HÄNDEL: Alessandro HWV 21 (1726)

  • HÄNDEL: Alessandro HWV 21 (1726)

    Neben der bereits seit 1723 in London aktiven Starsopranistin Francesca Cuzzoni (1696-1778) engagierte die Royal Academy of Music 1725 auch noch deren Kollegin Faustina Bordoni (1697-1781) – womit sich für Georg Friedrich Händel die Herausforderung ergab, erstmals eine Oper für zwei Sopranstarvirtuosinnen (neben dem Kastraten der Hauptrolle) zu komponieren.

    Das Ergebnis ist das am 5.5.1726 im King´s Theatre am Haymarket in London uraufgeführte Dramma per musica Alessandro (HWV 21). Das Libretto stammt von Paolo Antonio Rolli, nach einer Vorlage von Ortensio Mauro.

    (Zum „außermusikalischen Zickenkrieg“ zwischen den beiden kam es „erst“ am 6.6.1727 bei einer Aufführung der Oper Astianatte von Giovanni Battista Bononcini. Und Faustina Bordoni heiratete 1733 den deutschen Komponisten Johann Adolph Hasse.)

    Wikipedia bietet eine ausführliche historische und analytische Werkeinführung, die unter anderem die Vorlage mit dem aus Kompromissgründen schwächeren Libretto vergleicht und detailliert auf die musikalischen Höhepunkte verweist.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Alessandro_(Oper)

    Ich habe das Werk dieser Tage in Fortsetzung einer Händel-Werkreise, die chronologisch mit "Almira" begann, mit zwei Aufnahmen kennengelernt.

    Der griechische Dirigent George Petrou leitete im September 2011 eine in Athen in der Konzerthalle Megaron im Dimitris Mitropoulos Saal entstandene Ende September 2012 veröffentlichte Studioaufnahme (3 CDs Decca 4784699) mit dem Countertenor Max Emanuel Cenčić (Alessandro), der damals aufstrebenden, gerade neuentdeckten Julia Lezhneva (Rossane), Karina Gauvin (Lisaura), dem Countertenor Xavier Sabata (Tassile), dem Bass In-Sung Sim (Clito), Wassili Koroschew (auch ein Counter als Cleone) und dem Tenor Juan Sancho (Leonato). Das Orchester Armonia Atenea spielt auf authentischen Instrumenten.

    Im Februar 2012 wurden mehrere Vorstellungen dieser Oper im Badischen Staatstheater Karlsruhe mitgeschnitten. Das vom in Mainz geborenen Dirigenten und Blockflötisten Michael Form dirigierte Ergebnis wurde von Pan Classics eindreiviertel Monate vor der Decca-Studioproduktion Anfang August 2012 veröffentlicht (3 CDs PC 101273). Hier singen der Countertenor Lawrence Zazzo (Alessandro), Yetzabel Arias Fernández (Rossane), Raffaella Milanesi (Lisaura), der Countertenor Martin Oro (Tassile), Andrew Finden (Bariton, Clito), Sebastian Kohlhepp (Tenor, Leonato) und Rebecca Raffell (als Cleone hier also eine Altistin). Es spielen die Deutschen Händel-Solisten.

    Worum geht es?

    Am erfolgreichen Eroberer Alessandro, dem mazedonischen König (aktueller Einsatzort: Ossidraca), sind zwei Rivalinnen dran – die persische Prinzessin Rossane, ihrerseits vom makedonischen Fürsten Cleone begehrt, und die skythische Prinzessin Lisaura, in die der indische König Tassile verliebt ist. Alessandro hat die Wahl und lässt die beiden zappeln. Dieser Handlungsstrang füllt etwa drei Viertel der Oper.

    Im anderen Handlungsstrang ist der an sich Alessandro treue mazedonische Fürst Clito nicht damit einverstanden, dass Alessandro sich als göttergleich betrachtet. Daraus ergeben sich Konflikte, bis Clito eingesperrt und dann aber befreit wird und sich einer Verschwörung anschließt, die aber niedergeschlagen wird.

    Cleone (der Clito vorübergehend entkommen lassen musste) hat, was Rossane betrifft, zurückgesteckt. Zum Happy End wird den Verschwörern verziehen und Alessandro hat sich für Rossane entschieden, womit auch Lisaura und Tassile miteinander glücklich werden können.

    Mein erster Höreindruck zur Musik:

    Georg Friedrich Händel weiß vor allem die Erwartungen der drei Hauptmitwirkenden (die vokal glänzen wollen) wie des Publikums (das auf die „Arienduelle“ scharf ist) zu erfüllen. Im 1. und im 3. Akt ist dies fast durchgehend eine Vokalvirtuosenoper mit einer virtuosen Arie nach der anderen.

    Dafür tut sich in drei Viertel des 2. Akts ein zauberisches Gefühls-Wechselspiel der unentschiedenen privaten Situation zwischen Alessandro, Rossane, Lisaura und Tassile in einer großen Gartensequenz auf, innig, verzweifelt, aber auch mit augenzwinkerndem Humor zwischendurch.

    Dienen die Arien in dieser Oper fast ausschließlich der Demonstrationsmöglichkeiten vor allem der drei Hautrollen, so bestechen umso mehr alle ja vom Orchester mitgetragenen Accompagnato-Rezitative und Ariosi (vor allem der Frauen!) mit farbiger Innigkeit. Alessandro hat acht Arien für sich, die beiden Diven haben je sieben und zwei Duette.

    Im 1. Akt, der mit einer dramatischen Eroberungsszene beginnt, hat inmitten der Virtuosenarien der unglücklich verliebte Tassile die innigere Arie Nr. 7 Vibra, cortese Amor, un altro strale für sich. Dieser 1. Akt endet mit dem ersten Konflikt zwischen Alessandro und Clito, einem Besänftigungsduett der beiden Frauen für Alessandro und einer Alessandro-Arie.

    Der Beginn des 2. Aktes wird für den Schreiber dieser Zeilen zum erstaunten, beglückenden Urerlebnis wie vor vielen Jahren die Erstbegegnung mit der Cavatina Porgi amor der Gräfin in Mozarts „Le Nozze di Figaro“- das wunderschön farbig instrumentierte und innig komponierte Accompagnato-Rezitativ und Arioso der verunsicherten, schläfrigen Rossane, Nr. 20 Solitudine amate in cui sfogarmi lice una fiamma infelice/Aure, fonti, ombre gradite. (Für solche Entdeckungen lohnt es sich, lebenslang Musikliebhaber zu sein!)

    Innig ragen für mich in diesem so zauberischen Garten-Großteil des 2. Aktes auch noch Tassiles Arie Nr. 23 Sempre fido e disprezzato, Lisauras Arie Nr. 24 Che tirannia d´Amor! und Alessandros auch überraschend ruhige Arie Nr. 29 Il cor mio, ch´è già per te tutto amore e tutto fé heraus.

    Händels Fähigkeit, auf den Punkt eine eindrucksvolle markante Arie nach der anderen vorzulegen (und dabei keine der beiden Sopranistinnen zu benachteiligen!) zeigt sich in diesem Akt für mich auch in Rossanes „Singvogel“-Arie Nr. 25 Alla sua gabbia d´oro suol ritornar talor quell´augellin (mit der Flöte dazu!) und bald danach in Lisauras „Rehkitz“-Arie Nr. 27 La cervetta nei lacci avvolta.

    Dauert der 1. Akt der insgesamt ca. 190 Minuten langen Oper fast 80 Minuten, werden die Folgeakte immer kürzer, der zweite knapp über 65 Minuten und der dritte, der rasch zum Happy End führt, nur mehr eine Dreiviertelstunde. In der Karlsruher Aufnahme ist in diesem 3. Akt die für die Bordoni nachkomponierte Arie L´armi implora (statt Rossanes Arie Nr. 37 Tempesta e calma sento nell´alma) eingefügt, eine große getragene Zehnminutenarie auch mit schöner Flötenstimme dazu, womit Rossane hier nach ihrer auch herausragenden Arie Nr. 34a Brilla nell´alma ein Drittel des ganzen Akts für sich hat. Das Ende kommt rasch und „schmerzlos“. So schnell wie die Verschwörer besiegt sind, verzeiht Alessandro ihnen und erledigt auch das Private ruckzuck.

    Sympathieträger sind in dieser Oper für mich keineswegs der egozentrische Gottmacht- und Beziehungsspieler Alessandro, sondern vor allem Rossane, ihr Kontrapunkt Lisaura und Tassile - und sogar Clito.

    Mein Eindruck, die Aufnahmen betreffend:

    So wie ich es höre, will die Decca-Studioaufnahme einen hohen perfektionistischen zeitgemäßen Anspruch erfüllen – klare Weltklassestimmen und ein funktionell hochgezogenes Orchesterspiel. Das wirkt auf mich gesanglich eindrucksvoll, differenziert und geschärft, vom Orchester aber zu funktionell, zu „abgerufen“. Julia Lezhneva berückt mit ihrer Talentprobe als Rossane für mich stimmlich am meisten. Karina Gauvins Sopranstimme ist etwas dunkler und kantiger, das passt finde ich gut zusammen.

    Das große Plus der Karlsruher Liveaufnahme (der Mitschnitt einer Produktion der 35. Händel-Festspiele in der Regie von Alexander Fahima) sind für mich das natürlicher, erdiger wirkende Orchesterspiel und die Spannung eines Livemitschnitts, die eine im Studio nicht erzeugbare Intensität vermittelt. Sängerisch wirkt alles etwas eingeebneter, salopp würde ich sagen „gute 2. Reihe“. Die schärferen Konturen der Studioaufnahme stärken auch die Konzentrationsfähigkeit beim Durchhören, hier hingegen hängt trotz der Livespannung manches durch, was gleichwohl niemandem anzulasten ist. Mit dem natürlich fließenden Duktus dieser Aufnahme hört man wieder andere Orchester- und Gesangsdetails durch und das ist auch wunderbar bereichernd. Man wird damit auch für andere Arien sensibilisiert.

    Es ist einiges gestrichen gegenüber der Decca-Aufnahme, aber hier zeigen sich die Bookletverantwortlichen superseriös, sie geben genau an, was herausgefallen ist und (oben bereits genannt) ausgetauscht wurde. Der 1. Akt endet in Karlsruhe mit dem Besänftigungsduett der Primadonnen, Alessandros Rezitativ und Arie fallen weg. Und im 3. Akt sind die Alessandro-Arie Nr. 36 Pupille amate und danach Rossanes Rezitativ Numi eterni und ihre Arie Nr. 37 Tempesta e calma sento nell´alma gestrichen, stattdessen gibt es eben die von Händel nachgereichte getragene alternative Rossane-Glanzarie L´armi implora dal tuo figlio. Schon allein dieser Entdeckung wegen (nicht als Einzelarie, sondern im Kontext einer alternativen Gesamtaufnahme) freue ich mich, beide Aufnahmen kennengelernt zu haben. Gestrichen ist hier auch das „Vor-Finale“ mit Alessandro, Rossane und Lisaura.

    Und demnächst freue ich mich auf der Weiterreise auf "Orlando". 8)

    Und der Thread sagt HERZLICH WILLKOMMEN und will vielleicht erobert werden wie Ossidraca!

    Quellen: wikipedia, die CD-Booklets und Silke Leopolds Händel-Opernbuch (Bärenreiter)
    Zwei Premierenkritiken aus Karlsruhe:
    https://www.klassikinfo.de/alessandro-karlsruhe/
    http://www.operapoint.com/?p=3657

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

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