Die bedeutenden Violinkonzerte des ausgehenden 20. und des 21. Jahrhunderts (1960-2020)

  • Das knapp halbstündige Violinkonzert von Unsuk Chin eröffnet eine ganz eigene Klangwelt, die mich an einigen Stellen entfernt an die von John Luther Adams (nicht John Adams) erinnert. Bei ihr steht der Klang im Vordergrund und auch wenn es vier Sätze gibt, hat das Ganze mit einem konventionellen Violinkonzert wenig zu tun. Da schimmert und glimmert es unentwegt und die permanent geforderte Sologeige ist in das Klanggeschehen weitgehend integriert.


    Um nochmals auf dieses begeisternde Konzert zurückzukommen. Ich habe es unterdessen auch auf meine Homepage unbekannter Violinkonzerte aufgenommen, weil es bisher selten gespielt und es meines Wissens nur eine, allerdings sehr gute CD-Aufnahme gibt.


    UNSUK CHIN: VIOLIN CONCERTO (2001)


    Als Violinkonzert sei diese Komposition von Unsuk Chin "das erste Meisterwerk des neuen Jahrhunderts", meinte eine Kritik, als das Konzert im März 2008 in Montréal uraufgeführt wurde. Für Chin ist es wichtig, dass ihre Kompositionen nicht einfach auf südkoreanische Musik festgelegt wird. Obwohl in Südkorea geboren, wurde sie musikalisch prägend in Europa ausgebildet, und studierte unter andern bei György Ligeti. Sie lebt seit 1988 in Berlin.
    Ein Zitat von ihr kann gut in ihr Violinkonzert einführen und hilft, unser eigene Hörerwartung adäquat voreinzustellen: „Meine Musik ist das Abbild meiner Träume. Die Visionen von immensem Licht und von unwahrscheinlicher Farbenpracht, die ich in allen meinen Träumen erblicke, versuche ich in meiner Musik darzustellen als ein Spiel von Licht und Farben, die durch den Raum fließen und gleichzeitig eine plastische Klangskulptur bilden, deren Schönheit sehr abstrakt und auch distanziert ist, aber gerade dadurch unmittelbar die Gefühle anspricht und Freude und Wärme vermittelt.“
    Zur Form: Das Konzert ist ungewohnt, aber gleich wie Unsuks Piano- und Cellokonzert, viersätzig (4 Movements!) und folgt den Satzcharakteren einer klassischen Sinfonie, mit einem einführenden und exponierenden ersten Satz, einem langsamen und einem scherzohaften sowie einem Schlusssatz, der zum Schluss an den Beginn erinnert.
    Die Violine steht dem Orchester gegenüber, sie schwebt öfters sogar über dem Orchesterklang, der meist trägt bzw. manchmal heimlich bedrohlich wirkt.
    Das Violinkonzert von Unsuk Chin wurde 2004 mit dem prestige- und finanzträchtigen Grawemeyer-Preis der Universität Louisville für Musikkomposition ausgezeichnet.
    Hier zu hören!

    SATZ 1 (MOVEMENT I ÜBERSCHRIEBEN)

    Alles fängt im Dunkeln an. Liegende, sich sanft bewegende tiefe Klänge zweier Marimbas bilden den Untergrund, dazu zieht die Sologeige eine zarte Linie, gemischt aus Flageoletten, Obertonklängen und den leeren Saiten der Geige. Quinten, der Abstand der leeren Saiten auf der Geige, eröffnen den Raum, aus dem alles entsteht. Harfen zupfen, Akkorde verschieben sich, ihre sonore Bewegung lässt einen feinen Klangraum entstehen und anschwellen, der dann unvermutet auf der leeren G-Saite der Sologeige gleichsam ausblendet. In einer Art Kadenz, sozusagen in einem musikalische Zoomen, stellt die Geige sich und ihren Quintenklangraum vor, als würde sie sich nochmals auf das, was geschehen wird, einstimmen. Sie übt ihre Läufe und Möglichkeiten, gleichsam verträumt improvisierend. Leise Paukenschläge und Flöteneinwürfe begleiten. Dann folgen auffällige Schleifer über die hohen Saiten und beenden die Kadenz. Die Geige drängt vorwärts. Die Bewegung wird schneller und gipfelt gleichsam in einem Moto Perpetuo des ganzen Orchesters, das von Einwürfen von Flöten, Harfen, Xylophon und Bläsern angetrieben wird. Immer heftigere Orchesterschläge treiben die Geige vor sich hin. Dann ein Moment der Ruhe, es folgt eine weitere Kadenz, konturierter als zuvor sich vom Zarten zum Energischen Spiel steigernd. Das Orchester tritt wild dazu. Ein anhaltender Blechbläserakkord und wilde Läufe in den Streichern leiten den lärmenden Höhepunkt des Satzes ein, ein Traum wird zum Albtraum, das Orchester treibt die Solistin in wilde Verzweiflung, bis sie ermattet abstürzt.

    HEADLINE 2

    Der langsame zweite Satz setzt mit einer wieder beruhigten langen Linie der Violine ein, begleitet zuerst von regelmässig zupfenden Harfen und leisem Schlagzeug, dann von sanften Klängen des Orchesters. Die Streicher schwirren sanft. Die warme Konsonanz, die hier zu hören ist, erinnert zusammen mit ihrer hell glitzernden Oberfläche (die durch Gongs nach unten erweitert wird) an eine Klangwelt, die wir etwas oberflächlich mit Asien verbinden. Aber es ist keine Klischee-Ruhe, die Klänge entwickeln sich in vielfältigem Suchen vorwärts im Raum, dahin und dorthin, manchmal schon fast etwas nervös. Plötzlich schneidende Blechbläserakkorde, die Geige wacht verwirrt auf, und erst langsam beruhigt sich die Stimmung wieder. Wie im ersten Satz tauchen wieder lange Blechbläserakkorde auf, die aber jetzt Geige, Orchester und uns Zuhörende langsam wieder zurückführen in tiefe Ruhe.

    SATZ 3 (MOVEMENT III)

    Kontrast ist angesagt, Rhythmus statt ruhende Klänge. Pizzicati, heftiges Reissen der Saiten, zupfende Melodiefetzen in der Geige übernehmen die Führung, unruhige Rhythmen und deutliche Schläge prägen diesen Satz, als wolle er an den Scherzo-Satz der traditionellen Sinfonik erinnern. Immer mehr gerät die Geige in die Fänge das Orchesters, sie widersteht vorerst, flieht, entzieht sich dann in stratosphärische Höhen, versteckt sich. Ein Moment Pause, dann zupft die Geige wieder ihre Pizzicati und Rhythmen, das Orchester aber hat genug und scheint sich unwillig neu stimmen zu wollen, Quintenklänge, die Geige bleibt mit ihren gezupften Rhythmen allein, Ende.


    SATZ 4 (MOVEMENT IV)

    Die vier leeren Saiten und die Quinten zwischen ihnen bildeten den Ausgangspunkt für die ersten drei Sätze. Das vierte «Movement» gerät anders in Bewegung. Es beginnt in ganz hoher Lage, umspielt einen Ton, von dem aus dann das Spektrum der Klänge nach unten erweitert wird. Schrille Geige, Einwürfe von Flöten und hohen Trompeten, alle Klänge in höchster unangenehm fiebriger Hochlage, hitziges Träumen, manische Wiederholungen, man wird kaum wach, nur diese unangenehme psychisch-akustische Stimmung bleibt, will nicht aufhören. Dissonante Virtuosität in der Geige und alptraumhafte Orchesterbewegungen überlagern sich, man ist als Hörer von der Dichte all dieses Geschehens überfordert, bedrängt, gefangen: Ereignisdichte unserer Zeit, Hektik, Stress……. Dann aber eine unerwartete Beruhigung, ein Zurückgehen in die Klangräume der Stille, wohltuende Quinten, zurück zum Anfang des Konzertes, zu den feinen Linien der Violine des Anfangs, Aufatmen und Schluss in Ruhe, auch wenn eine gewisse Beunruhigung gerade nach diesem Schlusssatz bleibt. Aber einer der vielen Kreise des Kosmos ist wieder abgeschlossen.

  • Peter Eötvös: Violinkonzert Nr. 3 „Alhambra“
    Isabelle Faust, Violine
    Orchestre de Paris, Pablo Heras-Casado

    Ein ungemein interessantes und teilweise virtuoses Violinkonzert, direkt auf Isabelle Faust zugeschnitten und ihr auch gewidmet. Es ist die erste Aufnahme des Werkes, das 2019 am Ort des Geschehens im Palacio de Carlos V in der Alhambra von Granada uraufgeführt wurde, mit Isabelle Faust und dem Mahler Chamber Orchestra unter Pablo Heras-Casado. Schade, dass das MCO nicht auch hier bei der Aufnahme mit von der Partie ist.
    Das Werk beginnt mit einer expressiven und weit ausholenden Solokadenz der Violine, bevor das Orchester nach mehr als einer Minute hinzutritt. Und es endet auch mit einem kurzen Epilog der Solo-Violine in leicht klagendem Ton, der vielleicht die Trauer Muhammads XII. bei der Übergabe des Palasts 1492 an die Reyes Católicos darstellt. Das Solo-Instrument scheint eine Art Erzählerfunktion zu haben. Laut Erläuterungen von Eötvös „ähnelt [das Stück] eher einem Spaziergang durch das mysteriöse Gebäude der Alhambra“. So spielt der Ton G (=Granada) eine dominante Rolle. Zur Unterstreichung des Lokalkolorits hat Eötvös als Gegenpart zur Geige eine Mandoline in scordatura-Stimmung hinzugesetzt. Ich muss allerdings gestehen, dass mir dies im Verlauf des Stücks nicht wesentlich aufgefallen ist. Aber vielleicht entdeckt man das auch erst nach mehrfachem Hören.
    Isabelle Faust spielt das Ganze jedenfalls phänomenal in vielfacher Abstufung der Klangfarben, und auch das Orchester unter Heras-Casado klingt fabelhaft. Tiefschürfenderes kann ich nach einer ersten Hör-Erfahrung nicht sagen.
    :wink:

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Nach langer Zeit mehr durch Zufall wieder entdeckt:

    Milko Kelemen: Violinkonzert "Grand Jeu Classique" (1982)
    Ulf Hoelscher, Violine,
    Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, Jacques Mercier

    Ich bekam die CD in der Originalausgabe von col legno (limitierte und vom Komponisten handsignierte Auflage, 1987) vor langer Zeit von Arbeitskollegen zum 40. Geburtstag geschenkt und sie fristete nach einmaligem Anhören dann lange Zeit ein Aschenputtel-Dasein. Erst heute beim "Zappen" auf meiner Synology Diskstation wiedergefunden und mit großer Freude angehört. Das Konzert kommt einem wie ein Kaleidoskop der verschiedensten Stile vor, von klassischen bis hin zu seriellen Elementen, und ist somit tatsächlich ein "grand jeu".

    Dazu noch ein Zitat von Wikipedia zum grundsätzlichen Stil Kelemens:

    Zitat von Wikipedia

    Ein wichtiges Prinzip seines Wirkens war das Bestreben, die Komplexität Neuer Musik transparenter zu machen. Seine schöpferische Grundhaltung hat er in dem Buch Klangwelten formuliert: „Die Normvorstellung meiner Werturteile geht davon aus, dass in der Musik der Einfluss der Archetypen – beziehungsweise die Wirkung des Akkords des Eindrucksvollen – von der Imagination angefangen bis hin zu Form, Sprache und Struktur erhalten bleibt.“
    Kelemen lehnte es ab, Neuartigkeit zum Selbstzweck zu erheben. Er setzte sich vielmehr für eine postmoderne neue Einfachheit unter Verwendung der Onomatopoesis ein: Das musikalische Gesamtgefüge wird nicht mehr formal künstlich konstruiert, um einen wechselseitigen logischen Bezug der einzelnen Teile zu erreichen. Dafür wurde eine neue Eigenqualität erzielt, indem außermusikalische Klänge lautmalerisch nachgezeichnet wurden.

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Nach langer Zeit mehr durch Zufall wieder entdeckt:

    Milko Kelemen: Violinkonzert "Grand Jeu Classique" (1982)
    Ulf Hoelscher, Violine,
    Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, Jacques Mercier

    Ich bekam die CD in der Originalausgabe von col legno (limitierte und vom Komponisten handsignierte Auflage, 1987) vor langer Zeit von Arbeitskollegen zum 40. Geburtstag geschenkt und sie fristete nach einmaligem Anhören dann lange Zeit ein Aschenputtel-Dasein. Erst heute beim "Zappen" auf meiner Synology Diskstation wiedergefunden und mit großer Freude angehört. Das Konzert kommt einem wie ein Kaleidoskop der verschiedensten Stile vor, von klassischen bis hin zu seriellen Elementen, und ist somit tatsächlich ein "grand jeu".

    Dazu noch ein Zitat von Wikipedia zum grundsätzlichen Stil Kelemens:

    Dank Deiner Anregung, werter Leverkuehn, habe ich mir das Violinkonzert vorhin wieder einmal angehört - es könnte das dritte oder vierte Mal gewesen sein nach der Anschaffung vor etwa drei Jahren.

    So reizvoll diese Musik ist, muss ich allerdings zugeben, dass das umfangreiche Booklet Auszüge aus theoretischen Texten des hochbetagt vor wenigen Jahren verstorbenen Komponisten enthält, die ich in ihrer philosophischen Haltung und deren sprachlicher Durchdringung zwar per se geschlossen finde. Aber der Bezug zum Werk ist mir denn doch zu beliebig. Vielleicht nur mein Problem ...

    Das Zitat aus Wikipedia kann ich nachvollziehen. Die Musik entwickelt bei aller avantgarde-nahen Haltung Bildhaftigkeit jenseits selbstzweckhafter Strukturierung des Materials. Auch der Anspruch, Klassizität, Serialismus und (bedingt) Minimalismus postmodern zu verknüpfen, wie ich im Booklet lese, scheint mir erfüllt.

    Die Streichquartette haben sich mir weniger unmittelbar erschlossen.

    Eötvös hast Du mir zuvor ebenfalls schmackhaft gemacht. Ich kenne einige seiner attraktiven und ungewöhnlichen Solo-Konzerte - an erster Stelle steht das Konzert für große Orgel und Hammondorgel mit Orchester "Multiversum" - und erwarte mir wiederum einen musikalischen Leckerbissen einer im Vergleich mit Kelemen zweifellos vordergründigeren Postmoderne.

    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Hallo Wolfgang,
    ich bin beileibe kein Spezialist für moderne Musik. Mir bleibt hier auch nur die „bauchmäßige“ Wahrnehmung solcher Stücke, schon weil der Zugang zu den Noten zu schwierig bzw. kostspielig ist für den Amateur. Das Violinkonzert hat mich daher auch mehr angesprochen als die Streichquartette. Bin gespannt, wie Dir der Eötvös gefällt.
    Hier auf Facebook kann man übrigens die Uraufführung sehen, ich weiß aber nicht, ob der Link funktioniert, wenn man da keinen Account besitzt. Das Stück wurde dann auch von den Berliner Philharmonikern unter Eötvös selbst aufgeführt (in der DCH zu sehen). Mich hat es sicher auch deswegen fasziniert, weil ich zugegebenermaßen großer Fan von Isabelle Faust bin.

    :wink: Stephan

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)


  • [...] großer Fan von Isabelle Faust [...].

    Auch da kommen wir zusammen, Stephan.

    Und weil es diese Solistin betrifft und in den Thread passt, eine weitere Empfehlung:

    Dieses Spätwerk meines Namensgebers [ :D ] stammt von 1972.

    Es gehört wohl zu den etwas spröderen Kompositionen des Franzosen, aber ich möchte es nicht missen. Der beschwörende Charakter dieser meditativen bis exotischen, auf jeden Fall eindringlichen, wenn auch nicht primär eingängigen Musik - die beiden Trompetenkonzerte etwa sind weit einfachere Kost - erweist sich allenthalben als typisch für seinen Schöpfer und es zeigen sich (wiederum) Berührungspunkte zwischen westlicher und östlicher (Musik-)Kultur - freilich auf einem eher abstrakten Niveau.

    Hörbar ist auch das die Musik einer Isabelle Faust.


    :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Danke für den Tipp. Der Amazon-Preis ist ja himmelstürmend. Aber ich kaufe sowieso nur noch Flac-Downloads, hab's gerade bei Presto-Music zu einem gesitteten Preis gefunden...

    VG, Stephan

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Danke für den Tipp. Der Amazon-Preis ist ja himmelstürmend. Aber ich kaufe sowieso nur noch Flac-Downloads, hab's gerade bei Presto-Music zu einem gesitteten Preis gefunden...

    VG, Stephan

    Damals war's ein wenig deutlich billiger - und hören werde ich das Konzert nachher mal wieder. :thumbup:

    Beim anderen Partner habe ich die Scheibe nicht gefunden.

    :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Ich habe das jetzt angehört und es ist schon etwas sperrig bei der ersten Begegnung, aber auf jeden Fall hochexpressiv. Meditatives konnte ich nur mit Einschränkungen wahrnehmen, im Mittelteil des Largo klang es mehr nach ungeduldiger Hektik... aber es ist wahrlich ein Werk, das zu Isabelle Faust passt und man kann sie sich beim Hören fast bildlich vorstellen. Ich werde mir das in ein paar Tagen erneut vornehmen. Jolivet war mir, ehrlich gesagt, bis heute vollkommen unbekannt.
    :wink: Stephan

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  • [...] Jolivet war mir, ehrlich gesagt, bis heute vollkommen unbekannt.

    Dann bitte unbedingt das zweite Trompetenkonzert ausprobieren, selbst wenn Du es dabei belassen solltest, was ich nicht glaube. Die Nummer drei wäre das Klavierkonzert.

    Es gibt aber natürlich auch Sampler.

    Beratend kann ich stets tätig werden. :D

    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Peter Eötvös: Violinkonzert Nr. 3 „Alhambra“
    Isabelle Faust, Violine
    Orchestre de Paris, Pablo Heras-Casado

    Ein ungemein interessantes und teilweise virtuoses Violinkonzert, direkt auf Isabelle Faust zugeschnitten und ihr auch gewidmet. Es ist die erste Aufnahme des Werkes, das 2019 am Ort des Geschehens im Palacio de Carlos V in der Alhambra von Granada uraufgeführt wurde, mit Isabelle Faust und dem Mahler Chamber Orchestra unter Pablo Heras-Casado. Schade, dass das MCO nicht auch hier bei der Aufnahme mit von der Partie ist.
    Das Werk beginnt mit einer expressiven und weit ausholenden Solokadenz der Violine, bevor das Orchester nach mehr als einer Minute hinzutritt. Und es endet auch mit einem kurzen Epilog der Solo-Violine in leicht klagendem Ton, der vielleicht die Trauer Muhammads XII. bei der Übergabe des Palasts 1492 an die Reyes Católicos darstellt. Das Solo-Instrument scheint eine Art Erzählerfunktion zu haben. Laut Erläuterungen von Eötvös „ähnelt [das Stück] eher einem Spaziergang durch das mysteriöse Gebäude der Alhambra“. So spielt der Ton G (=Granada) eine dominante Rolle. Zur Unterstreichung des Lokalkolorits hat Eötvös als Gegenpart zur Geige eine Mandoline in scordatura-Stimmung hinzugesetzt. Ich muss allerdings gestehen, dass mir dies im Verlauf des Stücks nicht wesentlich aufgefallen ist. Aber vielleicht entdeckt man das auch erst nach mehrfachem Hören.
    Isabelle Faust spielt das Ganze jedenfalls phänomenal in vielfacher Abstufung der Klangfarben, und auch das Orchester unter Heras-Casado klingt fabelhaft. Tiefschürfenderes kann ich nach einer ersten Hör-Erfahrung nicht sagen.
    :wink:

    Hallo zusammen,

    kommende Woche Freitag wird mit der Widmungsträgerin die Münchner Erstaufführung des Stücks mit dem BR-SO unter Johannes Kalitzke im Rahmen eines musica-viva-Konzerts erfolgen:

    lara Iannotta, „Moult“ für Kammerorchester – Münchner Erstaufführung

    Peter Eötvös, Violinkonzert Nr. 3 „Alhambra“ – Münchner Erstaufführung

    Edgar Varèse, „Déserts“ – für 15 Instrumentalisten, Schlagzeug und Tonband

    Johannes Kalitzke, Dirigent
    Isabelle Faust, Violine
    Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

    gesendet wird das Ganze dann auf BR-Klassik am 4.5.2021 um 20.05 Uhr in Surround-Sound...

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • ISIDORA ŽEBELJAN: THREE CURIOUS LOVES, KONZERT FÜR VIOLINE UND KAMMERORCHESTER (2017)

    Isidora Zebeljan (1967-2020) stammte aus Belgrad und gehörte europaweit zu den bekanntesten serbischen Komponistinnen. Sie bleibt trotz ihres frühzeitigen Todes ein Geheimtipp für eine zeitgenössische Musik, die sich ohne Kompromisse aber direkt den Hörenden mitteilt. Ihre Musik atmet eine kunstvoll mit der zeitgenössischen Musik verflochtene, aus dem Balkan stammende Folklore und lebt von einer virtuos farbigen und rhythmisch vielfältig pulsierenden Orchestrierung. Über ihre Grenzen hinaus wurde sie international mit ihren Opern bekannt: "Zora D." (2003 von David Pountney und Nicola Raab in Amsterdam und in der Wiener Kammeroper uraufgeführt), "Eine Marathon-Familie" (Uraufführung an den Begrenzer Festspielen 2008) und "Simon, das Findelkind" (Uraufführung 2015 in Gelsenkirchen). Drei Jahre vor ihrem frühen Tod nach langer Krankheit schrieb sie für Daniel Rowland das Violinkonzert «Three curious loves». Die im Titel angesprochenen drei Lieben – so erklärte Isidora Zebeljan in einem Interview nach der Uraufführung des Violinkonzerts – seien mysteriöse und geheimnisvolle Lieben. Es brauche «calmness», «strength» und «lucidity», um diese geheimnisvolle Lieben Schritt um Schritt zu finden, die wie im Märchen hinter sieben Tälern und sieben Bergen versteckt sind.

    HÖRBEGLEITER:

    Über dem stockenden Zupfen eines Kontrabasses entfaltet sich in aller Ruhe eine über dem Nichts schwebende Melodie der Geige, sie erzählt Traumhaftes und verzaubert in ihrer traurig-schönen Einstimmigkeit.
    Erst nach einer Weile tritt das Orchester dazu. Es unterbricht diese ruhende Stimmung und bringt plötzlich überraschende rhythmische Impulse und völlig andere Klangfarben mit sich. Die Geige erwacht aus ihrer melancholischen Stimmung, fügt sich zögernd ein, wird zum Tanz eingeladen, und übernimmt die Führung, geht in wechselnden, oft nur angedeuteten Tanz-Rhythmen voran und lässt das Orchester kurz rhythmisch explodieren, bis die Musik langsam ins Stocken gerät. Ein geheimnisvoller Rhythmus startet in Ruhe und steigert sich wieder zu wilder ausgelassener Expressivität. Erneut treibt die Geige das Geschehen voran, bis aller Schwung plötzlich abbricht.

    Sphärische Klänge der Streicher bereiten einen geheimnisvollen Klangteppich aus, darauf entfaltet sich die Sologeige frei, scheinbar improvisierend, sogar mit jazzähnlichen Geigenschleifern. Einzelne Bläser steuern Rhythmen bei; ein Klarinetten- und ein Fagott-Solo stellen Fragen.
    Dann ein heftiger Ausbruch des Geigers, das Orchester gerät wieder in höchste Erregung, Pauken und Schlagzeug mischen sich heftig ein. Die Geige spielt in immer neuen Anläufen ihre Soli, sozusagen auf Leben und Tod, als treibe sie eine wildgewordene Gipsy-Band vor sich hin.

    Dann unterbricht ein Hornruf alle Ausgelassenheit, Holzbläser und dann das ganze Orchester antworten, wie eine Mahnung aus anderen Welten wiederholt das Horn seinen Ruf, die Geige antwortet leise, mit viel Glissando und Vibrato, als suche sie wieder ihre Melodie. In ihre Stimme mischen sich rhythmisch die Orchesterbläser. Die Geige geht wieder auf Reise und erzählt ihre Geschichte weiter, farbintensiv beteiligt sich das Orchester und strahlt in vielen Farben.
    Die Musik gerät Immer mehr in Bewegung, die Geige durchquert unterschiedlichste Klanglandschaften, ein rätselhaftes Duo Geige und Piano sticht hervor, ständig wechselt das Orchester seine Farbe, man folgt der Geige durch eine Märchenwelt von sieben Tälern und sieben Bergen, immer neue rhythmische Impulse geben der ganzen Farbigkeit neue Intensität. In grosser Erregung stürmt die Geige in all ihren Höhen und Tiefen voran.
    Schliesslich starten die Streicher leise und immer lauter werdend rhythmisch eine Art Schlussspurt. Bläser treten dazu, Flötenglissandi und die frei und wild sich steigernde Geige treiben und bringen eine wildgewordene Gipsy-Musik fast zum Explodieren, bis kurz vor dem Höhepunkt alles abbricht. Die Geige sinniert nochmals ganz leise vor sich hin, dann ein voller Orchesterschlag. Ende.

  • Christopher Wrights Ehefrau - die Geigerin Ruth Wright - starb im August 2009 an Krebs. Ihrem Andenken ist sein Violinkonzert gewidmet, das der Komponist in 2010 komponierte und das 2012 bei Dutton Epoch erschien.

    Das Werk mit dem Untertitel "And then there was silence" hat drei Sätze mit den Untertiteln Beauty, Joy and Fading way. Das Werk ist tonal und stilistisch nicht allzuweit vom RVW entfernt, der erste Satz erinnert an einigen Stellen an Lark ascending. Der zweite ist dem Titel gemäß ein Allegretto. Das eigentliche Requiem ist dann der letzte Satz bei dem sich zur Violine eine zweite Stimme gesellt, eine menschliche, nämlich ein Tenor, der ein sechszeiliges Gedicht von Christina Rosetti singt Come to me in the silence of the night. Der Orchestersatz wird dabei zunehmend ausgedünnter und dann Fading away.

    Fenella Humphreys - preisgekrönte britische Geigerin - gibt hier ihr CD-Debüt und wird von Martin Yates begleitet, das Tenorsolo singt Christopher Watson.

    “Fenella Humphreys’ performance is a wonder” – International Record Review), and was selected as Orchestral CD of the Month in a 5 star review in BBC Music Magazine.


    Neben dem kurzem - ebenfalls hörenswerten Orchesterstück Momentum bietet die CD noch die 5. Symphonie von Vaughan Williams, die muß ich noch hören. Ein weniger allseits präsentes Werk wäre mir ehrlich gesagt lieber gewesen, auch wenn es die Einspielung einer revidierten Fassung ist, bei der einige Fehler in der Partitur korrigiert wurden. Ob man das wirklich hört?

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

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