren Gegenwart hinein in „England’s green and pleasant land“ entstanden sind, nicht so recht geschafft.
Doch Obacht! Ich bin kein Fachmann und lasse mich natürlich gern eines Besseren belehren. Aber auch: Ich finde, die englische Oper (und hier sei gleich vorweggenommen, dass es in diesem Faden explizit um die englische und nicht die Oper „in English“ gehen soll) ist ein interessantes Feld für aficionadoeske Beschäftigung. Insofern nun also dieser Faden, den ich (möglichst) zum Vergnügen aller – in jedem Fall jedoch zu meinem eigenen – im Laufe der nächsten Zeit befüllen möchte.
Das Ganze ist, dies sei vorausgeschickt, als längeres Projekt angelegt, erlaubt es doch die schmale Freizeit höchstens, hier einmal im Monat ein paar mutmaßlich dürre Worte zu einer Komposition und jeweils einer Aufnahme derselben (nicht selten gibt es auch nur eine) zu präsentieren. Aber natürlich darf (und soll) der Faden auch genutzt werden, um zwischenzeitlich eigenes zum Thema unterzubringen und in (möglichst) angenehmer Atmosphäre zu diskutieren.
Meine eigenen Beiträge zu Thema werden einer einfachen Struktur folgen. Auf diese kleine Hinführung wird irgendwann in nächster Zeit eine ebenso knappe Einführung in die Entstehungsbedingungen der Oper in England folgen, in der ich ein wenig zu „afterpieces“, „farce jigs“, von der Masque und verschiedenen anderen Punkten extemporieren werde. Und danach? Ja, danach bewegt sich mein Spaziergang durch die englische Oper ganz einfach entlang der Merkwürdigkeiten, die die Historie jenes Genres auf der Mutter aller Inseln zu bieten hat. Um die Vorfreude zu steigern (oder auch nur das Interesse), möchte ich nun kurz ausführen, welche Werke ich im Faden vorzustellen gedenke.
Beginnen will ich aus mehreren Gründen mit der „Psyche“ von Matthew Locke, an die sich dann die Vorstellung von John Blows „Venus and Adonis“ und die seines ungleich bekannteren Schwesterwerks „Dido and Aeneas“ von Henry Purcell anschließen wird. Zu jenem Werk gibt es hier schon einen Faden, auf den ich dann zusätzlich verweisen werde. Nachdem ich Dido zu Grabe getragen haben werde, wende ich mich nicht ausführlich den Opern George Frideric Handels zu (denn dessen Schaffen ist wahrlich ein eigen Ding), sondern der „ballad opera“. Hier werfe ich einen Blick auf die große Gesellschaftssatire „The Beggar’s Opera“ von John Gay und Johann Christoph Pepusch, um sodann ein Werk von Thomas Arne vorzustellen. Nein, nicht dessen „Alfred“ aus dem wir auch heute noch zu gegebener Zeit begeistert das „Rule, Britannia!“ mitjohlen, sondern seine englischsprachige Opera seria „Artaxerxes“.
Im Anschluss Romantik. Hier steht zunächst der Kassenschlager „The Bohemian Girl“ des „italienischen Iren“ Michael Willam Balfe auf dem Programm. Manch einer wird vielleicht die gleichnamige Persiflage von Laurel und Hardy aus dem Jahr 1936 kennen (dt. „Das Mädel aus dem Böhmerwald“). Völlig aus dem kollektiven Bewusstsein geraten sind die vielen Kompositionen des Dirigenten und Komponisten Edward James Loder, der ein Schüler von Ferdinand Ries war. Seine Oper „Raymond and Agnes“ erzählt eine schaurige Geschichte, an der ich den geneigten Leser (und – natürlich auch die geneigte Leserin) gerne teilhaben lassen möchte. Übernatürlich auch das Sujet der anschließend vorzustellen Oper „Lurline“ von William Wallace, dreht sich hier doch alles um eine Zauberin, die ihren Erstwohnsitz in Bacharach am Rheine hat.
Vom Rhein ins japanische Titipu. Hier spielt die Savoy-Opera „The Mikado“ des viktorianischen Dreamteams William Gilbert und Arthur Sullivan, eine Satire, die furchtbar amüsant ist und das britisch-japanische Verhältnis nachhaltig beschädigt hat.
Das 20. Jahrhundert beginnt ländlich mit Frederick Delius‘ „A Village Romeo and Juliet“ nach der berühmten Erzählung aus Gottfried Kellers Novellenzyklus „Die Leute von Seldwyla“. Mehr oder minder zeitgleich entstand die Oper „The Wreckers“ der Zigarre rauchenden Komponistin und Suffragette Ethel Smyth, die ebenfalls vorgestellt werden soll.
Während 1916 Abertausende junger britischer Männer in den Schützengräben in Flandern starben, komponierte Gustav Holst, der zwar an die Front wollte, aber als untauglich ausgemustert wurde, seine um den Tod kreisende Kammeroper „Savitri“, zu der es hier im Forum einen hervorragenden Eröffnungsbeitrag gibt. Dennoch möchte ich sie auch in diesen Faden aufnehmen.
Die Welt wartet im Übrigen auf die Aufnahmen von Rutland Boughtons fünf Opern, die sich mit dem Artus-Mythos auseinandersetzen. Wird es jemals dazu kommen? Wie gern würde ich diese hören und besprechen! Stattdessen werde ich mich hier mit seiner Tristan-Oper „The Queen of Cornwall“ beschäftigen, die thematisch immerhin in diese Richtung weist.
Charles Villiers Stanfords letzte Oper „The Travelling Companion” nach dem fantastischen Kunstmärchen „Der Reisekamerad“ von Hans Christian Andersen schließt sich an. Auf diesen Ausflug ins Märchenhafte folgt mit Ralph Vaughan Williams' „Riders to the Sea“ nach dem Bühnenstück von John Millington Synge ein Blick auf die harte Lebenswirklichkeit der irischen Fischer von Inis Meáin. Das Meer spielt dann auch eine zentrale Rolle in Benjamin Brittens „Peter Grimes“. Auch hier gibt es schon einem Thread im Forum, den ich eher ergänzen als ersetzen möchte.
Und nun wird es modern. Die vier Opern, die ich vorstellen möchte, sind zwischen 1962 und 2007 uraufgeführt worden, und basieren sämtlich auf bedeutenden Werken der Weltliteratur: Michael Tippetts „King Priam“ auf Homers Ilias, Harrison Birtswistles „Gawain“ auf der mittelenglischen Romanze „Sir Gawain and the Green Knight“, Thomas Adès „The Tempest“ auf dem gleichnamigen Schauspiel des Bard of Avon und schließlich „The Sacrifice“ von James MacMillan auf einer Erzählung aus dem „Mabinogion“.
So viel für den Moment. Bis demnächst in diesem Theater!
Agravain
[1] Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. http://www.zeno.org/Kulturgeschich…/Zehntes+Buch/2. Eingesehen am 01.04.2020