Krystian Zimerman im Konzerthaus Dortmund

  • Krystian Zimerman im Konzerthaus Dortmund

    Gestern war ich zum ersten Mal seit Monaten wieder in einem größeren Konzert, und zwar im Konzerthaus Dortmund bei Krystian Zimerman und dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg unter der Leitung von Gustavo Gimeno. Auf dem Programm standen vor der Pause Beethovens Klavierkonzert Nr. 2, B-Dur und die Fünf Sätze für Streichorchester op. 5 von Anton Webern. Nach der Pause folgte Beethovens Klavierkonzert Nr. 1, C-Dur.

    Krystian Zimerman zählt für mich seit Jahrzehnten zu den höchstens drei oder vier allerbesten Pianisten weltweit. Atemberaubende Klarheit, kluge und zugleich leidenschaftliche Gestaltung, pianistische Perfektion usw.: Kaum ein Pianist konnte da über all die Jahre mithalten. Seine Aufnahmen z.B. der Brahms-Konzerte, der Debussy-Préludes, der Liszt-Sonate, der Chopin-Konzerte (vor allem die frühere Einspielung mit Guilini), der Chopin-Balladen und viele mehr haben zu recht legendären Ruf. .
    Meine Erwartungen waren also hoch. Und wurden extrem enttäuscht: Vom ersten Klaviereinsatz des B-Dur-Konzertes an hörte ich unklaren Klang, rhythmische Instabilität, hingewischte, im Pedal ertränkte Passagen, sogar ungewöhnlich viele falsche Töne. Vor allem aber spielte Zimerman mit einer für mich unangenehmen Lässigkeit, quasi ohne Hingabe oder erkennbares Bemühen um Ausdruck. Es wirkte einfach so, als langweile er sich und wollte möglichst schnell fertig werden. Bei fast allen Klavierpassagen zog er das Tempo gegenüber dem Orchester an, welches dadurch auch selbst starke Zusammenspielprobleme bekam. Beide Konzerte nudelte er lieblos, uninteressiert und schlampig (nach Noten spielend) runter, vor allem das B-Dur-Konzert hatte er anscheinend auch einfach nicht genügend vorbereitet. Zwischendurch gab es einzelne Stellen (und mit dem Largo aus dem C-Dur-Konzert auch einen ganzen Satz), bei denen mal seine frühere Klasse aufblitzte, aber insgesamt gesehen war das ehrlich gesagt ein trauriger Abend. Ich war ziemlich schockiert, weil ich so etwas nie und nimmer erwartet hätte, und ich frage mich seither, ob ihn die Stücke einfach nicht mehr wirklich interessieren, ob er Probleme mit Orchester bzw. Dirigenten hatte (was aber keine Erklärung für seine eigene Instabilität wäre), oder ob er einfach einen extrem schlechten Tag hatte. Seine herausragende Stärke war immer diese großartige artikulierte Klarheit seines Spiels, aber davon war gestern fast nichts mehr zu hören. Ohne seinen großen Namen wäre ich achselzuckend in der Pause gegangen. In den gleichwohl starken Beifall mischten sich auch ein oder zwei Buhrufe (nicht von mir). Zimerman wird am selben Ort auch noch die drei anderen Beethoven-Konzerte spielen (am 3. und 25.10.).

  • Hmm. Vielleicht ist er "schlecht" aus der Coronazwangspause herausgekommen? (Reine Spekulation.)

    maticus

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  • Beide Konzerte nudelte er lieblos, uninteressiert und schlampig (nach Noten spielend) runter,

    Das finde ich nun meinerseits respeklos. Besonders schlampig und runternudeln. Ich würde mir als Künstler eine sachlichere Kritik wünschen. Wie ist das mit Dir? Wie fändest Du es, wenn Dir jemand schlampiges Herunternudeln vorwirft?

    Vom ersten Klaviereinsatz des B-Dur-Konzertes an hörte ich unklaren Klang, rhythmische Instabilität, ......im Pedal ertränkte Passagen, sogar ungewöhnlich viele falsche Töne. Vor allem aber spielte Zimerman mit einer für mich unangenehmen Lässigkeit, quasi ohne Hingabe oder erkennbares Bemühen um Ausdruck. Es wirkte einfach so, als langweile er sich und wollte möglichst schnell fertig werden. Bei fast allen Klavierpassagen zog er das Tempo gegenüber dem Orchester an, welches dadurch auch selbst starke Zusammenspielprobleme bekam.

    Das finde ich sachlich legitim kritisiert.

  • Liebe Capricciosi, ich möchte doch sehr bitten, die Forenregeln was den respektvollen Umgang miteinander angeht zu wahren!!

    Für die Moderation:

    Caesar73

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  • Vielleicht ist er "schlecht" aus der Coronazwangspause herausgekommen? (Reine Spekulation.)

    Auch das ist möglich. Allerdings klang es nicht nach Nervosität sondern wie gesagt eher nach musikalischem Desinteresse, und da müsste eine Pause doch eigentlich erholsam wirken, weil man mal ein paar Monate aus den normalen Abläufen rauskommt und Zeit hat, sich wieder neu mit den Stücken zu beschäftigen. Mich hat das Konzert gestern jedenfalls sehr beschäftigt und zu allerlei Gedanken über Nutzen und Gefahren der Routine, über das richtige Verhältnis von Selbstsicherheit und Selbstzweifeln usw. angeregt. Man sollte sich als Musiker in dem, was man tut, nie zu sicher sein, denn dann kann es nur noch bergab gehen. Zimerman spielte weite Strecken mit einer gewissen Kaltschnäuzigkeit, fast Arroganz. Und dann wieder gab es Stellen wie z.B. die wunderbare rhythmische Verschiebung am Ende des B-Dur-Konzertes, wenn das Thema plötzlich auftaktig statt volltaktig und in G-Dur erscheint, bei der er den Witz derart grob und plump (und mit maßlos gebremstem Tempo) vorführte, als ob er ihn auch noch dem Dümmsten verständlich machen müsste. So etwas kann passieren, wenn man sich im Laufe einer langen Zeit an seine eigenen gestalterischen Mittel quasi gewöhnt hat und dann wie bei einer Abhängigkeit die Dosis immer mehr erhöht, um die beabsichtigte Wirkung noch selbst zu erleben. Dann wird aus einer leichten Temporückung im Laufe der Jahrzehnte möglicherweise eine Vollbremsung und aus einem charmanten, geistreichen Witz ein grober Schenkelklopfer, jedenfalls für den Zuhörer, der ja die Entwicklung in aller Regel nicht mitgemacht hat, die zu dieser Dosis führte.
    Übrigens spricht gegen Corona-Nervosität auch ZImermans Verhalten auf der Bühne: Er kasperte ziemlich herum, fiel z.B. vor der jungen Dame, die ihm die Blumen überreichte (und der er aus hygienischen Gründen nicht die Hand schütteln durfte) auf die Knie usw.. Er hatte offensichtlich seinen Spaß, wogegen ja auch nichts zu sagen wäre, wenn er die Musik ernst genommen hätte. Davon war für mich über weite Strecken leider nichts zu hören.

  • Danke, lieber Christian, für Deine differenzierte Besprechung! Daß sie sehr kritisch ausfällt, kann man beanstanden; ich tue das nicht - zumal die grundsätzliche hohe Wertschätzung für Zimerman ebenfalls deutlich wird.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Danke, lieber Christian, für Deine differenzierte Besprechung! Daß sie sehr kritisch ausfällt, kann man beanstanden; ich tue das nicht - zumal die grundsätzliche hohe Wertschätzung für Zimerman ebenfalls deutlich wird.

    Bei dieser Wertschätzung bleibe ich auch. Ich fand es eher traurig, eine solche Legende so zu hören, und wäre rückblickend lieber nicht dabei gewesen, aber er bleibt für mich natürlich einer der größten Pianisten der letzten 45 Jahre. Eine Aufnahme, die mich seit Jahrzehnten immer wieder begeistert, ist seine Einspielung von Chopins Andante spianato et Grande Polonaise brillante op. 22:

    https://www.youtube.com/watch?v=5_wa52vJR5U
    https://www.youtube.com/watch?v=F9U_9578amM

    Da stimmt für mich wirklich alles, das finde ich schlicht sensationell. Man höre nur einmal, mit welcher nie nachlassenden Lebendigkeit, er noch die kleinsten Begleitstimmen gestaltet, wie er die Schlusssteigerung großartig nach und nach anzieht, dabei alles mit wunderbar federndem Rhythmus und herrlichem Klang wie selbstverständlich spielt. Klavierspiel wie von einem anderen Stern, unglaublich perfekt. So etwas vergesse ich natürlich nicht mehr.

  • Gerade überprüft: Bei mir finden sich Zimerman-Aufnahmen mit Chopin (2 Klavierkonzerte mit Giulini, 4 Balladen, Barcarolle op. 60, Fantasie op. 49), Debussy (24 Préludes) und Klavierkonzerte von Ravel und Bartók (mit Boulez). Bei Debussy gibt es Alternativen, die mir näher liegen, die Chopin-Konzerte habe ich als ausgezeichnet in Erinnerung und die anderen Chopin-Stücke müßte ich erst wieder hören. Hochklassig dürfte aber das alles sein.

    Wie ich gerade sehe, gibt es bereits einen eigenen Thread: Krystian Zimerman - Versuche höchstmöglicher Authentizität des Nachschöpferischen

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Seltsamerweise erinnert mich Christians Konzertbeschreibung an meine Eindrücke über Zimermans Aufzeichnung von Schuberts D959. Verknappt gesagt: sehr schöne Stellen, dazwischen aber "Füllung", als wenn der Weg von schöner Stelle zu schöner Stelle unwesentlich wäre.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Meine Erwartungen waren also hoch. Und wurden extrem enttäuscht

    Das kenne ich sehr gut aus Erfahrungen als Konzertgänger und Orchestermusiker.

    Im Laufe meines Berufslebens habe ich es leider zu oft erlebt, dass ein von mir geschätzter Pianist/ Musiker etc.
    anscheinend nicht vorbereitet oder gelangweilt sein Konzert oder seinen Soloabend abnudelte.

    Das schlimmste,was ich je ertragen mußte, war ein Klavierabend von Andrei Gawrilow in der Kölner Philhamonie.

    Sein "Gaspard" war bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert und einfach nur noch äußerst schlecht gespielt.
    Was Ihn aber nicht daran hinderte, nach dem Schluß aufzuspringen und jubelnd Arme schwenkend von der Bühne abzugehen.

    Ich habe Michel Beroff erlebt, der bei uns wohl nochmal das 1.Tschaikowski Konzert trotz Pianistenkrampfes rechts versuchen wollte abzuliefern.
    Ich habe einige bekannte,sehr bekannte Geiger erlebt, deren Darbietungen so schlecht waren, daß die Rundfunkbänder gelöscht werden mußten.

    Ich habe andere Solisten erlebt, welche sich in Zeitlupe durch ein Konzert durchbuchstabierten.Natürlich mit Noten.
    Wobei ich gar nichts gegen Noten habe,wenn man diese nicht unbedingt braucht.Das mache ich selber so.

    Und ich habe letztendlich auch einmal Shlomo Mintz erlebt, saß als Cellist einen Meter hinter Ihm auf der Bühne.
    Und der war ein richtiges A........., hat gekratzt und gepowert, ohne das Brahms -Konzert überhaupt noch zu können.
    Der hat dann am Anfang des dritten Satzes das wohlbekannte Rubato zwischen dem 3.und 4. Takt angedeutet-im Konzert.
    Und uns dann auffliegen lassen, da er es dann nicht spielte.
    Er kam auch eine Stunde zu spät zur Probe.
    Mein Quartettkollege und Freund Adrian Kowollik hat danach alle seine CDs von Mintz weggeschmissen.
    DIESE Art und Weise von Überheblichkeit und Anmaßung bei nicht mehr vorhandenem Können, das war für viele von uns im Orchester
    unbegreiflich und nicht zu entschuldigen.

    Wie kommt es dazu?
    Es ist für mich ganz einfach zu erklären:

    Alle diese Leute waren für durchaus auch eine sehr langer Zeit in der Lage, ein irre hohes Niveau zu halten.
    Geradezu unfehlbar, und das ist am Ende unmenschlich.

    Es gibt immer einen Punkt,wo jeder abbaut oder es halt immer schwieriger wird, dieses hohe Niveau halten zu können.
    Es gibt Ausnahmekünstler, welche rechtzeitig aufhören-auch in einem höheren Alter.

    Und es gibt leider legendäre Musiker,welche dann irgendwann anfangen, sich durchzuwursteln.
    Und das sind leider viel zu viele.
    Und einige davon habe ich leider in Echtzeit auf der Bühne erleben und ertragen müssen.

    Schlimm, von Christian zu hören, dass es jetzt bei Zimerman wohl auch soweit ist.
    Zimerman.....wenn es einen Perfektionisten gab oder gibt am Klavier, dann war er es!

    Und nach Christians Beschreibung, der ich völlig glaube, hat Zimerman jetzt im Alter wohl ein Problem.
    Das sei Ihm gegönnt, denn das ist menschlich.
    Aber dann sollte er auch aufhören und als Lehrer weiterhin großes leisten.

    Ich finde sowas immer schade, denn ich möchte einen sehr großen Künstler als diesen in Erinnerung behalten.
    Und nicht als Schatten seiner selbst.

    Wie schon gesagt, A.Gawrilow,dessen ekelhaftes Buch ich auch noch gelesen habe-was ich sehr bedauere-, ist für mich der schlimmste Fall bisher.
    Völliger Realitätsverlust und völlige Selbstüberschätzung, was sein derzeitiges Können angeht.
    Das ist nur noch traurig.

    Michael

    P.S. Den Anfang solcher Niedergänge habe ich auch ein paar mal erlebt:
    Nämlich Solisten, welche um 10:00 morgens bei der Generalprobe furchtbar spielten und das jeweilige Konzert
    nicht mehr drauf hatten.
    Und sich offensichtlich auch nicht groß vorbereitet hatten.
    Und dann geschah das Wunder, dass diese Musiker anscheinend den gesammten Nachmittag vor dem Konzert dann endlich das Werk übten und
    am Abend fast makellos spielten.

    Also ganz ehrlich:
    Sowas kann eine ganze Weile funktionieren, das wiederholte Abrufen der Routine nämlich.
    Das ist zwar erst mal beeindruckend, führt aber schlußendlich in den Abgrund.

  • Schlimm, von Christian zu hören, dass es jetzt bei Zimmermann wohl auch soweit ist.
    Zimmermann.....wenn es einen Perfektionisten gab oder gibt am Klavier, dann war er es!

    Und nach Christians Beschreibung, der ich völlig glaube, hat Zimmermann jetzt im Alter wohl ein Problem.
    Das sei Ihm gegönnt, denn das ist menschlich.
    Aber dann sollte er auch aufhören und als Lehrer weiterhin großes leisten.

    ich hoffe immer noch, dass es nach wie vor auch andere, bessere Konzerte mit ihm gibt. Aber traurig war das schon.

    Ich finde sowas immer schade, denn ich möchte einen sehr großen Künstler als diesen in Erinnerung behalten.
    Und nicht als Schatten seiner selbst.

    Ja, so geht es mir auch. Wobei ich schon akzeptieren kann, dass z.B. Pollini bei seinem Chopin e-moll-Konzert vor drei oder vier Jahren in Berlin natürlich manches nicht mehr so brillant spielen konnte wie bei seiner legendären Aufnahme, die er mit 18 gemacht hat. Aber seine Ernsthaftigkeit war in jedem Moment zu hören, nichts war ihm unwichtig. Ganz schlimm war leider mein letztes Konzerterlebnis mit Radu Lupu (in Düsseldorf): Da war tatsächlich nur noch ein Schatten seiner selbst, viel schlimmer als gestern Zimerman. Mir war es extrem unangenehm, Zeuge eines solchen Niedergangs eines einstmals wirklich großen Künstlers zu sein. Ich bin damals in der Pause gegangen, weil es mir voyeuristisch vorkam, dem noch länger zuzuhören, und weil ich, genau wie Du schreibst, ihn nicht so in Erinnerung behalten wollte.

    Wie schon gesagt, A.Gawrilow,dessen ekelhaftes Buch ich auch noch gelesen habe-was ich sehr bedauere-, ist für mich der schlimmste Fall bisher.

    Ja, Gawrilow war/ist ein extremer Fall, der allerdings auch unter extremen und für uns im "sicheren Westen" aufgewachsene Musiker kaum nachvollziehbaren Bedingungen groß geworden ist. Meines Erachtens ist er wirklich krank.

  • Meines Erachtens ist er wirklich krank.

    Ich leihe oder schenke Dir sehr gerne seine Autobiographie.
    Ich wollte, ich hätte das niemals gelesen.
    Ein gewisser Teil über die Zustände in der UDSSR und sogar ein gewisser Teil über Richter stimmen sicherlich.
    Aber dann wird es krank,sehr krank.
    Dieses Buch hat meinen Zugang zu Richter sehr erschwert,obwohl das alles nicht SO sein kann.
    Es ist sehr schmutzige Wäsche und es bleibt leider einiges haften,ob man will oder nicht.
    Also in Bezug auf Richter.
    Denn das ist eine gnadenlose Abrechnung mit Ihm, und nichts weiter.
    Es ist Dreck, und diesen Dreck kann ich niemals mehr losbekommen,nachdem ich diesen gelesen habe.


    Dieses Buch hätte,genau wie die leider unteriridischen Memoiren von Earl Wild, niemals erscheinen dürfen.

  • a, so geht es mir auch. Wobei ich schon akzeptieren kann, dass z.B. Pollini bei seinem Chopin e-moll-Konzert vor drei oder vier Jahren in Berlin natürlich manches nicht mehr so brillant spielen konnte wie bei seiner legendären Aufnahme, die er mit 18 gemacht hat.

    Aber natürlich!
    Dagegen ist gar nichts zu sagen.
    Es geht mir ja auch überhaupt nicht darum, es abzuwerten, wenn ein Künstler nicht mehr ganz so brilliant spielen kann.
    Er kann das aber durch Altersweiheit und pures Wissen ausgleichen und dann immer noch ein großer Künstler bleiben.

    Sich aber durch offensichtliches Pfuschen und ohne einen erkennbaren künstlerischen Anspruch durchzuschwurbeln, DAS macht traurig.

    Solange der künstlerische Anspruch klar bleibt, verzeihe ich jedem älter gewordenen Musiker alles.
    Ich würde z.B. niemals Ivry Gitlis vorwerfen ,dass er als über 90 jähriger nicht mehr gut spielen kann.
    Denn seine Attitüde und Herangehensweise ist nach wie vor die eines großen Künstlers.
    Und das ist bewundernswert..
    Und er versucht ja auch nicht mehr, durch Virtuosenbrocken sich zu beweisen.
    Er macht einfach noch Musik und gibt sein Wissen weiter.
    Das ist für mich äußerst bewundernswert,sogar die größte Bewunderung überhaupt.

    Denn hier geht es nur um Musik, und nicht um Mätzchen.

  • Ich leihe oder schenke Dir sehr gerne seine Autobiographie.
    Ich wollte, ich hätte das niemals gelesen.

    Lieber Michael, vielen Dank für das Angebot, aber ich erinnere mich, dass Du damals von dem Buch geschrieben hast und ich gleich dachte, dass ich das nicht lesen will. Gawrilows Leistungen mit Anfang 20 waren unbestreitbar herausragend, und das will ich behalten. Entsetzlich, was ihm in der Sowjetunion angetan wurde und was aus ihm geworden ist.

  • Orchestre Philharmonique du Luxembourg unter der Leitung von Gustavo Gimeno

    ob er Probleme mit Orchester bzw. Dirigenten hatte

    Er hatte einen Dirigenten dabei, als er Beethoven Nr. 1 und 2 aufführte? Bei seiner Aufnahme dieser beiden Werke dirigierte er selbst:

    Vielleicht erklärt das einiges. Wobei erklären nicht entschuldigen heißt. Aber da ich just dieses Orchester mit demselben Dirigenten auch schon mal in der Elbphilharmonie mit Yuja Wang erlebt habe (es gab vor der Pause Ravel linke Hand und nach der Pause Schostakowitsch Nr. 2) und der Dirigent die Pianistin vollkommen zudeckte, man stellenweise von ihrem Spiel so gut wie nichts mehr hörte, kann ich mir schon vorstellen, dass die Zusammenarbeit von Pianist und Dirigent auch in diesem Fall nicht gut war.

    Edit:
    Hier die übereinstimmenden Meinungen von diskursprodukt und mir zu den damaligen Konzerten dieses Orchesters und dieses Dirigenten mit Yuja Wang in Dortmund (wo diskursprodukt war) und in Hamburg:

    Ich finde Yuja Wang hat die Begleitung eines besseren Orchesters verdient. Die Luxemburger sind zwar gut, haben stellenweise sehr schönen Streicherklang und sind mit einem Super-Solohornisten gesegnet (so sie diesen nicht leihen mussten, was ich nicht recherchiert habe). Aber sie haben, und das hat Gustavo Gimeno zu vertreten, sich überhaupt nicht in den Dienst der Solistin gestellt. Das ist insbesondere bei Schostakowitsch aufgefallen: Hier hat das Orchester die Solistin platt gemacht.

    Dies war auch in dem Hamburger Konzert mein Kritikpunkt. Schon in der Pause, also nach dem Ravel-Konzert, sagte ich zu VonHumboldt, dass das Orchester meiner Meinung nach die Pianistin bei den lauten Passagen vollkommen überdeckt. Jedenfalls auf meinem Sitzplatz hörte man bei diesen Passagen nur relativ wenig von ihrem Spiel. Der Dirigent hat also - darin gebe ich Dir Recht, lieber diskursprodukt - seinen Job nicht gemacht, der ja u.a. darin besteht, die richtige Balance zwischen dem Orchester und dem Soloinstrument zu finden. Bei dem Schostakowitsch-Konzert nach der Pause war es dann genauso.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Er hatte einen Dirigenten dabei, als er Beethoven Nr. 1 und 2 aufführte? Bei seiner Aufnahme dieser beiden Werke dirigierte er selbst:

    Wenn ich mich recht erinnere, war damals die Aufnahme aller fünf Konzerte mit Bernstein geplant, der aber vor der Fertigstellung des Zyklus' starb, woraufhin Zimerman dann beschlossen hat, bei den beiden noch fehlenden Konzerten 1 und 2 keinen Ersatzdirigenten zu nehmen sondern selbst zu dirigieren.

    Aber da ich just dieses Orchester mit demselben Dirigenten auch schon mal in der Elbphilharmonie mit Yuja Wang erlebt habe (es gab vor der Pause Ravel linke Hand und nach der Pause Schostakowitsch Nr. 2) und der Dirigent die Pianistin vollkommen zudeckte, man stellenweise von ihrem Spiel so gut wie nichts mehr hörte, kann ich mir schon vorstellen, dass die Zusammenarbeit von Pianist und Dirigent auch in diesem Fall nicht gut war.

    Klar, das kann sein, das Orchester war auch wirklich nicht gut. Ich glaube trotzdem nicht so recht, dass das der Grund war, weil das nicht erklären würde, dass er wirklich ständig im Tempo nach vorn gefallen ist oder Passagen und Tonleitern in Pedal getaucht hat. Es gibt doch z.B. am Ende des C-Dur-Konzertes die Stelle, wo Klavier und Flöte nacheinander eine C-Dur-Tonleiter spielen, und die war dadurch bei ihm durch das Pedal völlig verschwommen. Ich kann mir das wirklich gar nicht erklären.

  • Wenn ich mich recht erinnere, war damals die Aufnahme aller fünf Konzerte mit Bernstein geplant, der aber vor der Fertigstellung des Zyklus' starb, woraufhin Zimerman dann beschlossen hat, bei den beiden noch fehlenden Konzerten 1 und 2 keinen Ersatzdirigenten zu nehmen sondern selbst zu dirigieren.

    Exakt so war es.

    Klar, das kann sein, das Orchester war auch wirklich nicht gut. Ich glaube trotzdem nicht so recht, dass das der Grund war, weil das nicht erklären würde, dass er wirklich ständig im Tempo nach vorn gefallen ist oder Passagen und Tonleitern in Pedal getaucht hat. Es gibt doch z.B. am Ende des C-Dur-Konzertes die Stelle, wo Klavier und Flöte nacheinander eine C-Dur-Tonleiter spielen, und die war dadurch bei ihm durch das Pedal völlig verschwommen. Ich kann mir das wirklich gar nicht erklären.

    Dass Orchester und Dirigent schlecht waren, erklärt vielleicht eine gewisse Lustlosigkeit des Solisten, die in Deiner Beschreibung des Konzerts zum Ausdruck kommt:

    Vor allem aber spielte Zimerman mit einer für mich unangenehmen Lässigkeit, quasi ohne Hingabe oder erkennbares Bemühen um Ausdruck. Es wirkte einfach so, als langweile er sich und wollte möglichst schnell fertig werden.

    Er hat diese "Mucke" offenbar irgendwie hinter sich gebracht. Nochmals: Wobei erklären nicht entschuldigen heißt. Ein Arturo Benedetti Michelangeli, der sich mit einem Orchester und/oder einem Dirigenten unwohl gefühlt hätte, hätte das Konzert schlicht und einfach abgesagt. Eine Martha Argerich ebenso. Und eine Yuja Wang, die mit Gustavo Gimeno sicherlich auch nicht zufrieden war, sagt zwar nicht ab, versucht aber trotzdem, ihr Bestes zu geben. Statt sich dem Publikum gelangweilt zu präsentieren, wie es nach Deinen Worten ("so, als langweile er sich") Zimerman tat.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Es ist schon bemerkenswert, wenn ein geschätzter Künstler vom Format eines Krystian Zimermans solch einen Ausfall hat. Er selbst legt ja normalerweise die Latte an sich sehr hoch. Wirklich schade. Vor einem Jahr habe ich ihn in Stuttgart mit Brahms 3. Sonate und Chopins Scherzi erlebt, da war er noch voll im Besitz seiner Fähigkeiten. Ich fand aber, dass er sehr altbacken daherkam. Umso mehr wundert mich, dass er vor der Blumendame auf die Knie ging. War er vielleicht angetrunken?
    Wie dem auch sei, hoffentlich ein - wenn auch ärgerlicher - Ausreisser.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Also dass Konzerthaufnahmen vor 30 Jahren dazu beigetragen haben sollen, dass Zimerman die Konzerte nicht gut rübergebracht hat, traue ich mich jetzt mal zu bezweifeln.

    Wenn ich F10 auf meinem Computer drücke, schweigt er. Wie passend...

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