HÄNDEL: Tamerlano HWV 18
Der Tamerlano wurde hier ja weiter oben schon genannt als eine der interessantesten Händel-Opern! Die Meinung teile ich, eigentlich hätte er einen eigenen Thread verdient... Die von Dir verlinkte Aufnahme habe ich nicht, sondern eine ältere unter Gardiner, die ich sehr liebe. Vor einiger Zeit hatte ich aber mit palestrina mal eine kurze Diskussion zum Tamerlano bei Eben gehört -- ich glaube er hat die verlinkte Aufnahme, vielleicht kann er etwas dazu sagen...
- In Handel'schen Opern und Oratorien sterben sowohl die Guten als auch die Bösen: beliebig herausgegriffen: ...
der Tod des Bajazet im dritten Akt der Oper Tamerlano HWV 18 ist in seiner Intensität in einer halbwegs guten Live-Aufführung absolut atemberaubend;
Alles anzeigen---> Georg Friedrich Händel: TAMERLANO (UA 31.10.1724)
Auch Händels "Tamerlano" hat im Forum bisher kaum Spuren hinterlassen. Daher erneut ein Link zu Wiki, diesmal auf deutsch – ausführlich und lesenswert:
---> Tamerlano (Wikipedia)Ohne Zweifel nimmt der "Tamerlano" in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung unter Händels Opern ein. Die Hauptrolle (Bajazet) hat hier unüblicherweise kein Kastrat und keine Primadonna zu singen, sondern ein Tenor, dem zu allem Überfluss auch kein lieto fine sondern ein Selbstmord nach einer heftigen Wahnsinnsszene zugedacht ist.
Der "Tamerlano" gehört zu meinen engsten Favoriten unter den Händelopern, in Form von dieser schon etwas älteren Aufnahme (Gardiner, 1985):Die jüngste Einspielung ist wohl diese hier:
Wer's lieber in Ton und Bild hat, könnte z.B. anhand dieser DVD Plácido Domingo als Händel-Interpret testen:
Amaryllis
Jetzt aber! Wenn niemand sonst, dann halt ich als einmal mehr begeisterter Neuentdecker. Unbedingt empfehlenswert hier die ausgezeichnete, oben ja auch angeführte wikipedia Werkeinführung!
Hier nur in Kürze, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit:
Georg Friedrich Händels Dramma per musica Tamerlano HWV 18 wurde am 31.10.1724 im King´s Theatre am Haymarket in London uraufgeführt. Das Libretto stammt von Nicola Francesco Haym. Für eine Opera seria ungewöhnlich ist das Selbstmordende der Hauptrolle Bajazet.
Der Inhalt:
Anfang des 15. Jahrhunderts: Der Tatar Tamerlano konnte den osmanischen Sultan Bajazet besiegen und gefangen nehmen. Ihm winkt die Ehe mit Irene, doch er begehrt Bajazets Tochter Asteria, die aber, was auf Gegenseitigkeit beruht, den griechischen General Andronico liebt. Als Tamerlano von Andronico fordert, für ihn bei Asteria zu werben, nimmt das Drama seinen Lauf. Asteria geht zum Schein darauf ein, in Wirklichkeit will sie Tamerlano töten. Doch vor dem entscheidenden Moment muss sie sich selbst entlarven. Schließlich bekennt sich Andronico zur Geliebten. Asteria versucht es in ihrer Verzweiflung ein zweites Mal, diesmal mit Gift, doch Irene warnt Tamerlano rechtzeitig. Bajazet opfert sich mit dem Selbstmord durch Gifteinnahme und rettet damit Asteria. Tamerlano ermöglicht kurzerhand das Happy End, er mit Irene, Andronico mit Asteria.
Mein erster Eindruck:
Georg Friedrich Händels operndramatische Musiksprache überzeugt auch hier mit berückender empfindsamer Menschlichkeit. Die Charaktere und ihre Empfindungen erfahren in den (ausführlichen!) Rezitativen und Da capo Arien sowie einem Terzett, einem Duett und dem Schlusschor einmal mehr wunderbar mitfühlbare Zeichnungen.
Sofort nimmt mich die Ouvertüre mit in diese barocke Opernmusik, sofort ist man mittendrin im Geschehen, wenn der gefangene Bajazet auftritt und seine erste stolze Arie singt. Man sollte (nicht nur) bei dieser großen ernsten Händel Oper genau hinhören und den Text mitverfolgen, das geht alles so ungemein zu Herzen, wenn man sich ganz darauf einlässt.
Die Identifikationsfiguren sind für mich das Liebespaar Asteria und Andronico mit ihren Arien zwischen inniger Liebe und großer Verzweiflung sowie der stolze und empathische Bajazet. Tamerlano ist der arrogant-selbstgefällige, mit seiner Macht spielende Herrscher, und Irene weiß geduldig auf ihr Ziel, neben dem Herrscher am Thron sitzen zu können, hinzuarbeiten.
Ihnen allen und auch zwei Nebenfiguren (eine davon eine Basspartie) hat Händel optimale Charakter- und Empfindungsnummern komponiert.
Und doch ragen für mich einmal mehr (wird man speziell von besonders beseelten Verzweiflungsnummern angesprochen) Asterias Arie Nr. 9 im 1. Akt Deh, lasciatemi il nemico und im 3. Akt ihre Arie Nr. 27 Cor di padre e cor d´amante sowie ihr Duett mit Andronico Nr. 29 Vivo in te mio caro bene und schließlich ihr Accompagnato Padre, amante mit anschließendem Arioso e Recitativo Folle sei heraus, alles innigste, berührende Opernverzweiflung.
Ungewöhnlich war wie man liest 1724 die Besetzung eines Tenors mit der Hauptpartie des Bajazet, und vor allem weil damals ein „Star“ engagiert wurde, musste Händel diesem einen operndramatisch besonders wirkungsvollen Abgang nach komponieren, Accompagnato und Rezitativ, Arioso und nochmal Accompagnato, und der hat es wirklich in sich (siehe auch Giovanni di Tolons Bemerkung oben). Bajazet hat das tödliche Gift genommen, kehrt zurück auf die Bühne, liefert einen unberechenbaren „Wahnsinnabgangsauftritt“ und nimmt bewegend Abschied von der Tochter, eine Szene, die die in ihrer psychologisch-operndramatischen Intensität nahezu die großen Verdiopern-Sterbeszenen antizipiert.
Der Schlusschor danach (ohne Asteria) erklingt nicht festlich, sondern melancholisch und endet in Moll, auch das ist ungewöhnlich.
Ich habe das Werk dieser Tage mit diesem DVD Set kennen- und liebengelernt:
Die 50. Händel-Festspiele Halle brachten im Juni 2001 im Goethe-Theater Bad Lauchstädt eine Inszenierung des Werks von Jonathan Miller zur Aufführung, die fürs Fernsehen mitgeschnitten und in 3sat gesendet sowie auf DVD bei Arthaus veröffentlicht wurde.
Mein Eindruck:
Es ist eine statische Inszenierung, die der Musik die vollkommene Kontrolle überlässt, wodurch man sich allerdings umso besser auf die feinfühlig komponierte Musik konzentrieren kann. The English Concert unter der Leitung des großartigen Cembalisten und Dirigenten Trevor Pinnock spielt das alles fabelhaft lebendig, farbig und beseelt.
Miller versetzt uns in die europäische Sichtweise der Orientatmosphäre zu Händels Zeit, mit einem Einheitsbühnenbild (nur goldbraune Kulissen im Hintergrund und ein Thronstuhl davor) und farbenprächtigen Kostümen.
Die gesanglich kongenial besetzten und einheitlich ideal singenden Mitwirkenden bei denen niemand abfällt müssen in der Statik des Bewegungsablaufs aus der Kraft der Musik heraus sowie mit Mimik und Gestik durchkommen, was ihnen hervorragend gelingt - schon allein deren Intensität wegen, die von der ersten bis zur letzten Minute ganz für dieses Werk einnimmt.
Thomas Randles Bajazet hat nicht nur eine der dankbarsten Händel-Opernszenen für sich, Elisabeth Norberg-Schulz darf als Asteria innig bewegen (zweimal plant diese Opernfigur einen Mord, aber die Verzweifelte bleibt dank Händels Musik eine Sympathieträgerin!) genauso wie der Countertenor Graham Pushee als Andronico, fabelhaft selbstgefällig gibt Monica Bacelli den Tamerlano und bauernschlau zurückhaltend wie umso zielstrebiger Anna Bonitatibus die Irene.
Die Fernsehaufzeichnung vermittelt durchaus eindrücklich die wunderbare Barockopernaufführungsatmosphäre des von Goethe mitentworfenen Provinztheaters in Bad Lauchstädt.
Das umfangreiche Begleitmaterial bringt ein Making of (das damals noch seriös dokumentarisch gemacht wurde und auf die gegenseitigen Lobhuldigungen gänzlich verzichtet) sowie Interviews mit wichtigen Persönlichkeiten der Händel Festspiele.
Wer will, findet im Netz bald informativ Geschriebenes zu einer Münchner Premiere aus dem Jahr 2008.
https://www.youtube.com/watch?v=xoGdyjZoME0
Und im September 2014 konnte man in Hamburg eine konzertante Aufführung mit Il Pomo d´Oro unter der Leitung von Maxim Emelyanychev erleben. Das Programmheft ist auf der NDR Homepage verfügbar.
https://www.ndr.de/orchester_chor…rammheft676.pdf
Bin nun auch sehr froh, diese Oper in meine chronologische Händel-Reise mitgenommen zu haben. (Demnächst selbstverständlich Rodelinda, was sonst... )
Herzlich willkommen nach über elf Jahren Capriccio im Tamerlano Thread!