Immer 'Full Speed' - Rainer Werner Fassbinder

  • Mir war es ja auch zu langsam vor anderthalb Jahren oder so, als ich das Ding stolz aus Saturn nach Haus getragen hab, aber ich will das nicht als Urteil gesehen wissen. Ich halte einfach für möglich daß das nicht der richtige Zeitpunkt war. Man guckt nicht BA so nebenbei, ich habs halt gekauft und gleich reingeschmissen, das war vielleicht der Fehler...

    Allerdings: ich bin schon ein Seriengucker geworden in den letzten paar Jahren. Und da ist schon die sich heftig aufdringende Frage, ob nicht Faßbinders Versuch eine Handlung über 14 Stunden zu halten nicht heute, im Lichte der gewaltigen Qualitätsexplosion die uns HBQ et al beschert haben, nicht völlig antiquiert erscheinen muß...

    Ich guckte unlängst Hannibal (3 Staffeln) und eben gerade "The Wire" (5 Staffeln), die beste Serie überhaupt. Mit sowas kann BA nicht mithalten. Nicht im Geringsten. Das sind Sachen von einer Qualität die sich Faßbinder nicht einmal hätte vorstellen können - - - - und es ist nicht Unterhaltungsmüll a la Game Of Thrones oder so. Das geht sehr tief.

    Und hat natürlich meine Rezeptionsgewohnheiten verändert. Vielleicht ist es für RWFs große Serie einfach zu spät. Die Zeit ist vielleicht einfach drüber hinweggegangen.

    Damals am TV war ich fasziniert. Das kann ja nicht nur ein Irrtum gewesen sein.

    Magst du auch Serien, neben Filmen, lieber Wolfram? Falls du mit sowas mal in Kontakt kommen wollen solltest: The Wire Staffel 1 mal testen :D es ist schon was dran, das ist wie ein sehr sehr komplexer Roman. Das ist groß.

    Hier hat Fassbinder einen auch sehr sehr komplexen (übrigens im meinen Augen kräftig überschätzen) Roman 1:1 verfilmt. Sowas funktioniert aber nicht. (nicht mehr?)

    Aber den Epilog den muss ich noch mal antun. Irgendwann.


    :)

    "Verzicht heißt nicht, die Dinge dieser Welt aufzugeben, sondern zu akzeptieren, daß sie dahingehen."
    (Shunryu Suzuki)

  • Allerdings: ich bin schon ein Seriengucker geworden in den letzten paar Jahren. Und da ist schon die sich heftig aufdringende Frage, ob nicht Faßbinders Versuch eine Handlung über 14 Stunden zu halten nicht heute, im Lichte der gewaltigen Qualitätsexplosion die uns HBQ et al beschert haben, nicht völlig antiquiert erscheinen muß...

    Magst du auch Serien, neben Filmen, lieber Wolfram? Falls du mit sowas mal in Kontakt kommen wollen solltest: The Wire Staffel 1 mal testen es ist schon was dran, das ist wie ein sehr sehr komplexer Roman. Das ist groß.

    Lieber Garcia, das genau bin ich eigentlich nicht. Da ich kein TV besitze und auch ansonsten mich nicht bei Netflix und Co. bediene, habe ich überhaupt keine Ahnung, was es so zur Zeit auf dem Markt gibt. Von daher bin ich eigentlich (Gott, wann bin ich aus dem TV-Bereich ausgestiegen), mit meiner Erfahrung aus den 90iger Jahren an die Serie herangegangen. Und aus dieser Zeit und auch früher gibt es wahrlich genügend TV-Serien, die ich weiterhin sehr schätze, allerdings fällt mir keine ein mit diesem Kunstanspruch. Aber auch 'Acht Stunden sind kein Tag' fand ich toll, nur hier eben hat er für mich den Bogen überspannt. Es sind v.a. die Langatmigkeit und die Kamera, die mich killen.

    Ich weiß nicht, ob der Roman überschätzt ist, gelesen habe ich ihn vor gefühlten Jahrhunderten mal, aber selbst wenn, wieviele fantastische Filme gibt es nach Romanen minderer Qualität. Nur müsste man wohl ein anderes Konzept bei einer Verfilmung haben und eben auch eine gewisse Distanz. Welch ein grandioser Film ist 'Fontane Effi Briest' geworden! Sicherlich ein Werk, das ihm nicht so sehr am Herzen lag wie der 'Alex'. Wir kennen es doch alle. Erzählt man jemanden von seiner großen Liebe, ist das eigentlich doch nur für einen selber interessant, denn die Gefühle, die wir hegen, kann eh niemand nachvollziehen. Will man das aber allgemeinverständlich und allgemein nachvollziehbar darbieten, muss man Bilder finden, die über das Selbsterlebte hinausgehen. Und genau hier hapert es wohl bei Fassbinder und BA.

    Dass die Serienqualität und die Sehgewohnheiten heute eine andere sind, will ich gerne glauben, aber das gilt für all die grandiosen Filmklassiker ebenso. Und trotzdem schauen wir sie uns an, mit Genuss und mit Bereicherung. Nee, ich glaube eher, dass diese Serie in sich schon einen Knacks hat. Jedenfalls für mich. ;)

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Netflix habe ich auch nicht (wie auch ohne richtiges Internet), und TV gibt's bei mir lediglich für Dokus ab und an, alte Tatortwiederholungen oder mal ne Kochsendung. Diese "neuen" Serien konsumiere ich ausschließlich via DVD... Und da möchte ich Dir diese

    mal ganz vehement ans Herz legen :D Dies ist die beste aller Serien nach meinem Wissen, und ungeachtet aller Komplexität und gesellschaftspolitischen Relevanz geht sie enorm ab. Das kostet Zeit, ja (aber da es irgendwie süchtig macht ist das ok), Geld kostet es nicht - auf dem Marketplace gerade unter 2 €.

    Was zum Thema zurückführt. Berlin Alexanderplatz stampft eben immer im gleichen Brei. Da wird einfach viel behauptet und wenig erzählt. Und das ist dann über 14 Stunden (mir) zuwenig. Obs auch an der Romanvorlage liegt weiß ich nicht... Ich hatte den Döblin vor vielleicht 30 Jahren oder mehr mal am Wickel, ich weiß nur noch daß ich ihn als unlesbar abgebrochen hab. "Überschätzt" will ich nicht sagen, Generationen von Lesern lieben das ja, aber ich konnte mit dieser 20er Jahre Collagesache nix anfangen. Für einen 14 sündigen Film jedenfalls gibt das in meinen Augen reichlich wenig her. Ach hätte RWF doch einen eindringlichen 120Minüter draus gemacht... Wenn ihm das Buch dann so wichtig war...

    (Effi Briest hab ich auch noch nicht gesehen, nebenbei, vielleicht weil er als sehr werkgetreu gilt und ich kein Fontanefan bin).

    Die "8 Stunden sind kein Tag" kenne ich nicht, liegt aber hier bereit, ich hoffe sie zündet mehr...


    :)

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    (Shunryu Suzuki)

  • Generationen von Lesern lieben das ja, aber ich konnte mit dieser 20er Jahre Collagesache nix anfangen.

    Naja, ich damals schon. Solch eine experimentelle Literatur mag und mochte ich eigentlich sehr. Aber das ist halt Geschmackssache.

    Ach hätte RWF doch einen eindringlichen 120Minüter draus gemacht... Wenn ihm das Buch dann so wichtig war...

    Oh ja, 120 Minuten und dann sehr experimentell. Das wär's gewesen. ^^

    Effi Briest hab ich auch noch nicht gesehen, nebenbei, vielleicht weil er als sehr werkgetreu gilt und ich kein Fontanefan bin).

    Es ist nicht nur werkgetreu, sondern auch eine wirkliche Literaturverfilmung. Also eine, die ganz neue Akzente setzt.

    Die "8 Stunden sind kein Tag" kenne ich nicht, liegt aber hier bereit, ich hoffe sie zündet mehr...

    Da bin ich mir fast sicher. Nimm es bloß nicht zu ernst. Es ist die Darstellung eines Milieus, von der der Regisseur keine Ahnung hatte. Und das macht er auch deutlich, in dem er ständig mit Klischees spielt, Anders als in vielen anderen und auch heutigen Filmen, in denen die Macher uns nur etwas als wahr vortäuschen.

    Dies ist die beste aller Serien nach meinem Wissen, und ungeachtet aller Komplexität und gesellschaftspolitischen Relevanz geht sie enorm ab.

    Ich werde mich mal informieren. Zum Glück gibt es ja YouTube zum Informieren. ^^

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Heute als ein vorläufiger Abschluss einer der Fassbinder-Krimis:

    Soweit ich das beurteilen kann, vielleicht der Film von ihm, der sich am stärksten in eine Reihe mit der Filmgeschichte stellt. Der US-Gangsterfilm der 30iger Jahre ist da, der Film Noir, die Nouvelle Vague, Andeutungen vom Meldodram, vom Western. Das alles findet man in den Bildern, der Stimmung, der Ausstattung, den Kostümen, schlichtweg überall.

    Was man aber nicht finden wird, ist eine einleuchtende, stimmige Geschichte. Es geht um einen Auftragskiller, der seine Morde auch ausführt, um seine Autraggeber, die aber auch mit der Polizei zusammenarbeiten, es geht um Rückkehr in ein altes Milieu, um inzestuöse Beziehung, Verrat, Showdown und noch Manches mehr. Es geht aber v.a. um eine Huldigung an das Kino und um eine in ihren Grundfesten (Familie, Liebe, Beziehungen) völlig aus den Fugen geratene Gesellschaft. Es gibt keine Moral mehr, keine ehrliche Zuwendung zum Mitmenschen hin mehr, nicht den Hauch von Wärme, keine Identifikationsfigur mehr. Ein durch und durch pessimistischer Film, eine mal wieder radikale Absage an die bürgerliche Gesellschaft, für die Fassbinder eben hier die Form des Gangsterfilms fand, v.a. in der Nachfolge von 'Scarface' (Hawks), in der die Amoralität der Gangster eben Ausdruck ihrer Umwelt ist.

    Es ist ein ganz dürrer, auf das Wesentliche reduzierter Film, atmosphärisch unglaublich dicht und trotzdem finden sich auch immer wieder einzelne Sequenzen, die plötzlich ganz besonders radikal die Entmenschlichung der Gesellschaft offenlegen. Die Szene mit Irm Hermann als Hure und dem Auftragskiller, das Stubenmädchen, dass von einem Mord an einer Putzfrau erzählt (in Grundzügen ist das übrigens schon 'Angst essen Seele auf'), während der Killer hinter ihr mit einer bestellten Frau schläft, dann dessen Familie mit dem wie Peter Lorre aussehenden Kurt Raab und der wunderbar von Eva Ingeborg Scholz gespielten Mutter, was alles wie von Tennessee Williams geschrieben wirkt und dann natürlich die Schlussszene nach dem Showdown, wenn Kurt Raab sich minutenlang in inzestuöser Liebe auf dem toten Bruder wälzt, was an einen Geschlechtsakt erinnert, dem dann die Mutter regungslos zuschaut.

    Ein Film, der mich erneut sehr beschäftigt hat, schon während des Sehens, weil er durch sein Tempo dem Zuschauer alle Freiheiten des Gedankenschweifens lässt. Ein Film voller Anregungen, Verstörungen, des filmhistorischen Wiedererkennens und einer, der noch einmal deutlich macht, wie korrupt und verlogen die Welt immer noch ist, in der wir leben. 1970 formuliert, hat er nichts von seiner Aktualität verloren.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Eine interessante Huldigung an Rainer Werner Fassbinder, gefunden auf YouTube.

    https://www.youtube.com/watch?v=CwTDkq54WvA

    Lucas Curstädt plädiert hier für ein kontroverses, konfliktreiches und Konflikte suchendes Kino, dass er bei Fassbinder findet und das er absetzt gegen die Pseudo-Modernität des amerikanischen Gegenwartskinos, das sozialen Randgruppen oder auch Frauen nur aus Quotengründen Raum bietet. Gerade daraus zieht er die Aktualität Fassbinders und seiner Haltung, wobei er dessen Zitat: 'Ob oben oder untern, ob rechts oder links, ich schieße auf alles, was stinkt.' besonders herausstellt.

    :wink: Wolfram

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  • das er absetzt gegen die Pseudo-Modernität des amerikanischen Gegenwartskinos, das sozialen Randgruppen oder auch Frauen nur aus Quotengründen Raum bietet.

    Nunja, Hollywood war schon immer Hollywood: es war immer ein System auf Gewinnaussischt ausgerichtet. Den wenigen kritischen, konfliktreichen Filmen, die doch entstanden sind, steht eine gewalitge Phalanx aus entschärften Projekten gegenüber. Man muß sich immer darüber im Klaren sein, daß der Kommerz genauso geschadet hat wie er manchmal auch nützt.

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Hollywood war schon immer Hollywood: es war immer ein System auf Gewinnaussischt ausgerichtet. Den wenigen kritischen, konfliktreichen Filmen, die doch entstanden sind, steht eine gewalitge Phalanx aus entschärften Projekten gegenüber.

    Das ist klar. Er meint nur, dass das Mainstream - Kino das politisch Korrekte entdeckt hat, vordergründig jedenfalls, d.h., dass die Rolle der Frau stärker betont wird, die sozialen und geschlechtlichen Randgruppen in den Vordergrund gerückt werden, aber nur scheinbar und darunter weiterhin das Systemkonforme und der Kommerz bestimmen. Halt seine These, der ich aber schon etwas abgewinnen kann.

    Dagegen stellt er eben Fassbinder, der ja nun wirklich bis in tiefere Schichten seiner Filme nichts Vordergründiges und Konformes bietet.

    :wink: Wolfram

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    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Er meint nur, dass das Mainstream - Kino das politisch Korrekte entdeckt hat, vordergründig jedenfalls, d.h., dass die Rolle der Frau stärker betont wird, die sozialen und geschlechtlichen Randgruppen in den Vordergrund gerückt werden, aber nur scheinbar und darunter weiterhin das Systemkonforme und der Kommerz bestimmen.

    Darauf wollte ich hinaus: das ist kein neues Phänomen im Mainstream-Kino. Das gibt es von Anfang an. Beschwichtigung durch Einbeziehung - aber unter der Oberfläche bleibt der Status Quo bestehen.

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    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

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  • Darauf wollte ich hinaus: das ist kein neues Phänomen im Mainstream-Kino. Das gibt es von Anfang an. Beschwichtigung durch Einbeziehung - aber unter der Oberfläche bleibt der Status Quo bestehen.

    Gebe ich dir recht, obwohl ich da noch einen kleinen Unterschied sehe. Ich habe das Gefühl, dass früher eher bestimmte Themen von 'unten', sprich von den Regisseuren, Produzenten und Drehbuchautoren durchgesetzt werden mussten, während heute die großen Verleiher oder auch Firmen wie Netflix selber diese Themen als massentauglich erkennen und sie entsprechend schmerzfrei aufbereiten.

    Kann aber auch ein falscher Eindruck von mir sein.

    :wink: Wolfram

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  • Ich habe das Gefühl, dass früher eher bestimmte Themen von 'unten', sprich von den Regisseuren, Produzenten und Drehbuchautoren durchgesetzt werden mussten, während heute die großen Verleiher oder auch Firmen wie Netflix selber diese Themen als massentauglich erkennen und sie entsprechend schmerzfrei aufbereiten.

    Nee - man mußte mehr Tricks anwenden und mehr zwischen den Zeilen setzen, um etwas Durchzusetzen. Heute wirkt das intelligent und raffiniert; heutzutage kann man Vieles deutlicher ansprechen, was manchmal sehr profan rüberkommt.

    Faßbinder war als Guerilla-Filmer nicht allein. Es gab viele Filmemacher, die ihre eigene Vision umsetzten, wenn sie mit wenig Geld klarkamen.

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  • Faßbinder war als Guerilla-Filmer nicht allein. Es gab viele Filmemacher, die ihre eigene Vision umsetzten, wenn sie mit wenig Geld klarkamen.

    Das bestreitet der Curstädt sicherlich nicht. Ihm ging es um das Werk Fassbinders und seine heutige Aktualität. Es ging halt um Fassbinder.

    :wink: Wolfram

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  • "Weißt du, ich sehe nur, wo überall was brennt und wo was schiefläuft und wo was stinkt. Und ob das jetzt rechts oder links, oben oder unten ist, ich schieße einfach in jede Richtung." (Fassbinder zu Karlheinz Böhm)

    Tumulte und wütende Proteste 1975 bei der Berlinale und am Ende gab es eine Rolle Klopapier als Preis für ihn. Fassbinder machte wirklich Filme, die immer genau den Nerv der Zeit trafen. Die Frage ist natürlich, ob das heute auch noch gilt.

    Rein theoretisch hat der Film nichts von seiner Aktualität verloren. Ok, die DKP gibt es nicht mehr, aber die Ausweglosigkeit, die alle Personen umgibt, (überdeutlich, wie sie alle durch die Kamera in enge Rahmen gepresst werden), die Ausbeutung des Menschen durch Medien und Politik, der Mensch als Mittel zum Zweck, die Sinnlosigkeit von Widerstand, all das kennzeichnet unsere Zeit immer noch. Geändert hat sich wohl eher das Gegenüber, sprich der Zuschauer. 1975 war immer noch eine Hochzeit der Politisierung der Gesellschaft. Davon sind wir Welten entfernt.

    Der Film ist eine bitterböse Darstellung der Hoffnungslosigkeit und der Zynismen, die die Gesellschaft bestimmen, angelehnt an Piel Jutzis berühmtes Sozialdrama 'Mutter Krausens Fahrt ins Glück' von 1929 und grandios beherrscht von Brigitte Mira. Auffallend, wie oben schon angemerkt, die 'Einrahmung' der Personen durch die Kamera, die die Ausweglosigkeit, Hoffnungslosigkeit, aber auch soziale Determiniertheit aller Menschen deutlich macht.

    Fassbinder drehte zwei Schlussfassungen, die eine wird im Film nur durch Einblendungen erzählt (negatives Ende, denn Mutter Küsters wird erschossen), die andere für den amerikanischen Markt gedrehte (positiv, weil ein Neuwendung ihres privaten Lebens angedeutet wird) beendet den Film und wird allerdings im Bonus-Material auch noch einmal bereitgehalten. Was ich nicht verstanden habe, ist, warum die 1. Fassung nicht den eigentlichen Film beendet, stattdessen die 2. gezeigt wird und dann noch einmal als alternatives Ende präsentiert wird. Gibt es die 1. Fassung nicht mehr? Gab es sie womöglich nie und Fassbinder ließ seinen Film mit diesen Einblendungen enden? Keine Ahnung, ich fand es nur recht unbefriedigend.

    Die amerikanische Fassung endet mit einem Happy End, was ich für Fassbinder untypisch finde und auch nicht sehr überzeugend, hat davor aber noch einmal ganz bitterböse Momente, wenn der Sitzstreik der Anarchos von den Angestellten der Redaktion völlig ignoriert wird. 'Ich hab' jetzt Feierabend, ich gehe dann mal.', 'Schönen Abend noch.' - das ist schon sehr witzig dargestellt und offenbart, was das Kapital von Protestaktionen hält.

    :wink: Wolfram

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  • Wenn man dem link so folgt existiert sie wohl eher in einer stark mumifizierten Version. Das ist ja Ideenarchäologie ;(

    Aber Algabal hat recht, technisch, irgendwo im Sediment gibt's das tatsächlich noch.


    :)

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    (Shunryu Suzuki)

  • Wenn man dem link so folgt existiert sie wohl eher in einer stark mumifizierten Version.

    Wie bei Praunheim: Unsere Leichen leben noch. :D

    Aber darf man den in einem Fassbinder-Thread erwähnen? :rolleyes:

    :wink: Wolfram

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  • In einem Fassbinderthread darf man alles erwähnen da Fassbinder nichts egal war.


    :)

    "Verzicht heißt nicht, die Dinge dieser Welt aufzugeben, sondern zu akzeptieren, daß sie dahingehen."
    (Shunryu Suzuki)

  • In einem Fassbinderthread darf man alles erwähnen da Fassbinder nichts egal war.


    :)

    Lieber Garcia, der späten Stunde geschuldet: 'nichts egal' - völlig falsch. Ihm war alles egal. ;)

    Ich dachte vielleicht auch eher an den armen Praunheim. :D

    :wink: Wolfram

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    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Ein Film, der mich schon länger interessiert hat, kam heute per Post und wurde sogleich angeschaut.

    Die Geschichte einer Ehe, bzw. die Bloßlegung ehelicher Konventionen und Rituale.

    Acht Personen treffen auf einem Landsitz zusammen. Ehefrau mit Liebhaber, Ehemann mit Geliebter, behinderte Tochter mit stummer Gouvernante und Haushälterin mit ihrem Sohn. Die Zeit verstreicht gepflegt verlogen bis die Geschichte dann während eines Gesellschaftsspiels, eben dem 'Chinesischen Roulett' aus den Fugen gerät.

    So weit so gut. Was aber den Film wirklich bemerkenswert macht und einmal mehr sich tief in einen eingraben lässt, ist die filmische Umsetzung, sind die Bilder, die Szene, die Musik und auch schauspielerischen Leistungen.

    Fassbinder lässt durch Michael Ballhaus die Personen immer umkreisen, an den Rand des Bildes rücken, sich spiegeln, durch Glaskonstruktionen undeutlich werden, durch Türrahmen eingrenzen. Ständig ergeben sich neue Figurenkonstellationen, aber kaum jemals finden die Personen wirklich innerhalb eines Bildes zu sich selber. Sie bleiben unscharf, unfertig, unklar v.a. auch für sich selbst. Immer wieder hat man das Gefühl, einem Ballett zuzuschauen, in dem die Personen vorgegebenen Wegen folgen. Der ganze Film strahlt eine Kühle und Künstlichkeit aus, die für Fassbinder in direktem Bezug zur Einrichtung der Ehe steht. Das alles natürlich mit den Mitteln des Melodrams dargestellt.

    Für mich ein zunächst verstörender, verwirrender Film, der aber im Verlauf eine große, bezwingende Wirkung auf mich ausübte und der nachklingt. Und das ganz stark.

    :wink: Wolfram

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