Was eigentlich ist Kultur?

  • Nein. Jede denkbare Definition von Kultur setzt voraus, dass Wissen dauerhaft weitergegeben werden kann, ohne dass der jeweilige Empfänger unmittelbar anwesend ist, wenn etwas „passiert“ - es ihm also nicht unmittelbar am Objekt demonstriert werden muss (letzteres machen auch höhere Tiere, z. B . bei der Jagd). Das setzt zwingend eine Sprache voraus.
    Soviel ich weiß, gab es mal Versuche, sich mit Schimpansen per Zeichensprache zu verständigen

    Im ZDF-Heute-Journal wurde gestern berichtet, dass Humboldt-Pinguine gerne ins Museum gehen und Caravaggio gegenüber Monet bevorzugen.

    Hier kann man das auch nachlesen: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.tiere-w…a51de57211.html

  • Im ZDF-Heute-Journal wurde gestern berichtet, dass Humboldt-Pinguine gerne ins Museum gehen und Caravaggio gegenüber Monet bevorzugen.

    Wir sagen zu so etwas einfach "Ranking". :D

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Die Diskussionen über Realismus, Konstruktivismus etc. haben eher etwas mit dem Gegensatz zwischen Natur und Kultur zu tun.


    Ich weiss nicht genau, was Du meinst, aber hast Du schon gelesen, was in vorherigen Beiträgen geschrieben wurde?
    Manche, ich auch, sagen, dass Natur und Kultur keine Gegensätze sind.

  • Wir waren, glaube ich, an der Frage stehen geblieben, ob alles was der Mensch schafft natürlich ist.
    Der Schritt davor war, dass Kultur alles das ist, was der Mensch schafft, also alles was es ohne ihn nicht gäbe.
    ((((Die Diversion "Worte schaffen die Welt/die Ding" kam währenddessen zustande.))))

    Wenn aber nun der Mensch als Teil der Natur etwas schafft, wie kann dieses Produkt (egal ob real oder virtuell) dann nicht natürlich sein * ?
    Wenn aber alles, was der Mensch schafft natürlich ist, dann sind Natur und Kultur keine Gegensätze, sondern dann ist Kultur eine Teilmenge von Natur, nämlich die, die durch den Menschen definiert ist.

    Man kann aber auch anders zu demselben Schluss kommen, wie schon in vorherigen Beiträgen gesagt, indem man die Entwicklung angefangen mit "reiner" Natur, bevor es den Menschen gab, weiterverfolgt bis heute und dabei keinen Bruch erkennt, sondern einen nahtlosen Übergang vom einen ins andere, also von Natur zu Kultur, so nahtlos, dass man nicht genau sagen kann, wo Kultur eigentlich angefangen hat. Man erkennt nur ganz deutlich zu einem bestimmten Zeitpunkt, dass es sie dann gab, zB in der Bronzezeit. (Genauso wie es schwierig ist zu sagen wann der (helle) Tag eingentlich genau angefangen hat. Man weiss nur irgendwann, dass es jetzt eindeutig Tag ist.)

    Kultur wäre demnach eine Art vom Menschen geschaffene, oder besser: vom Menschen erweiterte Natur.
    Oder besser:
    Kultur wäre demnach eine vom Menschen geschaffene Fortsetzung von natürlichen (oder naturgegebenen oder der Natur innewohnenden) Eigenschaften, Prozessen, Phenomena, Geschehen, Erfahrungen (ich suche nach passenden Worten).
    (mE mit Betonung auf Forstsetzung)

    * Die Frage bleibt: ist alles, was der Mensch schafft natürlich? Wie definiert man natürlich? Man sollte dabei mE nicht nur den philosophischen Aspekt disutieren, sondern ganz speziell auch den chemischen/naturwisenschaftlichen, denn hier liegt mE der Hase begraben. Hier ist es, wo sich die Geister wirklich an der Natürlichkeitsfrage scheiden. Solange der Mensch nämlich "unnatürliche" Dinge schafft, fällt die Idee des Kontinuums Natur - Kultur auseinander. Denn dann passt nicht alles hinein in unser Konzept.

    Oder es gibt irgendwo eine Gabel, dh das Kontinuum beginnt einspurig mit Natur, gabelt sich dann aber in Kultur (natürlich) und XYZ (unnatürlich) auf. Das ist auch ein interessantes Konzept (gefällt mir persönlich aber nicht, was aber nichts zur Sache tut, falls es so sein sollte).

  • Ihr könnte es drehen und wenden wir ihr wollt: Die Abgrenzung zwischen menschlich und nicht menschlich ist Bullshit.

    Wenn ich irgendwohin kacke, ist das ein menschlicher Akt, also ein Eingriff in die Natur. Beim Hund oder beim Elefanten ist das nicht anders. Hausbau/Nestbau analog.

    Für die alten Griechen war alles, was der Mensch machte, irgendwie geil. Das war dann alles irgendwie "Kultur". Weil es halt irgendwie besonders war. Vielleicht nicht gerade das Kacken, aber der Ackerbau zum Beispiel. Und vieles mehr.

    Heute würde man sich lächerlich machen, wenn man jede Routine-Tätigkeit als kulturellen Akt bezeichnen würde. Ackerbau an sich ist heute keine Kultur mehr. Kultur wird es erst dann, wenn damit "höhere" Ziele verfolgt werden. Z.B. Weinbau, wenn der Wein eine gewisse standortabhängige Typizität haben soll. "Terroir-Wein". Industriell bewirtschaftete Getreidefelder sind zwar sinnvoll, um möglichst viele Leute satt zu machen. Aber Kultur ist das ganz sicher nicht.


    Thomas

  • Unser Wort "Kultur" kommt ja ursprünglich vom Ackerbau und "kultivieren" ist ja ein Ausdruck, der bis heute auch eine landwirtschaftliche Bedeutung hat. Nun scheint mir der Zusammenhang mit dem Ackerbau durchaus interessant zu sein, um etwas über den Unterschied zwischen tierischer Natur und menschlicher Kultur zu erfahren. Es gibt diese schöne Stelle in der Bibel, wo von den Vôgeln gesagt wird, "sie pflügen nicht, sie sähen nicht". Und so weit ich weiss, gibt es keine Tiersorte, die Nahrungsmittel anbaut. Es gibt wahrscheinlich auch keine Tiere, die Kleidung herstellen, um sich gegen Kälte zu schützen. Weil der Mensch in seinem Tun nicht instinktiv festgelegt ist, hat er einen gewissen Handelsspielraum. Er ist, wie Nietzsche gesagt hat, ein nicht festgestelltes Tier. In seiner Natur liegt eine gewisse Offenheit. Das heisst, dass die Kultur durchaus biologische, natürliche Voraussetzungen hat: nämlich das Auftreten weniger instinktgebundener Lebewesen. Und wie der Mensch diesen Spielraum genutzt hat, wird ja wunderbar in dieser berühmten Szene aus Kubricks 'Space Odyssee' gezeigt, wo der als Waffe verwendete Knochen in die Luft fliegt und sich in ein Raumschiff verwandelt.
    Man kann natürlich sagen, dass alles natürlich ist, in dem Sinne, dass es biologischen und physikalischen Gesetzmässigkeiten nicht widerspricht. Aber das heisst doch nicht, dass es keinen Unterschied zwischen Vogelgesang und einer Wagneroper gibt. Deshalb hilft, glaube ich, die Idee alles müsse natürlich sein, da es der Natur entspringt, nicht viel weiter. Es ist auch nicht erstaunlich, dass ein naturwissenschaftlich orientiertes Denken erhebliche Schwierigkeiten hat, uns im Bereich der Kultur zu belehren.

  • Es ist auch nicht erstaunlich, dass ein naturwissenschaftlich orientiertes Denken erhebliche Schwierigkeiten hat, uns im Bereich der Kultur zu belehren.

    Ich belehre hier niemanden, ich weise nur auf Unstimmigkeiten hin.

    Ich wäre übrigens der letzte, der das angesammelte Wissen unserer Vorfahren geringschätzen würde. Oder sagen wir so: Der heutige Wissensstand beruht auf dem, was die Generationen vor uns herausgefunden haben. Egal ob im geisteswissenschaftlichen oder im technischen Bereich. Wenn ihr wüsstest, wie wenig kreativ die Ingenieure sind...

    Nur: Ihr übertreibt es etwas mit dem Bezug auf die Vergangenheit. Z.B. dein Bibelzitat. Ich schätze die Bibel durchaus. Die Sache mit den Vögeln hat aber einen anderen Kontext. Die Vögel würden auch säen, es fehlt ihnen nur die Intelligenz. Sonst würden auch sie säen, da ist man nämlich nicht auf die Launen der Natur angewiesen. Außerdem kann man dann das anpflanzen, was einem am besten schmeckt. Und man bekommt mehr Mäuler satt. Das ist aber immer noch keine Kultur im heutigen Sinn.

    Jaja, jetzt kommt gleich wieder einer: "Kultur ist es allein schon dadurch, dass ein relevanter Teil der heutigen(!) Menschheit es als solche bezeichnet."

    Das kann man dann schlecht widerlegen. Über "Relevanz" kann man zwar streiten, aber handfest beweisen kann man da nichts. Ich weise nur darauf hin, und zwar von Anfang an, dass zumindest in diesem Forum hier, welches sich ja "Kulturforum" nennt, praktisch zu 100% über Kultur im Sinne von "menschliches Handeln, welches über die reine Zweckerfüllung hinausgeht" diskutiert wird. Also nicht über Kultur im historischen Sinn, Ackerbau, Hausbau, etc.


    Thomas

  • Man kann natürlich sagen, dass alles natürlich ist, in dem Sinne, dass es biologischen und physikalischen Gesetzmässigkeiten nicht widerspricht. Aber das heisst doch nicht, dass es keinen Unterschied zwischen Vogelgesang und einer Wagneroper gibt.

    Die Wörter können ja etwas verschiedenes bedeuten, ohne einander streng ausschließende Begriffsfelder zu bilden. Bei den meisten Phänomenen in der Menschenwelt wird es irgendwie eine Mischung aus natürlichem und "künstlichem", kulturell überformtem geben. Die "Wagneroper" ist ein schönes Beispiel: hat ihre Entstehung nicht sehr viel zu tun mit dem Bestreben, die empfundene "Künstlichkeit" der Nummernoper zu überwinden zugunsten eines mehr "natürlichen" Ausdrucks und dabei die gewissermaßen "kulturellen" Funktionen "Repräsentation" und "Unterhaltung" zurückzudrängen ...? Ist "Ausdruck" nicht pure Natur, und seine Formung und Gestaltung Kultur? Also wäre ein Streichquartett mehr Kultur als eine Liebesarie, die der Funktion nach viel mit der Nachtigall gemein hat?

    Kultur wäre demnach eine Art vom Menschen geschaffene, oder besser: vom Menschen erweiterte Natur.
    Oder besser:
    Kultur wäre demnach eine vom Menschen geschaffene Fortsetzung von natürlichen (oder naturgegebenen oder der Natur innewohnenden) Eigenschaften, Prozessen, Phenomena, Geschehen, Erfahrungen (ich suche nach passenden Worten).
    (mE mit Betonung auf Forstsetzung)

    so kann man vielleicht sagen, ich würde vorschlagen (da wir kann nicht anders können als mit "Material" aus der Natur zu hantieren): Kultur ist menschlich geformte Natur. Und da zählt auch die Welt der "natürlichen" Empfindungen und Gefühle dazu, deren simpler Ausdruck keine Kunst ist, sondern der Formung bedarf, um kulturell bedeutsam zu werden. Andererseits empfinden wir reine Kunst ohne Ausdruck schnell als leblos, als bloßes "Artefakt" - oder ist das die Natur in uns, die immer "echte Empfindung" spüren will? Es scheint, als brauche berührende und gleichzeitig geistig anregende Kunst eijne gelungene Mischung aus Beidem: kulturell geprägte Form (bzw das Spiel mit derselben) und Ausdruck "natürlichen" Stoffes.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Vermutlich passt dieser heute in der nzz veröffentlichte Beitrag, eine Liebeserklärung an die Kulter der Livemusik, am besten in diesen Faden:

    Navid Kermani: Was passiert, wenn wir Musik hören? (nzz.ch)

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • Vielen Dank, lieber Benno! Ich erlaube mir, eine Passage daraus zu zitieren, die ich als besonders stimmig empfinde:

    Zitat von Navid Kermani

    [...] wenn wir Musik hören, die zu uns spricht, empfangen wir eine Botschaft, wir verstehen einen Sinn, wir spüren einen Zweck, etwas ganz Zwingendes sogar, das nur so und nicht anders sein kann. Aber wie immer wir es bestimmen oder gar definieren wollten, wäre damit längst nicht alles gesagt, so viele Worte wir auch verlören. Denn es liegt etwas Unendliches darin, etwas Unerschöpfliches.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

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