Vorbereitung auf Konzerte - Ansprüche von und an Profimusiker

  • Vorbereitung auf Konzerte - Ansprüche von und an Profimusiker

    Anm.: Die folgende Diskussion entwickelte sich in einem Faden über ein konkretes Konzert und wurde in einen eigenen allgemeinen Thread ausgegliedert. Braccio

    Ich möchte allerdings sagen, dass man als professioneller Musiker, solange man eben sehr fit auf seinem Instrument ist, dann doch so ziemlich einiges "vom Blatt" konzertreif (mit Abstrichen) bieten kann. Man muss natürlich dafür Nerven aus Stahl haben, das ist klar.

    Die Frage ist, wie viele "Abstriche" man zu akzeptieren bereit ist bzw. was man unter "konzertreif" versteht. In einem Notfall (wie er hier anscheinend vorlag) finde ich es akzeptabel, wenn Musiker auf dem Niveau der Artemis-Spieler auch mal ohne angemessene Probenarbeit spielen, aber ich habe auch schon etliche Ensembles gehört, die vermutlich aus purer Bequemlichkeit sich auf ihre "professionellen" Fähigkeiten verlassen haben und mit vielleicht 80 Prozent des Möglichen zufrieden waren. Das ist aber eigentlich das Gegenteil von Professionalität. Ganz schlimm fand ich es, als der Primarius eines sehr berühmten Streichquartetts bei der Ankündigung der Zugabe dem Publikum ganz stolz erzählte, dass sie wegen des parallel stattfindenden Meisterkurses so gut wie gar nicht geprobt hätten (was auch stimmte), und dafür auch noch lebhaften Beifall bekam. Man sagt den Leuten "Wir haben euch verarscht" und wird dafür noch gefeiert...

  • Die Frage ist, wie viele "Abstriche" man zu akzeptieren bereit ist bzw. was man unter "konzertreif" versteht

    Ja natürlich. Es ist aber auch so, dass professionelle Musiker die strengsten Kritiker sind und das manchmal aus nicht gerade ehrbaren Motiven. Ein normales Konzertpublikum ist viel grosszügiger. Ich finde das gut so, solange die Qualität deshalb nicht ganz den Bach runter geht.

    dem Publikum ganz stolz erzählte, dass sie wegen des parallel stattfindenden Meisterkurses so gut wie gar nicht geprobt hätten (was auch stimmte), und dafür auch noch lebhaften Beifall bekam. Man sagt den Leuten "Wir haben euch verarscht" und wird dafür noch gefeiert...

    Ich finde auch, dass der Primarius das nicht hätte zum Besten geben sollen. Er beschmutzt mE damit in mancher Beziehung das eigene Nest.
    Aber ich würde mich nicht über die angebliche Dummheit des Publikums lustig machen. Es ist ja auch Dein Publikum. Das Publikum hat deshalb so begeistert geklatscht, weil es trotz wenig Proben sehr gefallen hat. Das ist ein Kompliment für die Musiker. Und ein Dankeschön. Ist doch nett.

  • Aber ich würde mich nicht über die angebliche Dummheit des Publikums lustig machen. Es ist ja auch Dein Publikum. Das Publikum hat deshalb so begeistert geklatscht, weil es trotz wenig Proben sehr gefallen hat. Das ist ein Kompliment für die Musiker. Und ein Dankeschön. Ist doch nett.

    Das sehe ich allerdings anders: Nicht ich mache mich über das Publikum lustig sondern derjenige, der ihm erzählt, man habe es nicht für nötig befunden, vor dem Konzert angemessen zu proben.

    Es ist aber auch so, dass professionelle Musiker die strengsten Kritiker sind und das manchmal aus nicht gerade ehrbaren Motiven.

    Die besten Musiker, die ich kenne bzw. mit denen ich spiele, sind ganz eindeutig ihre eigenen strengsten Kritiker. Und das impliziert unter anderem, dass sie sich nicht mit dem zufrieden geben, was dem Publikum "gefällt".

  • Das sehe ich allerdings anders: Nicht ich mache mich über das Publikum lustig sondern derjenige, der ihm erzählt, man habe es nicht für nötig befunden, vor dem Konzert angemessen zu proben

    Dann habe ich Dich hier wohl missverstanden:

    dafür auch noch lebhaften Beifall bekam. Man sagt den Leuten "Wir haben euch verarscht" und wird dafür noch gefeiert...

    naja, egal.....
    ------------------

    Die besten Musiker, die ich kenne bzw. mit denen ich spiele, sind ganz eindeutig ihre eigenen strengsten Kritiker. Und das impliziert unter anderem, dass sie sich nicht mit dem zufrieden geben, was dem Publikum "gefällt".

    Das eine schliesst das andere nicht aus. Man kann dem Publikum danken und es respektieren, aber selbstverständlich gleichzeitig unabhängig davon eigene Massstäbe an sich selbst anlegen. So bleibt die Qualität bewahrt.
    Man kann einerseits nicht behaupten, dass es egal ist, was das Publikum denkt, andererseits nicht behaupten, dass es nur darauf ankommt.
    Ein Musiker braucht einerseits positiven Feedback damit er Energie aufbringt weiter zu machen. Anderseits muss er selbstkritisch bleiben, damit er nicht faul, selbstgefällig und schlecht wird. Zu viel Selbstkritik lähmt den Musiker dann wieder und er wird steif und unnatürlich. Es ist glaube ich eine ständige mentale Gratwanderung.

  • Dann habe ich Dich hier wohl missverstanden:

    naja, egal.....


    Verstehe ich nicht. Warum mache ich mich "über das Publikum lustig", wenn ich beschreibe, was stattgefunden hat?

    Ein Musiker braucht einerseits positiven Feedback damit er Energie aufbringt weiter zu machen. Anderseits muss er selbstkritisch bleiben, damit er nicht faul, selbstgefällig und schlecht wird.


    Es gab durchaus Musiker, die ganz oder weitgehend ohne "positives Feedback" weitergemacht haben (z.B. Conlon Nancarrow, der jahrzehntelang in Mexiko quasi für die Schublade komponiert hat). Aber mal davon abgesehen: Ein Musiker, der dem Publikum mitteilt, dass sie soeben für ihr Eintrittsgeld ein Konzert gehört haben, für welches nicht geprobt wurde, tut das ja wohl in der Erwartung, dafür "positives Feedback" zu bekommen (was dann wie gesagt auch geschah), verhält sich aber gerade deshalb offensichtlich nicht "selbstkritisch" sondern "faul und selbstgefällig". Ich kann in diesem Fall nicht einmal sagen, dass das Konzert wirklich schlecht war, das Quartett ist wie gesagt weltbekannt. Aber es hätte eben besser sein können. Es ist für erstklassige Musiker normalerweise ein Leichtes, sagen wir 80 Prozent des Möglichen zu erreichen. Das geht mit vergleichsweise wenig Aufwand und ohne besondere Anstrengung, und es reicht bei entsprechendem Niveau auch in der Regel für ein "positives Feedback". Die nächsten 10 Prozent werden dann schon erheblich schwieriger, erfordern ein viel höheres Maß an Präzision, vor allem in der Kammermusik viel mehr gegenseitige Abstimmung von Dynamik, Artikulation, Phrasierung, Stimmführung usw., ein viel tieferes Eindringen in die Komposition und ihre Möglichkeiten. Diese 10 Prozent dauern deshalb in aller Regel länger als die 80 davor, aber ganz schwer wird es dann für die letzten 10 Prozent: Mit denen wird man, wenn man die Sache wirklich ernst nimmt, nie fertig.

  • Ganz schlimm fand ich es, als der Primarius eines sehr berühmten Streichquartetts bei der Ankündigung der Zugabe dem Publikum ganz stolz erzählte, dass sie wegen des parallel stattfindenden Meisterkurses so gut wie gar nicht geprobt hätten (was auch stimmte), und dafür auch noch lebhaften Beifall bekam.

    Bezog sich das "so gut wie gar nicht geprobt" nur auf die Zugabe oder auf das gesamte gespielte Programm einschließlich Zugabe?

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Mit denen wird man, wenn man die Sache wirklich ernst nimmt, nie fertig.

    genau meine Ansicht als ich schrieb:

    Anderseits muss er selbstkritisch bleiben, damit er nicht faul, selbstgefällig und schlecht wird.

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    Ein Musiker, der dem Publikum mitteilt, dass sie soeben für ihr Eintrittsgeld ein Konzert gehört haben, für welches nicht geprobt wurde, tut das ja wohl in der Erwartung, dafür "positives Feedback" zu bekommen (was dann wie gesagt auch geschah), verhält sich aber gerade deshalb offensichtlich nicht "selbstkritisch" sondern "faul und selbstgefällig".

    Ich sagte ja, dass er mE sich damit teils das Nest selber bechmutzt. Ich finde allerdings Deine Kausalitätskette hier etwas fragwürdig. Ich sehe diese Ansage eher als Entschuldigung. Aber egal.

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    Ich kann in diesem Fall nicht einmal sagen, dass das Konzert wirklich schlecht war, das Quartett ist wie gesagt weltbekannt. Aber es hätte eben besser sein können.

    Und das siehst (hörst) nur Du als professioneller Musiker.

    Wir haben keinerlei Beweise, dass die Musiker selber es nicht erkannt haben, dass es besser hätte gehen können. Die eine Ansage, dass man nicht geprobt habe, ist eigentlich eher ein Beweis dafür, dass sie es wussten und als Entschuldigung bringen wollten, falls sich die Meisertkursteilnehmer im Publikum , mit den "besseren Ohren" , sich gewundert haben sollten. Es gab aber viel Applaus und so scheint es selbst diese nicht gestört zu haben.

    Für mich ist deshalb, wenn ich mir Deinen Bericht genau anschaue, nur eins klar: Dir war es nicht genug, aber vielen anderen, die ebenso fachlich versiert sind, war es genug - vielleicht aber in anderer Beziehung. Vielleicht überzeugte sie der Ausdruck oder die Musizierfreude, obwohl sie die objektiven "Fehler" gehört haben. Bei den Nicht Profis wird es sowieso so gewesen sein, dass sie "Fehler" nicht bemerkt haben und sich über "die Musik" freuten.

    Und genau das meinte ich, als ich sagte, dass manchmal Profi Musiker die strengsten Kritiker sind. Ich schliesse mich ein. Ich höre das Klappern, die Intonationsfehler, die fehlenden Dynamiknotationen usw so sehr, dass sie mir "die Musik" verderben können. Je besser ich ein Stück kenne, desto schlimmer ist es. Es geht soweit, dass ich mich schlecht auf andere Interpretationen einlassen kann. Ich bin halt an eine gewöhnt und alles andere ist erstmal kategorisch "falsch und schlecht".
    Es hat viele Jahre gedauert, bis ich mir das auch nur annähernd abgewöhnt hatte. Gelingt mir immer noch nicht immer.

  • Bezog sich das "so gut wie gar nicht geprobt" nur auf die Zugabe oder auf das gesamte gespielte Programm einschließlich Zugabe?

    Auf das ganze Programm.

    Und genau das meinte ich, als ich sagte, dass manchmal Profi Musiker die strengsten Kritiker sind. Ich schliesse mich ein. Ich höre das Klappern, die Intonationsfehler, die fehlenden Dynamiknotationen usw so sehr, dass sie mir "die Musik" verderben können. Je besser ich ein Stück kenne, desto schlimmer ist es. Es geht soweit, dass ich mich schlecht auf andere Interpretationen einlassen kann. Ich bin halt an eine gewöhnt und alles andere ist erstmal kategorisch "falsch und schlecht".
    Es hat viele Jahre gedauert, bis ich mir das auch nur annähernd abgewöhnt hatte. Gelingt mir immer noch nicht immer.

    Interessant, hat aber mit dem, was ich geschrieben habe, nicht das Geringste zu tun. Weder habe ich etwas über Interpretation geschrieben noch darüber, dass mir etwas die Musik verdorben hätte. Ich habe auch kein Problem, mich auf andere Interpretationen einzulassen, wenn sie gut sind.

    Wir haben keinerlei Beweise, dass die Musiker selber es nicht erkannt haben, dass es besser hätte gehen können. Die eine Ansage, dass man nicht geprobt habe, ist eigentlich eher ein Beweis dafür, dass sie es wussten und als Entschuldigung bringen wollten

    Eben, und genau das ist es ja, was mich stört: Wenn sie wussten, dass sie ohne Probe nicht ihr bestes Niveau erreichen, warum haben sie dann nicht geprobt? Vermutlich weil sie der Meinung waren, dass ihr Zweitbestes schon ausreichend sein wird, und weil es so einfach bequemer war. Dieses "Zweitbeste" war wie gesagt auch ganz und gar nicht schlecht, aber eben nicht das Beste. Das Ganze war für mich auch nur ein typisches Beispiel für eine Haltung, die mich bei manchen Profis (und auch bei manchen Orchestern) stört, gerade wenn sie wirklich gut sind. In dieser Hinsicht spiele ich tatsächlich lieber mit Studenten, die noch nicht diesen vermeintlichen Unfehlbarkeitsstatuts erreicht haben. Wenn man das erst einmal von sich glaubt, kann es nur noch bergab gehen, und das hört man dann eben doch ziemlich bald.

  • Auf das ganze Programm.

    Wenn es so war, und nicht etwa ein Kokettieren mit der eigenen Überlegenheit, dann halte ich es auch für eine Chuzpe, dies dem Publikum so unverblümt zu sagen. Dass der Meisterkurs stattfand, war ja wohl vorher klar.

    Wolfgang Stresemann, langjähriger Intendant der Berliner Philharmoniker, wusste in seinen "Erinnerungen an Herbert von Karajan" zu berichten, dass bei den Salzburger Pfingstkonzerten 1973 nicht genug Probenzeit zur Verfügung stand. Samstag abend Bruckner 5, Sonntag morgen Mozarts Requiem plus Bruckners Te Deum, Sonntag abend Mozarts Konzert für drei Klaviere mit dem Maestro als dritten Solisten plus Bruckner 4, am Montag dann Bruckner 8. Da soll bei der Fünften und bei der Achten nicht alles geprobt worden sein.

    1977 führte Karajan mit seinen Berlinern Mahler 6 auf und murmelte in diesem Zusammenhang etwas von "Kapellmeistermusik". Tatsächlich hatte HvK für das Finale einen großen Strich geplant. Vor der Generalprobe redete Stresemann auf ihn ein, "dass man einen solchen Strich bei Mahler kaum verstehen würde". Karajan machte den Strich tatsächlich wieder auf, probte aber die fraglichen Abschnitte keineswegs. - Sozusagen ein Zeichen von Verachtung für die Musik, wie ich es verstehen würde.

    Na ja, wie dem auch sei: Im Konzert "aus dem Vollen zu schöpfen" und nicht die letzten Tiefen der Durchdringung des Werkes zu erreichen, ist eine Sache; dem Publikum das dann auch noch zu sagen, eine andere.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Nur mal so zur Vorsicht:
    die Beiträge 7 bis 15 haben NICHTS mit meinem Bericht zum Kölner Konzert zu tun!! Und ich möchte diesen Abend aus den genannten Gründen weiterhin aus der Kritik heraushalten. Hier galt nicht ein wie immer gearteter "Leistungsanspruch".

  • Nur mal so zur Vorsicht:
    die Beiträge 7 bis 15 haben NICHTS mit meinem Bericht zum Kölner Konzert zu tun!! Und ich möchte diesen Abend aus den genannten Gründen weiterhin aus der Kritik heraushalten. Hier galt nicht ein wie immer gearteter "Leistungsanspruch".

    Das hatte ich aber auch ausdrücklich so geschrieben:

    In einem Notfall (wie er hier anscheinend vorlag) finde ich es akzeptabel, wenn Musiker auf dem Niveau der Artemis-Spieler auch mal ohne angemessene Probenarbeit spielen

    Ich habe so etwas übrigens selbst auch schon einmal gemacht, vielleicht sogar extremer: Da rief mich ein Veranstalter knapp zwei Stunden vor dem Beginn eines Konzertes mit der Oboistin Anne Leek an, weil der Pianist sich gerade eben krank gemeldet hatte. Ich habe mich dann sofort auf den Weg gemacht, mich (natürlich als Beifahrer) während der rund zweistündigen Fahrt im Auto umgezogen und dann die Noten einer mir bis dahin völlig unbekannten frühen Mendelssohn-Sonate (im Original für Geige) so gut es irgend ging stumm geübt, Fingersätze geschrieben usw., während der Veranstalter das Publikum mit Freigetränken bei Laune hielt. Nach einer etwa fünfminütigen Konzentrationspause vor Ort und ein paar ganz groben Absprachen (eigentlich nur Grundtempi und die Frage der Wiederholungen) sind wir dann auf die Bühne gegangen. Den Rest des Programms kannte ich wenigstens gut, aber es gab logischerweise auch da keine Probe. Künstlerisch kann ich das kaum entschuldigen, aber ich war jung und brauchte das Geld :D .

  • Künstlerisch kann ich das kaum entschuldigen

    Naja - ist das nicht auch "eine Kunst"?!
    Wenn ich mal die Idee zu Grunde lege, dass ein ausübender Musiker zum Ziel hätte (bitte den Konjunktiv beachten!), nicht-musizierenden, aber musikliebenden Menschen eine auch ihm bis dato unbekannte Mendelssohn-Sonate vorzustellen, dann könnte das doch so durchaus gelingen. Jedenfalls deutlich besser, als wenn er - weil ungeübt - nicht spielen würde.
    Natürlich hat er (oder auch sie) das Werk nicht "durchdrungen", was auch immer das im Einzelnen bedeuten würde. Aber er/sie zeigte dem erwartungsvollen Publikum (das vemutlich ein dem Profi unbekanntes Werk auch eher nicht kennt) immerhin, was da so möglich ist. Und das nenne ich durchaus auch "Künstlertum"! Im Sinne von Gestalten, aus dem Moment das Bestmögliche erschaffen. Um mit einem häuslichen Beispiel zu kommen: wenn eine Hausfrau/ ein Hausmann den Überraschungsgästen aus den Vorräten ein Spontanmenu zaubert, nenne ich auch das "eine Kunst": sicher in keiner Weise an irgendwelche Gourmettempel heranreichend, aber das ist dann auch nicht entscheidend. Sondern die dahintersteckende Idee (s.o.), lieben Menschen etwas Nahrhaftes vorzusetzen - und ihnen damit die Freude über den Besuch zu zeigen.

  • Interessant, hat aber mit dem, was ich geschrieben habe, nicht das Geringste zu tun. Weder habe ich etwas über Interpretation geschrieben noch darüber, dass mir etwas die Musik verdorben hätte. Ich habe auch kein Problem, mich auf andere Interpretationen einzulassen, wenn sie gut sind

    Dann erkläre ich es Dir, was es damit zu tun hat. Meiner Meinung nach hast Du de facto hier genau über Interpretation gesprochen:

    Die nächsten 10 Prozent werden dann schon erheblich schwieriger, erfordern ein viel höheres Maß an Präzision, vor allem in der Kammermusik viel mehr gegenseitige Abstimmung von Dynamik, Artikulation, Phrasierung, Stimmführung usw., ein viel tieferes Eindringen in die Komposition und ihre Möglichkeiten. Diese 10 Prozent dauern deshalb in aller Regel länger als die 80 davor, aber ganz schwer wird es dann für die letzten 10 Prozent: Mit denen wird man, wenn man die Sache wirklich ernst nimmt, nie fertig.

    Nur Du, als Profi, kannst wirklich die Ausmasse eines Fehlens all dieser Dinge beurteilen. Nicht-Profis bemerken auch etwas davon, aber unumstritten sehr viel weniger. Es ist also sowieso nur Dir und anderen Profis möglich den grössten Anteil dieser fehlenden 20% zu bemerken.

    Ich sagte ja, dass das normale Konzertpublikum sehr viel grosszügiger ist. Wir als Profis sind es aber nicht, weil nur wir überhaupt merken, was fehlt. Du hast, wie oben zitiert, selber gesagt, dass Dir etwas fehlt und was es ist. Und dass Dir deshalb die Darbietung des Quartetts nicht reichte. Das liegt aber nur daran, dass Du Profi bist. Und das war mein Punkt.

  • Wenn ich ins Konzert oder in die Oper gehe, erwarte ich natürlich grundsätzlich eine sehr gute Leistung, und ich erwarte, dass sich die Künstler bemühen und sehr gut vorbereitet sind. Das Publikum, also unter anderem ich, zahlt ja auch dafür. Auch wenn viele Besucher nicht alle Details mitbekommen (hat niemand bestritten - sonst würden mittelmäßige oder schlechte Leistungen nicht bejubelt werden), dürfen sich die Künstler nicht nach dem Mittelmaß richten, sonst werden sie selbst mittelmäßig. Ich bin überhaupt kein Profi, aber falsche Intonation, falsche Einsätze und andere Fehler höre auch ich.

    Ist nicht sowieso das Konzept der Kammermusik auch immer mit gewesen, dass man sie auch als spontane Hausmusik verstehen und geniessen kann?

    Hausmusik ist Hausmusik, und Musik in Konzertsälen ist Musik in Konzertsälen, für die man erwartet, dass sie sich hinsichtlich der Qualität massiv von Hausmusik unterscheidet.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Hausmusik ist Hausmusik, und Musik in Konzertsälen ist Musik in Konzertsälen, für die man erwartet, dass sie sich hinsichtlich der Qualität massiv von Hausmusik unterscheidet.

    Hast Du auch mitgekriegt, wovon wir hier gerade reden? Deine apodiktische Anmerkung jedenfalls passt GENAU NICHT zu diesem Thema!

  • Hast Du auch mitgekriegt, wovon wir hier gerade reden? Deine apodiktische Anmerkung jedenfalls passt GENAU NICHT zu diesem Thema!

    Selbstverständlich hab ich das.
    Die "apodiktische Anmerkung" ist eine Antwort auf die Aussage in Beitrag 20 (EDIT: nach dem Verschieben in einen neuen Thread: Beitrag 14), dass es bei Kammermusik eh nicht so auf die Qualität ankommt, weil man ja argumentieren könne, sie stehe in der Tradition der Hausmusik. Sorry, aber so geht das nicht. Ein Konzertsaal ist kein Ort für Hausmusik-Qualität.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Naja - ist das nicht auch "eine Kunst"?!
    Wenn ich mal die Idee zu Grunde lege, dass ein ausübender Musiker zum Ziel hätte (bitte den Konjunktiv beachten!), nicht-musizierenden, aber musikliebenden Menschen eine auch ihm bis dato unbekannte Mendelssohn-Sonate vorzustellen, dann könnte das doch so durchaus gelingen. Jedenfalls deutlich besser, als wenn er - weil ungeübt - nicht spielen würde.
    Natürlich hat er (oder auch sie) das Werk nicht "durchdrungen", was auch immer das im Einzelnen bedeuten würde. Aber er/sie zeigte dem erwartungsvollen Publikum (das vemutlich ein dem Profi unbekanntes Werk auch eher nicht kennt) immerhin, was da so möglich ist. Und das nenne ich durchaus auch "Künstlertum"! Im Sinne von Gestalten, aus dem Moment das Bestmögliche erschaffen. Um mit einem häuslichen Beispiel zu kommen: wenn eine Hausfrau/ ein Hausmann den Überraschungsgästen aus den Vorräten ein Spontanmenu zaubert, nenne ich auch das "eine Kunst": sicher in keiner Weise an irgendwelche Gourmettempel heranreichend, aber das ist dann auch nicht entscheidend. Sondern die dahintersteckende Idee (s.o.), lieben Menschen etwas Nahrhaftes vorzusetzen - und ihnen damit die Freude über den Besuch zu zeigen.

    Der Unterschied ist aber doch ganz offensichtlich: Die Gäste der Hausfrau*Inn ( :versteck1: ) zahlen normalerweise nicht für das Essen. Aber wenn ich zu Harald Wohlfarth ginge und dort einen Teller Spaghetti mit Tomatensauce bekäme, weil gerade nichts anderes im Haus oder keine Zeit für die Kreation eines Spitzenmenüs war, käme ich doch ins Grübeln.... "Gestalten, aus dem Moment das Bestmögliche erschaffen": Ja, da stimme ich zu, aber das "Bestmögliche aus dem Moment" setzt eben auch die bestmögliche Vorbereitung voraus, und die war hier einfach nicht gegeben. Deshalb finde ich, dass solche Aktionen wie die beschriebene nicht mehr als die zweitschlechteste aller Möglichkeiten sind: Schlechter wäre nur die Konzertabsage. Und selbst das weiß man eigentlich erst hinterher. Ich bin auch ehrlich gesagt nicht sicher, ob ich so etwas heute noch einmal machen würde, obwohl ich natürlich inzwischen erheblich mehr Routine und Erfahrung einbringen könnte.

    Nur Du, als Profi, kannst wirklich die Ausmasse eines Fehlens all dieser Dinge beurteilen. Nicht-Profis bemerken auch etwas davon, aber unumstritten sehr viel weniger. Es ist also sowieso nur Dir und anderen Profis möglich den grössten Anteil dieser fehlenden 20% zu bemerken.

    Ich sagte ja, dass das normale Konzertpublikum sehr viel grosszügiger ist. Wir als Profis sind es aber nicht, weil nur wir überhaupt merken, was fehlt. Du hast, wie oben zitiert, selber gesagt, dass Dir etwas fehlt und was es ist. Und dass Dir deshalb die Darbietung des Quartetts nicht reichte. Das liegt aber nur daran, dass Du Profi bist. Und das war mein Punkt.

    Irgendwie verstehst Du mich hartnäckig falsch: Ich rede bei den 80 oder 90 Prozent nicht von dem, was ich mir wünsche, auch nicht von einem absoluten Maßstab, sondern von dem was dem Musiker bzw. dem Ensemble persönlich möglich wäre. Dass ein Spitzenquartett dabei auch mit 80 Prozent noch weit besser spielt als ein anderes mit 95 Prozent, ist doch selbstverständlich, aber ich erwarte von ersterem, dass es sich nicht damit zufrieden gibt, sondern selbst möglichst nahe an 100 Prozent heranzukommen versucht, und zwar immer wieder. Das ist völlig unabhängig davon, was Profis oder Laien dann hören. Ich kritisiere nicht eine Leistung sondern eine Haltung, die aus schierer Bequemlichkeit die persönliche Leistung beeinträchtigt. Das alles wie gesagt natürlich nicht in Bezug auf dieses Artemis-Konzert in Köln, da war es sicher besser als eine Konzertabsage.

  • Sorry, aber so geht das nicht. Ein Konzertsaal ist kein Ort für Hausmusik-Qualität.

    Dieser Meinung bin ich auch.
    Es gibt vielleicht in meiner nun über 40 jährigen Konzerttätigkeit nur zwei oder drei Situationen, in denen
    ich gezwungen war,mich anders zu verhalten.
    Zum einen bei einem Quartettkonzert eines Ensembles meines Orchesters,wo ich am Konzerttag prima Vista
    einsteigen mußte wegen eines Ausfalles.
    DAS wurde übrigens NICHT angesagt und es hat geklappt.
    Ich war ja nur einer von vier und kannte meine Kollegen.
    Dann geht das auf einem gewissen Niveau.

    Zum anderen bei einem Salonorchester aus demselben Grund.
    Nur habe ich in diesem Falle,da es leichtere Musik war, aus der Not eine
    Tugend gemacht und es ansagen lassen.
    So als Show halt.

    Weil ich wußte, dass das kein Problem wird und ich auch gerne angebe.
    Dem Publikum hat es jedenfalls gefallen.
    Und der Kritik auch.
    Aber das war ja eben KEIN künstlerisch anspruchsvolles Konzert.

    https://m.azonline.de/Muensterland/K…d-Berliner-Luft


    Barenboim hat übrigens ganz zum Schluß seiner GMD- Tätigkeit in Chicago
    dieses Orchester auf Europa- Tournee gebracht.
    DAS ist für mich ein künstlerisch anspruchsvolles Konzert.

    Das erste Konzert in Wien beinhaltete die 9.Sinfonie von Mahler.
    Dieses Werk hatte das Chicago S.O.damals 17 Jahre lang nicht mehr gespielt.
    Und Barenboim bestand darauf, dass es keine Proben geben wird.
    Denn er wollte anscheinend "spontan" dirigieren können und wollen.
    Die Musiker sollten wohl nur abliefern, und er wußte,dass sie das draufhatten.

    Die Musiker waren jedenfalls stocksauer damals und heilfroh,nachdem diese Tournee vorbei war
    und er dann letztendlich auch weg ging.

    Das habe ich damals zeitnah auf den Cello Chat Seiten von Cellisten des Chicago S.O.
    mitbekommen.
    Natürlich ist ein Orchester dieser Klasse-und auch ziemlich viele andere- in der Lage,
    so etwas zu stemmen.
    Andernorts,z.B. in GB, gibt es durchaus nur eine oder sehr wenige Proben.
    Das ist ja auch ok,das sind die Spielregeln.

    Aber nach Wien zu kommen und eine Mahler 9. überhaupt nicht geprobt zu haben,das war für
    die Musiker damals ein Affront.

    Auf den Rest dieser Diskussion gehe ich nicht weiter ein, denn das entwickelt sich hier
    unschön.Daran werde ich nicht teilhaben.

    Sorry,meine 2cent zum Thema.

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