HÄNDEL: Aci, Galatea e Polifemo HWV 72

  • HÄNDEL: Aci, Galatea e Polifemo HWV 72

    Georg Friedrich Händels etwa 95 Minuten lange Serenata a tre Aci, Galatea e Polifemo HWV 72 auf ein Libretto von Nicola Giuvo nach einer Vorlage aus Ovids Metamorphosen wurde am 19.7.1708 bei einer Hochzeit in Neapel uraufgeführt.

    Der eifersüchtige, auf- und zudringliche Zyklop Polifemo (ein Bass) (zer)stört das Liebesglück des Schäfers Aci (ein Sopran) mit der Nymphe Galatea (ein Alt) letztendlich, indem er Aci tötet. Auf Galateas Bitten wird Aci dann aber in einen Fluss verwandelt, womit sie ihn im Wasser wiederfinden kann.

    Inhaltlich ähnlich, aber musikalisch mit anderer Musik, wird Händel 1718 die Masque Acis and Galatea HWV 49 vorlegen, zu der es bereits einen Thread gibt.

    Erhellendes dazu findet man hier im Forum auch andernorts:

    Es gibt drei komplett verschiedene Stücke:
    Die englische Masque Acis and Galatea HWV 49 von 1720 (Cannon, für den Duke of Chandon) und die italienische szenische Kantate Aci, Galatea e Polifemo HWV 72 von 1708 (Neapel, nicht Roml).
    Und dann gibt es noch ein von Händel selbst angefertigtes Pasticcio aus beiden ohne eigene HWV-Nummer von 1732 (London, Haymarket), das auch ein ein paar neue und ein paar überarbeitete Nummern enthält, welches zweisprachig italienisch und englisch (letzteres 6 Nummern) gesungen wird. In der Chrysander-Ausgabe sind die ergänzten/geänderten Nummern der Kantate HWV 72 beigefügt. Der Anlaß für dieses Pasticcio waren wohl unautorisierte Aufführungen von HWV 49 in den Jahren 1731/32, was Händel veranlaßte, das Ganze noch einmal neu zu fassen. In der Fassung von 1708 singen 3 Personen (Aci, Galatea, Polifemo), in der von 1720 4 Personen (der Schäfer Damon ist neu) und ein Chor, 1732 sind insgesamt 9 Solisten erforderlich (Aci, Galatea, Polifemo, Clori, Sylvio, Filli, Dorinda, Eurilla, Damone) und Chor.
    In dieser Version von 1732 ist für Aci "Contralto (Soprano)" (sowohl im c- als auch im Violinschlüssel notiert- und für Galatea "Soprano" (Violinschlüssel) vorgesehen. Die Sänger waren damals Signore Senes (Aci) und Signora Strada (Galatea), also so, wie man es erwarten würde. Im Original von 1708 ist aber tatsächlic der Aci im Violinschlüssel und die Galatea im c-Schlüssel notiert - in barocker Symbolik Vollweib mit jugendlichem Liebhaber...
    In HWV 49 singt den Acis ein Tenor (sehr männlich) und die Galatea ein Sorpan (jugendlich)

    Neugierig aufs Werk macht dann etwa dieser Beitrag zu den Göttinger Händel-Festspielen von 2012:

    Bei Aci, Galatea e Polifemo HWV 72 ist kurzfristig die geplante Sängerin (Christine Rice) der Galatea ausgefallen, man hat mit Hilary Summers eine erfahrene und zuverlässige Kraft am Vortag zu der halbszenischen Aufführung eingeflogen. Für mich war diese Version des Stoffs eine Novität, insofern mag ich von dieser frühesten Fassung des Stücks noch ein wenig schwärmen. Wie alle Stücke, die Handel in seinen römischen Tagen geschrieben hat, ist es außerordentlich virtuos, für heutige Ohren ist es überraschend, dass die männliche Rolle des Aci von einem Sopran gesungen wird, die Frauenrolle von einem Mezzo. In Göttingen wurde das noch dadurch verstärkt, dass Gilian Ramm eine sehr kleine Statur hat, Hilary Summers dagegen einen guten Kopf größer ist. Sie überragte sogar Antonio Abete als Polifemo körperlich, was dem Stück eine hübsche Brechung gab. Sängerisch waren die Damen sehr zuverlässig, Antonio Abete hatte mit einigen (tatsächlich sehr) tiefen Tönen seine Not, war aber eigentlich die beste Besetzung. Ein besonderer Leckerbissen und der absolute musikalische Höhepunkt war die Arie des Aci 'Qui l'augel da pianta' mit ausführlichsten, ebf. sehr virtuosen Solopassagen von Oboe, Violine und Violoncello. Aber auch die beiden anderen Rollen haben sehr beeindruckende Arien (z.B. Galatea: Ságita in mezzo all'onde bzw. Polifemo: Fra l'ombre egl'orrori mit sehr delikaten Orchesterbegleitungen). Eingeleitet wurde das Stück durch eine kürzlich editierte 'Dresdner Fassung' des Concerto grosso B-dur op. 3,1, von deren Existenz ich vorher nichts wusste.

    Gruß Benno

    Ich habe das Werk gestern und heute mit dieser Aufnahme kennengelernt:

     

    Mein erster Eindruck:

    Händel baut auch hier, in dem Dreipersonenmusikdrama (es wurde aber eben als Serenata, als Huldigungsmusik, uraufgeführt, nicht als Oper), auf mit (den Inhalt weiterführende) Rezitativen eingeleitete Arien, Accompagnati, ein Duett (gleich zu Beginn) und drei Trios, zwei davon Schlussensembles.

    Und was für Musik wieder, dramatisch und dann doch vielfach so berückend empfindsam! Zauberisch schon der Einstieg mit der Siciliana-Ouvertüre! Und nach dem Liebesduett, mit dem man in die Szene einsteigt, folgt gleich eine ganz große, schmerzerfüllte Galatea-Aria, die man sofort in die Liste der (vielen) schönsten Händel-Arien überhaupt aufnimmt, Sforzano a piangere.

    Wer sich schon etwas in Händels Werke eingehört hat, staunt dann nicht schlecht: Galateas nach etwa 45 Minuten zu singende Aria S'agita in mezzo all'onde mit ihrem lieblichen pastoralen Zweiflötentonfall ist nichts anderes als die tontönliche Wiederverwertung von Esilenas erster Aria Nasce il sol, e l’aura vola aus dem ein paar Monate zuvor in Florenz uraufgeführten "Rodrigo".

    Es gibt einige weitere innigere Arien, auch der vielfach virtuos auftrumpfen könnende Polifemo...

    zumindest bewegt sich der benötigte Tonumfang dort im "normalen" Bassbereich. In der 1708-Version (HWV 72) gibt es allerdings ein paar wilde Sprünge im Bereich von 2 Oktaven und darüber (in Fra l'ombre e gl'orrori z.B. f'-F, g'-B, as'-B und a'-D) Gleichzeitig a' und D gut zu haben ist schon eine Leistung (ich kann's nicht.... :( ), von den Koloraturen ganz zu schweigen.

    ...darf zwischendurch innehalten und seine unerfüllte Liebespein schildern, aber unbedingt genannt müssen meiner Meinung nach noch zwei Aci-Arien werden: die zauberisch tänzerische, „wie im Himmel schwebende“ „Vogel“-Aria Qui l'augel da pianta in pianta nach etwa einer Stunde und die „Sterbearia“ Verso gia l'alma col sangue, nachdem Aci tödlich verletzt wurde, die mich mit ihren magisch-berückenden gleichmäßigen Akkordwiederholungen an Purcells „King Arthur“-Eiseskälte gemahnt.

    Das Werk mit der Fernseh- und CD-Aufzeichnung einer Liveaufnahme aus dem Teatro Carignano in Turin vom 18. und 19.6.2009 kennenzulernen (DVD Dynamic 33645, 2 CDs Dynamic CDS 645/1-2), gleicht für mich (bin halt so begeisterungswillig bei Musik) einer Offenbarung – man erlebt eine energische Aufführung in intelligenter Regie und mitreißend gesungener wie gespielter musikalischer Darstellung.

    Für Bühnenbild und Regie zeichnet Davide Livermore verantwortlich. Antonio Florio dirigiert das Orchestra Barocca Cappella della Pietà de´ Turchini. Aci ist die Sopranistin Ruth Rosique (Cristina Banchetti Acis Pantomime), Galatea die Altistin Sara Mingardo (Pantomime Luisa Baldinetti) und der Polifemo der Bass Antonio Abete (Pantomime Sax Nicosia).

    Wir blicken in ein verzerrt heruntergekommenes Barocksaloneck, dessen Wände zu Filmprojektionsflächen mutieren können. Über der Szene breiten sich vielfach riesige, unheimliche, bedrohliche Vogelschwingen aus. Die Kostüme evozieren „Alltagsbarock“. Aci hat eine blaue Perücke und Hose und einen roten Rock. Polifemo ist ein rabiat zudringlicher vermeintlicher Landedelmann. Die energische Inszenierung, die das Bedrohliche, Verhängnisvolle der Geschichte in den Vordergrund stellt, gibt jeder Figur wie bereits die Aufzählung oben andeutet eine pantomimische Verdeutlichungskopie, die Gesungenes, Gedachtes und Gewünschtes vielfach ausspielt, auch nackten (lesbischen) Geschlechtsverkehr (vor Acis Tod, Aci wird hier erschossen) und einen Vergewaltigungsversuch (gleich danach).

    Das Energische, Herbe der Inszenierung wird durch den erdig-lebendigen musikalischen Grundton, der gleichwohl mit dem Optischen stark intensiviert erscheint, kongenial unterstützt.

    Eine "musikwissenschaftliche" Frage hat sich für mich mit den "Grabungen" bei Capriccio zum Werk auch ergeben.

    Wenn das so gewesen wäre, hätte es kein Skandal gegeben, als Bononcini einen Madrigal von Lotti unter seinem Namen veröffentlicht hat... Wenn das damals anstößig war, dann aber müssten die Plagiate von Handel (zB. die Übernahme einer kompletten Arie (unbearbeitet!) von Bononcinis Polifemo in sein eigenes Aci, Galatea e Polifemo) eben so anstößig gewesen sein...

    Arie von Polifemo: "Precipitoso nel mar"

    Die ganze Arie ist ohne jede Änderung von Händel übernommen worden.

    LG
    Tamás
    :wink:

    Bei Handel kann man das nie wissen... :D (Ich weiß es nicht: kann es mir aber gut vorstellen.)

    LG
    Tamás
    :wink:

    Hier die Polifemo-Aria aus Händels Werk: https://www.youtube.com/watch?v=uO0NoW1nzQc

    Von Bononcinis Oper finden sich derzeit zwei Aufnahmen bei jpc, eine historische deutschsprachige und eine, die demnächst veröffentlicht wird. (Man kann aber schon hineinhören.)

     

    Finde die hier diskutierte Polifemo-Arie bei Bononcini nicht. ?(
    Falls hier jemand helfen kann - bitte danke!

    Auf jeden Fall gibt es etwa noch andere Aufnahmen der Händel-Serenata a tre, etwa diese...

     

    ...oder eine, die Agravain unter anderem schon hier vorgestellt hat:

    Und jedenfalls an dieser Stelle ganz herzlich willkommen im Thread zum Werk!

    Quellen: wikipedia, Capriccio (siehe oben) und die DVD/CD-Booklets.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

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