Immer 'Full Speed' - Rainer Werner Fassbinder

  • Gestern mal wieder ein Fassbinder:

    Fassbinders erste TV-Produktion von 1970 (Meine Güte, wie mutig war das Fernsehen damals.)

    Als 'Aufhänger' wählte er die mittelalterliche Geschichte des Hans Böhm, eines christlichen Predigers, der nach Marienerscheinungen 'sozialrevolutionäre' Themen predigte. (Und natürlich prompt verbrannt wurde. ;( )

    Aber das ist nicht sein eigentliches Thema. Ihm ging es wohl eher um die Unmöglichkeit der sozialen Revolution damals (1970), um die Unfähigkeit der Linken, neue Ideen mit einer neuen, unverbrauchten, nicht korrumpierten 'Sprache' durchzusetzen.

    Ich liebe Fassbinder ja nun sehr, aber diesen Film fand ich anstrengend. Er ist sicherlich ein wichtiges Glied innerhalb seiner politischen und auch künstlerischen Entwicklung, aber, dass er nun die damalige Situation der '68' genau analysierte, konnte ich nicht sehen. Was ich aber auch nicht gefunden habe, ist die Relevanz für uns Heutige. Er erinnerte mich eher sehr an die damaligen TV-Fernsehspiele mit ihrem zeitbedingt 'progressiven' Charakter. Aber diese Zeit ist halt vorbei. Ich befürchte, dieser Film ist wirklich nur noch historisch interessant. Aber vielleicht habe ich ihn auch nur nicht kapiert. ^^

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Fassbinders Erstling, was die Langfilme angeht. 1969 auf der Berlinale ausgepfiffen.

    Äußerlich am Gangsterfilm orientiert, dabei immer wieder auf große Vorbilder des Filmgenres verweisend, geht es wohl v.a. um den Missbrauch von Gefühlen, um ihre Unmöglichkeit und weniger um die Story und schon gar nicht um ein vordergründig politisches Statement, was ein Grund für die heftigen Reaktionen nach der Aufführung in Berlin sein mag.

    Vieles hat Fassbinder selber erklärend zu diesem Film gesagt, manch andere Deutung und Interpretation kam von anderer Seite dazu. Das ist alles richtig und sicherlich auch in diesem Film vorhanden. Mir erscheint das allerdings alles eher wie ein Wollen, weniger wie ein Können. Das mag den ärmlichen Produktionsbedingungen geschuldet sein, v.a. aber wohl der technischen Unsicherheit des Regisseurs bei diesem Unterfangen. Von daher würde ich nicht zu viel 'hineininterpretieren' wollen.

    Aber die Ansätze sind da. Und es ist v.a. die radikale Absage an ein konventionelles Erzählkino, was einen sofort beeindruckt. Dieser Film ist frech, radikal, gegen den Strich gebürstet. Er hat einen Inhalt, der sicherlich noch nicht so klar formuliert werden konnte, der aber sich entschieden gegen alle damaligen Richtungen wandte. Was einfach schon deutlich wird, ist, dass Fassbinder sofort bereit war, sich zwischen alle Stühle zu setzen, dass er, wie auch immer seine Sympathien waren, sich nicht einfach auf eine Seite schlug, sondern, dass er 'alles Private ist politisch' umkehrte in ein 'alles Politsche basiert auf dem Privaten'. Und da muss hinsichtlich einer gesellschaftlichen Veränderung begonnen werden.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Schon in seiner frühen Münchner-Zeit inszenierte Fassbinder das Stück in einer Bearbeitung am Büchner-Theater. 1970 wurde dann selbst das ZDF auf ihn aufmerksam und es kam zu dieser TV-Fassung.

    Für mich ein Werk des Übergangs, aber auch der Beendigung seiner ersten Filmphase. Die filmische Auseinandersetzung der Beziehungsunfähigkeit, Sprachlosigkeit, emotionalen Verarmung der kleinbürgerlichen Gesellschaft, ihre rigiden Moralvorstellungen zieht sich wie ein roter Faden durch die neun Langfilme, die er davor gedreht hat. Selbst in seinen 'Gangsterfilmen' taucht das als Motiv immer wieder auf. Mit 'Pioniere' kommt er eigentlich noch einmal auch filmisch auf 'Katzelmacher' zurück, was eine Art Abrundung darstellt, was ihm aber wohl auch gezeigt hat, dass er hier zwar inhaltlich noch vieles zu sagen hätte, stilistisch aber so nicht weiterkommen würde.

    'Warnung vor einer heiligen Nutte' im Jahr darauf ist insofern für mich nicht nur eine Abrechnung mit den chaotischen Dreharbeiten am Set von 'Whity', sondern eher eine radikale Bestandsaufnahme und Verdeutlichung seiner damaligen Situation als Filmemacher.

    'Pioniere' überträgt das Theaterstück von Marieluise Fleißer von 1927 in die Gegenwart, was nicht immer aufgeht. Aber es geht Manches in dem Film nicht auf. Fassbinder schildert in oftmals langen Einstellungen das Leben in einer deutschen Kleinstadt zwischen kleinbürgerlicher Ignoranz und Liebessehnsucht. Als Dreh- und Angelpunkt fungiert dabei ein Trupp von Pionieren, die kurzfristig dort stationiert werden, eine Brücke bauen sollen und die Fantasien, Ängste, Sehnsüchte, den Hass, die Verachtung, die Bewunderung der Bewohner entfachen.

    Es gibt unglaublich starke Momente, z.B. das Gespräch zwischen Vater und Sohn am Frühstückstisch, wo die hin und her schwenkende Kamera die Starre, Sinn- und Empathielosigkeit, die Absurdität innerhalb der Gesellschaft offenlegt. Es gibt die Szenen in der Gaststätte, gerade auch die mit den sich schminkenden Frauen oder die mit der verzweifelt um Liebe kämpfenden Hanna Schygulla, die berühren und unglaublich offenbarend sind. Es gibt aber auch die Pioniere beim Brückenbau, was ihm rein filmisch schlichtweg nicht gelingt, was konventionell und gleichzeitig unglaubwürdig wirkt.

    Aber letztlich ist es die Wiederholung des mehrfach Gesagten und Gezeigten, die diesen Film kennzeichnet. Für das Fernsehen war er mit Sicherheit 1970 unendlich radikal, v.a. für das ZDF, aber verglichen mit 'Katzelmacher' oder 'Warum Herr R. Amok läuft' ist er ein Rückschritt.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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  • Voila Brigitte Mira...

    über ihre Arbeit mit ''Rainer Werner'' (25 Min.): Brigitte Mira spricht über Fassbinder und Ali: fear eats the soul (Eng sub) - YouTube

    n'Morgn :)

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • Heute also 'Baal'.

    Kein Film von Fassbinder, sondern von Schlöndorff, aber ohne RWF wohl nicht denkbar.

    Für den Hessischen Rundfunks drehte Schlöndorff 1970 seine Interpretation des 'Baal' von Bert Brecht, was zum sofortigen, gut vierzigjährigen Verbot durch Helene Weigel und später durch die Erben führte. Erst Juliane Lorenz als Vertreterin der Fassbinder-Foundation gelang es, den Film wieder freizubekommen, was dann zu einer Wiederaufführung auf der Berlinale 2014 führte.

    Schlöndorff hat sich v.a. an der ersten Fassung des Stückes orientiert und sie dann in die damalige Gegenwart transponiert. Und anders als bei 'Pioniere in Ingolstadt' geht das Konzept, meiner Meinung nach, sogar auf. Alle sprechen die leicht modernisierten, trotzdem expressionistischen Texte von Brecht, aber im Zusammenklang mit der höchst realistisch gehaltenen Inszenierung ergibt das einen wunderbaren Verfremdungseffekt einerseits, betont aber trotzdem die Künstlichkeit und damit auch Allgemeingültigkeit des Geschehens andererseits.

    So weit, so gut. 'Baal' hat trotzdem Längen, ist dadurch und durch andere inszenatorische Probleme nicht immer überzeugend. Er ist v.a. ein Zeitdokument, das vielleicht sogar teilweise im Heute Gültigkeit hat, aber halt nicht in allen Aspekten.

    Denn letztlich kreist es natürlich um den alles verschlingenden, beherrschenden, aufsaugenden und zerstörenden, anarchistischen Künstler, den ich in dieser Radikalität heute nicht mehr sehe. Damals konnte Schlöndorff noch einen finden und zwar in der Person von Rainer Werner Fassbinder. Fassbinder spielt den Baal, aber er war es natürlich auch. Seine Darstellung ist wirklich überwältigend, weil er, bewusst oder unbewusst, eigentlich sich selber spielt. 'Baal' ist so erstaunlich und weiterhin so lebendig, weil er eines der gelungensten Porträts und eine der besten Deutungen von Fassbinder enthält.

    Der Film ist natürlich auch in filmischer Hinsicht interessant. Fürs Fernsehen gedreht, spürt man ständig die Lust an der Provokation, an dem 'wir machen das jetzt mal anders'. Das waren noch Zeiten, als das deutsche TV solche Filme zur besten Sendezeit präsentierte. Die Reaktion war natürlich dementsprechend. Trotzdem, welch ein Wagemut. Es war schon viel Aufbruch in Deutschland nach 1968.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

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