'Film noir' oder 'Die Welt ist schlecht'
'Le Film Noir', 'The Psychological Thriller', 'Die Schwarze Serie' - ein Topos der Filmgeschichte. Der Begriff ist klar, allgemein bekannt und jeder weiß in etwa, was damit gemeint ist.
Aber genau da geht es schon los. Der FN (ich nehme jetzt einmal den französischen Begriff) war nie ein exaktes Genre, sondern eher eine Welle, etwas, was bestimmte amerikanische Filme der 40iger, 50iger Jahre miteinander verband. Aber vielleicht auch schon Filme der 30iger, vielleicht sogar auch solche aus England, Frankreich oder Deutschland.
So wie die 'Nouvelle Vague' eigentlich keinen genauen Beginn hat, weil es ja all die Vorläufer gibt, so kann man den FN auch nicht auf einen ersten Film festlegen und schon gar nicht das Ende definieren. Allgemein wird wohl 'The Maltese Falcon' (John Huston) als Beginn und 'Touch of Evil' (Orson Welles) als Ende der klassischen, amerikanischen Zeit angesehen. Aber diese Eingrenzung bringt einen nur bedingt weiter. Wichtiger sind dann wohl spezifische inhaltliche Merkmale.
Zunächst (und Ausnahmen bestimmen im Fall des FN immer die Regel) handelt es sich um ein amerikanisches Filmphänomen, was aber natürlich Vorläufer hatte. Die Masse der Filme, die der FN zugeordnet wird, entstand in Hollywood in den 40iger und 50iger Jahre im Zusammenhang mit dem II. Weltkrieg. Dieses Phänomen, diese Welle hatte Gemeinsamkeiten (und auch hier wieder die Sache mit der Regel und den Ausnahmen):
- Krimi, Gangsterfilm, Thriller
- Schwarz-Weiß-Fotografie
- harte, klare Lichtregie mit viel Licht und Schatten
- Untersicht, Tiefenschärfe, schräge Kamerawinkel, bizarre Effekte
- urbanes Umfeld
- oft ein Detektiv
- Frauen ist nicht zu trauen
- mindestens ein Mord
- gerne Rückblenden
- Erzähler aus dem Off
- Perspektivlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, soziale Determinierung
- Korruption, Angst, Entfremdung, Amoralität,
- Pessimismus
- Gesellschaftskritik, Kapitalismuskritik, Zweifel am 'amerikanischen Traum'
Der Film Noir war kein radikaler Bruch mit dem klassischen Hollywood à la MGM, sondern eher ein schleichender Prozess, etwas, was durch die politischen Umstände bedingt war. Einerseits kamen nach 1933 sehr viele vom deutschen Expressionismus geprägte Filmschaffende in die USA, andererseits konnte die nach dem Börsenkrach 1929 entstandene Welle von Screwball-Komödien und Musicals mit der sozialen Wirklichkeit während des New Deal nicht mehr mithalten. Dazu kam dann der Ausbruch des II. Weltkriegs und der Eintritt der USA 1941. Das genau war der Zeitpunkt als Hollywood, jedenfalls ein Teil davon, unter dem Einfluss gerade auch deutschsprachiger Emigranten und amerikanischer Autoren eine ganz andere Sicht auf die Realität erleben musste. Die Welt war aus den Fugen. Im Angesicht einer wirklich realen Bedrohung oder einer als solche empfundenen, verlangte das Publikum einerseits 'wirkliche' Menschen und andererseits das Abbild der eigenen, alltäglichen Wirklichkeit. Und Hollywood bediente das natürlich. 'Never change a winning team' - als sich zeigte, dass diese Art von Filmen Erfolg hatte, brach eine wirkliche Welle los.
Der Film Noir hat eine ganze Reihe von filmischen Meisterwerken hinterlassen und hat, wenigstens für eine gewisse Zeit, das klassische Hollywood ein wenig entzaubert. Plötzlich brach eben die Realität ein in die Traumfabrik (was man auch immer unter Realität verstehen möchte) und es nahte die große Stunde mancher Emigranten, die ihre eigene Prägung mit einbringen konnten. Und zusammen entstanden Filme (ok, von höchst unterschiedlicher Qualität) die in neuer, für Hollywood ungewohnter Weise Realität und Zeitgeschehen reflektierten. Zeit- und schicksalsbedingt zwar in extrem negativer Weise, aber damit immer noch mehr am wirklichen Leben als die 'Traumfabrik' sonst versprach.
Der FN war natürlich nicht nur auf die USA beschränkt. Ansätze, Ähnlichkeiten finden sich in vielen Ländern. 'The Third Man', 'Odd Man Out', 'Pépé le Moko', 'Les Diaboliques', 'Nachts, wenn der Teufel kam' und viele andere bedienten sich mehr oder weniger stark an Formen und Inhalten des FN. Aber auch nachfolgende Generationen von Regisseuren waren vom FN begeistert, wurden von ihm beeinflusst. Truffaut, Godard, Fassbinder, Hitchcock, Fuller usw.
Was nun unbedingt sehen? Der FN ist äußerst vielfältig und wahrlich auch sehr unterschiedlich in der Qualität. Die frühen US-Filme von Fritz Lang z.B. ('Fury', 'You Only Live Once'), die darauf hinführen, weil sie die expressionistische Kameraführung und Lichtregie hatten, die dann für den FN so wichtig wurden und dann natürlich die großen Meisterwerke:
- The Maltese Falcon (John Huston)
- Double Indemnity (Billy Wilder)
- The Killers (Robert Siodmak)
- Touch of Evil (Orson Welles)
Und all die Filme dazwischen und die sind Legion. All die entsprechenden Filme von Hitchcock, Hawks, Walsh, Huston, Litvak, Welles, Dmytryk, Hathaway, Siodmak, Ulmer, Negulesco, Curtiz, Mann, Ray, Preminger, Wyler, Losey, Fuller, Dassin und so weiter und so fort. Das halbe Hollywood hat zu dieser Welle beigetragen und damit zwischen Bewältigung der Weltwirtschaftskrise und Eisenhower/McCarthy-Ära zu einem markanten, weitreichenden und bedeutenden Abschnitt Hollywoods beigetragen.
Wolfram