Operntelegramm der Saison 2020/21

  • Operntelegramm der Saison 2020/21

    Thread für Berichte besuchter Opernaufführungen der Saison 2020/21 und etwaigen Austausch darüber – sofern Opernvorstellungen situationsbedingt überhaupt möglich sind.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Fr., 11. September 2020: WIEN (Staatsoper): Richard Strauss, Elektra

    „Wenn Elektra gespielt wird, dann ist das der Sollzustand, alle anderen Werke dienen nur zur Überbrückung bis zur nächsten Elektra.“ hat einmal ein Freund formuliert, und diese Aussage bestätigte sich heute einmal mehr. Nach corona-bedingter halbjähriger Musikpause (ein überraschender Besuch bei der Styriarte Mitte Juli in Graz zählt nicht) war es natürlich besonders schön, die beste Strauss-Oper, vielleicht sogar die beste Oper überhaupt, live zu hören. Dass das Stück WIRKLICH genial ist, merkt man sogar auch dann, wenn gerade einmal Franz Welser-Möst das (heute sehr gut disponierte) Staatsopernorchester dirigiert – ein Boder oder Metzmacher ist er nicht und wird er nie sein, aber Befürchtungen ob seiner (von mir ausdrücklich NICHT begrüßten) Rückkehr an die Staatsoper stellten sich als unnötig heraus.

    Obwohl ich, wie hoffentlich die meisten Besucher, in erster Linie wegen der Musik in die Oper gehe und Inszenierungen keine sonderlich große Bedeutung beimesse, habe ich mich riesig auf die Wiederaufnahme der hervorragenden, von Dominique Meyer aus vollkommen unverständlichen Gründen entsorgten Elektra von Harry Kupfer gefreut. Mit dieser Inszenierung habe ich 2011 und 2012 das Stück kennen- und lieben gelernt; von 2015 bis Feber 2020 wurde dem Staatsopernpublikum die in absolut jeder Hinsicht völlig missratene Laufenberg-Elektra vorgesetzt; und jetzt endlich gibt es wieder (hoffentlich möglichst lange) die handwerklich und künstlerisch tolle Kupfer-Produktion. Super! Diese mustergültige Inszenierung zu entsorgen, war eine Schnapsidee ersten Grades.

    Ein gutes Opernhaus erkennt man weniger an den zugekauften Stars, als vielmehr an der Qualität der „kleinen“ Ensemblesänger – und auch in dieser Hinsicht hat Bogdan Roščić dem heutigen Abend nach zu schließen ausgezeichnete Arbeit geleistet. Was wurde da schon im vorhinein alles über ihn geraunzt: von seiner Ö3-Vergangenheit über seine serbische Herkunft bis zum „radikalen Kahlschlag im Ensemble“, und bitte ganz ehrlich: Um alle Sänger, die dem Ensemble seit Beginn dieser Saison nicht mehr angehören, ist es doch kein bisschen schade (Ausnahme: Herwig Pecoraro)! Eine Entfernung derer, die u.a. als im Don Carlo(s) als Graf von Lerma oder als Erster Nazarener in der Salome oder als Arabella-Mutter regelmäßig das Publikum zusammenzucken ließen, war mehr als allerdringendst geboten. Umso erfreulicher, dass heute eine runde Ensembleleistung zu hören war und die zahlreichen neuen Ensemblemitglieder einen sehr guten Eindruck hinterließen.

    Ricarda Merbeth ist in der Berliner Lindenoper eine sehr gute Elektra (Feber 2019), in Wien „nur“ eine gute – das ist aber mehr, als ihr viele zugetraut haben. Es war zwar ziemlich „leichtgewichtig“, und man merkt, dass die Elektra eine Grenzpartie für sie ist und sie sich wohl auf Dauer damit keinen Gefallen tun wird, aber alles in allem war es eine gute Leistung, auch wenn ihr helles Timbre, das eher zu einer Daphne als zu einer Elektra passt, den Hörgewohnheiten dieser Rolle entgegensteht. Camilla Nylund ließ eine sehr, sehr gute Chrysothemis hören (zu einer perfekten fehlt noch der Feinschliff, der aber sicher noch kommen wird); Doris Soffel (nach über 30 Jahren wieder in der Wiener Staatsoper zu hören) war trotz ihrer (bedingt durch ihr hohes Alter) nicht mehr frischen Stimme eine sehr eindrucksvolle Klytämnestra (das gelingt beileibe nicht jeder Sängerin; den Damen Meier und Baltsa gelang das keineswegs; es ist völlig unverständlich, dass Doris Soffel in Wien jetzt erst als Klytämnestra zu hören war!). Jörg Schneider steuerte einen sensationell guten Aegisth bei (das hohe h bei „Sie morden mich!“ war bestens zu hören), Derek Walton einen soliden Orest (zeitweise hatte ich den Eindruck, dass er elektronisch verstärkt würde, aber bei den übrigen Sängern vermute ich das nicht). Unter den Nebenrollen stachen Regine Hangler (Vierte Magd) und Vera-Lotte Boecker (Fünfte Magd) besonders positiv hervor; markant im positiven Sinne war Michael Laurenz als Junger Diener.

    Insgesamt eine sehr gute Aufführung; dass es bei Elektra und Orest noch Luft nach oben gab, tat dem sehr guten Gesamteindruck keinen Abbruch. Das corona-bedingte Stehplatzsystem funktioniert sehr gut (auch wenn mehr Zeit fürs Anstellen drauf geht als in der vorigen Saison, aber man kann nicht alles haben).

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Dass das Stück WIRKLICH genial ist, merkt man sogar auch dann, wenn gerade einmal Franz Welser-Möst das (heute sehr gut disponierte) Staatsopernorchester dirigiert

    Franz Möst hat ja die "Elektra" mit den Wiener Philharmonikern gerade im August auch unter großer medialer Aufmerksamkeit in Salzburg dirigiert. Ich war beim Hören der Übertragung bzw. des Mitschnitts von seiner Leistung sehr beeindruckt.

    Unter den Nebenrollen stachen Regine Hangler (Vierte Magd) und Vera-Lotte Boecker (Fünfte Magd) besonders positiv hervor

    An Vera-Lotte Boecker kann ich mich noch gut als Ensemblemitglied am Landestheater Detmold erinnern- ohne deinen Bericht hätte ich gar nicht mitbekommen, dass sie in dieser Woche an der Wiener Staatsoper debütiert hat! Was ein Weg! Ich habe sie allerdings nicht oft gehört, spontan fällt mir nur "Il Trittico" mit ihr ein.

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Danke fürs Lesen und Deine Rückmeldung! :top:

    Franz Möst hat ja die "Elektra" mit den Wiener Philharmonikern gerade im August auch unter großer medialer Aufmerksamkeit in Salzburg dirigiert. Ich war beim Hören der Übertragung bzw. des Mitschnitts von seiner Leistung sehr beeindruckt.

    Seit seinem Weggang von der Wiener Staatsoper im Herbst 2014 habe ich ihn (abgesehen von gestern) nur einmal gehört (2019 mit der 8. Mahler-Symphonie). Meine Erinnerung an ihn bis 2014 ist nicht sonderlich gut. Aber vielleicht ist er ja seitdem besser geworden!

    An Vera-Lotte Boecker kann ich mich noch gut als Ensemblemitglied am Landestheater Detmold erinnern- ohne deinen Bericht hätte ich gar nicht mitbekommen, dass sie in dieser Woche an der Wiener Staatsoper debütiert hat! Was ein Weg! Ich habe sie allerdings nicht oft gehört, spontan fällt mir nur "Il Trittico" mit ihr ein.

    Es weiß zwar niemand, ob die aktuelle Saison vollständig stattfinden wird können (in Anbetracht der derzeit in Österreich rasant steigenden Infektionszahlen wohl eher nicht), aber wenn ja, wird sie in Wien in einigen Rollen/Neuproduktionen zu hören sein, siehe hier. Darauf freue ich mich; ich kannte sie bis gestern allerdings überhaupt nicht (Detmold ist nicht gerade mein Einzugsgebiet).

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  • Sa., 19. September 2020: WIEN (Staatsoper): Richard Strauss, Elektra

    Heute war es erneut eine sehr gute Repertoirevorstellung, deren Qualität stark deswegen gewann, weil heute nicht der fürchterliche Welser-Möst am Pult stand, sondern Alexander Soddy, den ich überhaupt nicht gekannt hatte, der aber ein ausgezeichnetes Dirigat brachte; ich freue mich auf seine Salome demnächst! Ricarda Merbeth und Doris Soffel fielen im Vergleich zur vorigen Aufführung leicht ab, dafür legte Camilla Nylund zu. Derek Welton ist ein guter Sänger, aber für den Orest viel zu freundlich (das Düster-Dämonische geht im ab), und ich wurde den Eindruck nicht los, dass ihm die Wiener Staatsoper zu groß ist. Thomas Ebenstein sprang als Aegisth ein und war passabel bzw. in der Höhe auf meinem Galerie-Halbmitte-Stehplatz schlecht hörbar (auf der Galerie-Seite soll es besser gewesen sein); dass er bei „Wo find’ ich die fremden Männer“ eine Achtelnote zu früh einsetzte, haben wir überhört. Bedauerlicherweise ein Ausfall war das neue Ensemblemitglied Robert Bartneck als Junger Diener, erstens „hatte“ er die Töne nicht, zweitens war er falsch im Rhythmus und drittens viel zu leise (es bleibt zu hoffen, dass er sich nach diesem Fehlstart ins Ensemble noch steigern kann; die Wiener Staatsoper ist halt was anderes als das Meininger Staatstheater) – diese kurze, aber wichtige Rolle hat sogar ein Spezialist wie Benedikt Kobel deutlich besser hinbekommen, und das heißt was. Die Mägde (Monika Bohinec, Noa Beinart, Margaret Plummer, Regine Hangler, Vera-Lotte Boecker) waren sehr gut; die Inszenierung von Harry Kupfer ist großartig, es ist eine wahre Wohltat, nicht mehr den Laufenberg-Blödsinn anschauen zu müssen.

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  • Mo., 21. September 2020: WIEN (Theater an der Wien): Ruggero Leoncavallo, Zazà

    Ein für Raritätensammler gefundes Fressen gibt es derzeit mit Ruggero Leoncavallos Zazà am Theater an der Wien – und ehrlich gesagt taugt das Stück meiner Meinung nach höchstens für die Raritätensammlung. Es klingt über weite Strecken wie Leoncavallos Bajazzo, bleibt qualitätsmäßig aber weit darunter. Auf der Bühne wird viel geschrieen und gelitten, aber ich konnte mich dafür nicht interessieren, also einmal und nie wieder. Die Besetzung war durchaus gut: Christopher Maltman (einer meiner Lieblingssänger) als Cascart war laut und grobschlächtig unterwegs, was ihm heute kaum zum Nachteil gereichte (die Arie im 4. Akt hätte er zugegebenermaßen weniger brüllen müssen). Svetlana Aksenova erbrachte in der Hauptrolle eine sehr gute Leistung, Nikolai Schukoff als Milo eine gute (am Ende war er heiser), aber ich kannte das Stück davor überhaupt nicht, daher kann ich auch die Leistung von Stefan Soltesz und des RSO Wien nicht beurteilen. Von der Inszenierung von Christof Loy habe ich aufgrund meines Galerie-Ganzseiten-Platzes wenig mitbekommen.

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  • Diese mustergültige Inszenierung zu entsorgen, war eine Schnapsidee ersten Grades.


    Sollten Deine Schilderungen zutreffen (wobei Du ja keine nähere Begründung zu Deiner Einschätzung der beiden Inszenierungen gibst), so hat die Schnapsidee nicht in der Absetzung der alten Kupfer-Inszenierung bestanden, sondern darin, für die Neuinszenierung jemanden zu engagieren, der nichts Gutes abgeliefert hat. Ältere Inszenierungen zu ersetzen ist an der Oper ein vollkommen normaler Vorgang (sonst stünde ja "Museum" an der Tür) und hat auch gute Gründe. Nach der x-ten Wiederaufnahme ist nämlich zu befürchten, dass von der Inszenierung Kupfers nicht mehr allzu viel übrig ist. Die Wiederaufnahmen werden im Regelfall von Regieassistenten gemacht, denen dafür Dokumentationen sehr schwankender Qualität zur Verfügung stehen (z. B. mäßig gut gefilmte DVDs oder unterschiedlich gründlich geführte Regiebücher). Irgendwann werden solche über lange Zeit gespielten Inszenierungen somit zum Etikettenschwindel.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Lieber Symbol!

    Ich bin völlig Deiner Meinung, dass es grundsätzlich richtig und gut ist, Inszenierungen mit der Zeit zu ersetzen – aber es sollten halt Inszenierungen nachkommen, die keine massive Verschlechterung sind. Darüber hinaus finde ich, dass man statt einer neuen Elektra (wenn es ohnehin eine Elektra-Inszenierung im Repertoire gibt!) lieber die Liebe der Danae oder die Ägyptische Helena bringen sollte, jedenfalls eine Strauss-Oper, die es nicht im Repertoire des jeweiligen Hauses gibt (zumindest die Danae war geplant – das hätte eine Koproduktion mit Salzburg sein sollen –, wurde aber wieder storniert). Ich bin also eher für Repertoireerweiterung als dieselben Stücke regelmäßig neu zu inszenieren.

    Was die Kupfer-Produktion betrifft: Ich halte sie für großartig (sie ist auch auf der DVD von der Premiere 1989 dokumentiert), und die derzeitige Wiederaufnahme hätte auch Kupfer persönlich betreuen sollen (sein Ableben letztes Jahr verhinderte es). Die Laufenberg-Elektra halte ich für eine der schlechtesten mir bekannten Inszenierungen, daher wollte ich meine Zeit nicht vergeuden, darüber zu schreiben. Wie man dieses Stück so dermaßen gegen die Wand fahren kann, ist mir schleierhaft. Komplett langweilig und belanglos, aber mittlerweile glücklicherweise ohnehin schon Geschichte. Mich stört ja gar nicht einmal, dass das Stück in einem Kohlenkeller spielt, sondern dass dem Regisseur nichts eingefallen ist: Elekta in schwarz, Chrysothemis in weiß – wie oberflächlich.

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  • Mozart - Die Zauberflöte. Oper Köln (Premiere am 03.10.2020)

    Besuchte Vorstellung am 09.10.20

    Endlich wieder Live-Oper! Der letzte Opernbesuch war Der Teufel mit den drei goldenen Haaren in der Kinderoper am 8. März gewesen (eine großartige Produktion!, unmittelbar vor dem Lockdown.

    Aktuell kann im Kölner Staatenhaus ca. ein Drittel der Plätze besetzt werden. Dazu hat man jede zweite Sitzreihe ausgebaut und gruppiert die Besuchergruppen mit jeweils zwei leeren Sitzen dazwischen. Durfte man bei der Saisonvorstellung im Juli (die auch ein Probelauf für das Corona-Konzept war) am Platz angekommen noch die Maske abnehmen, hatte die Stadt Köln bereits zur Premiere wegen der steigenden Fallzahlen eine dauerhafte Maskenpflicht verordnet. Nun ja, die Gewöhnung erleichtert ja manches ...

    Inszeniert hat Kölns Ex-Intendant Michael Hampe, von dem eine zeitgemäße Regie nicht zu erwarten war; Bühnen- und Kostümbildner war German Droghetti, der allerdings zu Beginn des Lockdown in seiner chilenischen Heimat dem Virus zum Opfer gefallen ist. Die Umsetzung hat dann Darko Petrovic von der Kölner Oper besorgt.

    Tatsächlich ist das ein Regiekonzept von vorgestern und eine Bühnenästhetik von vorvorgestern - als bei Papagenos Auftritt von den Seiten Papiervögelchen an Stangen hereingewedelt wurden, wäre mir dann ohne die Maske wohl die buchstäbliche Klappe heruntergefallen. In der Art ging es dann weiter. Schlimmer noch die Einführung eines Conférenciers in Person des zweiten Priesters, der auf die Einschränkungen der Personenführung hinweist (Abstabdsregeln!) und auch sonst immer wieder den Zauberflöten-Erklärbär gibt - ist ja eine weithin unbekannte Oper, deren Handlung sich nicht ohne weiteres erschließt. Obwohl die Regie gerade die Story sehr genau erzählt. Irgendeine Auseinandersetzung mit der dem Stück innewohnenden Misogynie und Rassismus bleibt aus. Immerhin gibt es eine ordentliche Personenregie und kein Stehtheater.

    Musikalisch fand ich das ganze recht brauchbar. Es dirigierte Christoph Gedschold, der vor zwei Jahren hier eine phänomenale Rusalka geleitet hatte. Sein Dirigat war mir teilweise zu behäbig, bei den Königin-Arien sogar außerordentlich langsam. Antonina Vesenina als Königin der Nacht hatte das aber wohl nötig, da sie mit den Koloraturen erhebliche Probleme hatte. Schlimmer allerdings, dass sie in den lyrischen Abschnitten dazwischen ein deutliche schnelleres Tempo anschlug, so dass Bühne und Orchester bei ihren Arien (die erste war ganz schlimm) dauernd auseinander waren. Ansonsten wird auf gutem Niveua gesungen. Hervorzuheben aus meiner Sicht die Drei Damen (Claudia Rohrbach, Regina Richter, Judith Thielsen) mit traumhaft sicherer Harmonie, ebenso die Drei Knaben (drei Jungs von der Dortmunder Chorakademie, deren Namen nicht verraten wurden), die phänomenal gut waren! Dann Matthias Hofmann als Papageno, der dem Affen Zucker gab, wie es die Rolle nur hergibt, und, vor allem, Kathrin Zuckowski als Pamina (sie war letzte Spielzeit noch Mitglied des Opernstudios). Ante Jerkunica sang den Sarastro mit sonorem Bass, aber gelegentlich etwas unstet. Julien Behr hat hier vor einigen Jahren den Don Ottavio gesungen; die Stimme hat seitdem erheblich an Metall zugesetzt, was dem Tamino in meinen Ohren nicht so gut bekommt. Eine gute Sängerleistung war es trotzdem, sein Spiel war aber, vor allem zu Beginn, etwas steif. Schön gespielt dann aber Taminos Verzweiflung bei "Ach, ich fühl's!" Die Chorpassagen waren zuvor aufgenommen worden und wurden vom Band eingespielt; hat weitgehend funktioniert, aber irgendwie ist es das nicht! Der Vollständigkeit halber der Rest der Besetzung: Papagena: Alina Wunderlin, Monostatos: John Heuzenroeder, Sprecher/1. Priester: Stefan Hadžić, 2. Priester/Erzähler: Martin Koch, 1. Geharnischter: Young Woo Kim, 2. Geharnischter: Sun Jun Cho.

    Ende November steht George Benjamins Written On Skin an, da gibt's dann hoffentlich auch etwas mehr Musiktheater!

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • Don Giovanni
    ROH Covent Garden
    5. 7. 2021
    Premiere

    Dirigent: Constantin Trinks
    Regie: Kasper Holten.

    Besetzung:

    • Don Giovanni: Erwin Schrott
    • Leporello: Gerald Finley
    • Donna Anna: Adela Zaharia
    • Don Ottavio: Frederic Antoun
    • Donna Elvira: Nicole Chevalier
    • Zerlina: Zuzana Marková
    • Masetto: Michael Mofidian

    Es war schön, eine live Aufführung mitzuerleben. Traurig war das Drumherum....viele leere Sitzplätze, jede 2. Reihe ganz leer, im Orchestergraben grosse Abstände, die Inszenierung wohl auch an COVID Distancing angepasst. Aber besser so, als gar nicht, würde ich sagen, obwohl mir persönlich durch dieses Cocktail von Massnahmen ein grosser und wichtiger Teil eines Live Erlebnisses verloren gegegangen ist. Ich wurde ständig an den ganzen COVID Mist erinnert und konnte mich nicht wirklich in eine Opern-Illusionswelt hinein entspannen. Besonders, weil ich das Haus immer nur zum Bersten voll kenne, mit einem angeregten und anregenden Live feel im Publikum und begeisterten Gesichtern im Pausengewühl in den Gängen und an der Bar. Gestern kein Gewühl, keine begeisterten Gesichter, kein Kribbeln im Bach im Auditorium. Betretene Stille, Masken, Leere. Ich war abgelenkt und meine Gedanken wünschten sich ständig etwas anderes.

    Meine ehemalige Kollegin sagte hinterher, dass es heute nicht besonders gut gewesen sei, also bei den Proben vorher um weiteres besser. Gut, das kommt bei Premieren vor, kann sich also in den folgenden Vorstellungen wieder bessern. Sie meinte damit alles; das Orchester, den Dirigenten, die Sänger. Ich selber konnte keine besonderen Schwächen feststellen und fand es insgesamt sehr passabel, aber wurde nicht wirklich davon berührt. Das lag aber sicher mit daran, dass für mich keine wirkliche Illusion zustande kam, wie oben beschrieben.

    Gerald Finley fand ich nicht besonders überzeugend, aber er war noch nie mein Fall als Sänger. Das mag anderen anders gehen. Frederic Antouns Stimme ist schön, aber konnte das Haus nicht füllen.
    Die Inszenierung war teils sehr gut und interessant anzusehen, andererseits nicht wirksam, zB war das Ende irgendwie kalter Kaffee: es kam kein Drama auf. Aber wie gesagt, vielleicht war ich abgelenkt durch die Abwesenheit des Live feels.

    Adela Zaharia als Donna Anna war dagegen sehr gut. Sie hat eine wunderbare Stimme und ich würde jede Gelegenheit mitnehmen sie live zu hören.

  • Ein langer Absatz mit dem bekannten Corona-Thema und keine einzige Bemerkung zum Sänger der Titelrolle? Dein Ernst?

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Ich sagte ja absichtlich generell, ich erkannte keine besonderen Schwächen, war aber nicht besonders berührt. Ich habe versucht zu begründen, wieso das so war. Ich wollte nichts Voreiliges oder Unfaires über ihn sagen und habe deshalb lieber gar nichts Spezielles weiter gesagt. Ich geh vielleicht nochmal hin. Dann schreib ich eventuell mehr. Leider muss man im Moment 2 Karten kaufen, auch wenn man nur eine will.
    Corona Umstände sind dennoch vielleicht für den einen oder anderen interessant. Denn es wird ja viel über England behauptet.

  • Ich war gestern, am 10.Juli 2021, zum 2. mal im Don Giovanni im ROH Covent Garden.

    Constantin Trinks dirigierte, Regie Kasper Holten.

    Besetzung:
    Erwin Schrott Don Giovanni
    Gerald Finley Leporello
    Adela Zaharia Donna Anna
    Nicole Chevalier Donna Elvira
    Frederic Antoun Don Ottavio
    Zuzana Markova Zerlina
    Michael Mofidian Masetto
    Adam Palka Commendatore

    Insgesamt war ich sehr viel mehr beeindruckt als zur Premiere vor ein paar Tagen.

    Erwin Schrott hat stimmlich und schauspielerisch alles was er braucht für diese Rolle. Wirklich toll und unbedingt mitzuerleben, wenn nur möglich.
    Adela Zaharia hat eine ganz wunderbare Stimme und Bühnenpräsenz, aber man hätte musikalisch so viel mehr aus ihrer wunderbaren Rolle innerhalb des Ganzen herausholen können. Sie braucht eine(n) guten Dirigenten/Dirigentin. Mehr dazu unten.
    Dasselbe gilt für Nicole Chevalier, die meinem Empfinden nach sehr viel überzeugender sang, als am Montag. Eine grosse, schöne Stimme. Ihre Schauspielerei fand ich überzogen und unpassend, aber das lag eventuell an den Anweisungen des Regisseurs.
    Zuzana Markova hat auch sehr schön gesungen und auch Masetto war sehr gut.
    Gerald Finley und Frederic Antouns Stimmen haben das Haus nicht gefüllt, waren aber durchaus schön und ohne Makel, wenn man sie hören konnte.

    Ich hatte mich nach dem ersten Besuch mit Bemerkungen zurückgehalten, weil ich mir nicht sicher war, was da abgesehen von meinem COVID Schock über das leere Auditorium und die fehlende Atmosphäre eigentlich los war, also warum es bei dieser erstklassigen Besetzung nicht zu einem einigermassen berührenden musikalischen Erlebnis kam.

    Meine Gedanken dazu nun hier.

    Ich sass diesmal in der 7. Reihe Mitte und konnte Constantin Trinks sehr gut sehen. Ausserdem hat man dort vorne keinen richtigen Mischklang, wie man ihn im Grand Tier oder im Amphitheater hat, sondern man kann ziemlich genau, wenn man weiss worauf man achten muss, klanglich die Bühne von Graben trennen und auch ziemlich viel Detail aus dem Graben hören, also einzelne Instrumentalstimmgruppen isoliert betrachten.

    Wie gesagt war jeder einzelne Sänger des Ensembles sehr gut (ausgenommen Finley und Antoun). Aber es wirkte nicht als zusammenhängendes Ganzes. Es waren lauter einzelne Stücke. Hier sang ein Sänger, da spielte das Orchester, dort drehte sich die Bühne, eine Beleuchtung ging an, ein Statist stand herum.

    Die Zersplitterung lag zum einen an der Inszenierung, die interessant genug auf das Publikum wirkt, aber leider mMn zu oft die Sänger behinderte, zum einen durch unvorteilhafte Positionierung auf der Bühne, zum anderen dadurch, dass sie die Sänger nicht in eine vorteilhafte Atmosphäre einbettete. Ein Sänger muss ja in eine Rolle und Situation hineinschlüpfen können. Eine Inszenierung und Regie sollte ihm dabei behilflich sein, durch Beleuchtung, Personenführung, Kostüm, Maske und Kulisse. Das war mMn gestern in dramatisch wichtigen Momenten nicht gegeben, so dass zB Fin ch’han dal vino schief ging, also Schrott und das Orchester eine ganze Weile lang auseinander waren und Schrott dadurch musikalisch verunsichert und abgelenkt erschien. Und auch das Ende Don Giovannis misslang, wegen zu greller Beleuchtung, mMn unvorteilhafter Personenführung und nichtssagender Kulisse. Ich bilde mir ein gespürt zu haben, wie frustriert Schrott durch die Inszenierung (und/oder den Dirigenten, siehe unten) war. Er schien mir von Anfang an keine richtige Lust zu haben und ich empfand dies als arrogant dem Publikum gegenüber. Es kann natürlich auch einfach sein, dass er die Arroganz seiner Figur zu weit getrieben hat.

    C Trinks ist mMn aber das grösste Hindernis gewesen. Er hat kaum auf die Sänger geachtet, sondern fast ausschliesslich in die Partitur geschaut oder sich mit dem Orchester beschäftigt. Er schien zu glauben, dass die Sänger nur seinen Taktstock zu sehen brauchen. (Den er aber nicht hatte. Eine Mozart Oper ohne Taktstock – wie will man die nötige Präzision erreichen ? - ein so seltsamer Gedanke, dass ich eben, wo ich dies schreibe gar nicht mehr glauben kann, dass es so war. Ich muss mich getäuscht haben. Wie dem auch sei.....)

    Trinks schaute also dauernd länger in die Partitur, als das bei Operndirigat vorteilhaft ist. Wenn ein Operndirigent die Partitur nicht auswendig kennt und deshalb nur ab und zu hinschauen muss um eine visuelle Gedachtnisstütze zu erhalten, dann kann er in einem grossen Haus sowieso einpacken. Denn er wird den Kopf nicht frei haben, um mit den erstklassischen Sängern zu kommunizieren, die solche Kommunikation mehr oder weniger erwarten. Erst dann können sie sich innerhalb eines gewissen Rahmens frei entfalten. Trinks hat sie aber einfach sich selbst überlassen und sich mit den Noten und dem Orchester beschäftigt.

    Wenn ein Operndirigent dem Orchester nicht vertraut seine Gesten zu lesen, ohne dass er sie dauernd dazu ermahnen muss, dann ist er rein mental noch nicht soweit, eine solche Aufgabe in einem solchen Haus mit so einer Besetzung zu bewältigen. Ab der (ersten Sitz- ) Probe mit den Sängern muss sich der Dirgent 100% auf das Orchester verlassen und sich nur noch damit beschäftigen, wie er und die einzelnen Sänger non-verbal miteinander aus den geschriebenen Noten fesselnde Musik machen können. Er hat dann eigentlich keine Zeit mehr die Partitur mitzulesen, oder mehr als nur kurze, gezielte musikalische Akzente an bestimmte Schlüsselinstrumente/gruppen zu geben. Aber wie gesagt, Trinks schien das zu oft nicht zu realisieren. Er hat selbst zu Giovannis dramatischem Ende lieber die Posaunen angesehen und angespornt und damit leider Schrott in ihrem Forte ersaufen lassen.

    Trinks hat durch diese Haltung mMn den gesamten Abend lang sehr viele Chancen verpasst Bühne und Graben musikalisch zu einem Ganzen zusammenzubringen. Im Grunde war das Talent auf der Bühne wie im Graben verschwendet an ihn. Ein vernichtendes Urteil, ich weiss, aber ich masse es mir einfach mal an, so etwas zu sagen, weil es mich wirklich enttäuscht hat. Ich glaube aber, dass er es besser könnte, wenn er nur wüsste, was er "falsch" macht. Natürlich kann es sein, dass ich das alles ganz falsch einschätze; dann bitte ich alle Betroffenen ernsthaft um Entschuldigung.

    Insgesamt dennoch wirklich schön, dass es wieder Oper gibt und dass ich es miterleben durfte.

  • Ich habe Schrott öfter in München erlebt und was mir überhaupt nicht gefallen hat: Er hat immer seine eigenen Tempi gesungen. Der Dirigent war ihm völlig egal. Orchester und er lagen immer wieder auseinander, aber Schrott erwartete offensichtlich, dass sich das Orchester ihm anpasst. Insofern wundert es mich nicht, was Sie von London schreiben. Ich bin nur unsicher, ob dieser Punkt der Kritik tatsächlich an den Dirigenten geht.

  • Ich habe Schrott öfter in München erlebt und was mir überhaupt nicht gefallen hat: Er hat immer seine eigenen Tempi gesungen. Der Dirigent war ihm völlig egal.

    Das ist natürlich interessant zu wissen. Nur ist das so eine Sache….. wieso nämlich die Kommunikation nicht funktionierte; in den Proben, in der Vorstellung und generell. Es muss nicht unbedingt sein, kann aber, dass es nur an Schrott lag.

    Wer hat denn dirigiert und welches Stück und welche Rolle war es?

    Ich bin nur unsicher, ob dieser Punkt der Kritik tatsächlich an den Dirigenten geht.

    Ganz sicher kann ich mir auch nicht sein, sagte ich ja auch.
    Dagegen, dass es hier in London Schrotts „Fehler“ war, spricht für mich, dass Trinks wirklich keinen einzigen Sänger länger angesehen hat. Nur einen kurzen Blick und dann ist er wieder in die Partitur und das Orchester abgetaucht. Das Orchester braucht es aber nicht, dass er ständig wirklich lange, während einer Nummer, in der das Tempo gleich bleibt, auf die ersten Geigen schaut. Nicht bei Mozart und nicht bei Oper. Was wollte er denn damit erreichen? Die ersten Geigen folgen ihm auch ohne dass er sie lange anschaut.

    Ein Sänger kann an diesem Tag eventuell nicht so flott, wie geprobt und genau das bekommt der Dirigent nicht mit, wenn er in genau diesem Moment keinen engen Kontakt hat.

    Es ging mir auch weniger um Tempi und perfekte zeitliche Synchronisation, als um zusammen Musik machen. Also ein Gesamtkonzept haben und als Dirigent alle Fäden zusammenzuführen. Es wirkte wie Stückwerk auf mich.

    Nachtrag: Aber eine interessante Beobachtung von dir (wir duzen uns hier im Forum) und würde mich interessieren, wer dirigiert hat und um welches Stück/ Rolle es sich handelte. Danke!

  • Das war z.B. im L´elisir d´amore unter Callegari oder als Don Giovanni unter Gaffigan. Ganz schlimm war es in Nozze di Figaro unter Ettinger... Ich gehe deswegen nicht mehr in Aufführungen, in denen er mitsingt.

  • ist ja interessant - und deine Reaktion kann ich gut verstehen. Aber so schlimm war es hier auf keinen Fall. In der ersten Vorstellung gab es glaube ich gar kein sehr auffallendes Problem der zeitlichen Synchronisation. In der zweiten, die ich besucht habe, nur an einer Stelle.

  • .....aber was mich bei Schrott gestört hat, war das er keine Lust zu haben schien. Eine Rezensentin hat das als beabsichtigt ausgelegt, also als wäre das ein Regiekonzept gewesen. Ein Ausdruck von Giovannis eigenem Überdruss mit seiner Lebenseinstellung, an der er aber nichts ändern könne.
    Er trat aber von Anfang an so auf. Es entwickelte sich nicht erst. Steckt das in Mozarts Anlage drin? Vielleicht....

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