Die bedeutenden Violinkonzerte des ausgehenden 20. und des 21. Jahrhunderts (1960-2020)

  • Die bedeutenden Violinkonzerte des ausgehenden 20. und des 21. Jahrhunderts (1960-2020)

    Amfortas hat es schon vorgeschlagen, ich sowieso geplant, also warum nicht gleich.

    Der erste Teil über die Violinkonzerte von 1900-1960 wurden initiert durch ein youtube Video, auf dem David Hurwitz seine 15 Favoriten dieser Epoche vorstellte. Er wies auch schon daraufhin, dass noch ein zweiter Teil ab 1960 folgen soll, aber das kann natürlich dauern und deshalb könnten wir den auch ohne Vorlage starten. 1960 hat Hurwitz wohl deshalb als "Zeitenwende" gewählt, weil ab dieser Zeit die sehr avantgardistischen Violinkonzert anstehen, die er wohl einer gesonderten Betrachtung unterziehen wollte, also Ligeti, Lutoslawski, Nono etc pp. Inwieweit diese wirklich so ganz anders sind als die der ersten Epoche wird noch zu diskutieren sein.

    Es sind also alle aufgerufen, ihre Favoriten der letzten 60 Jahre zu nennen.

    Damit das hier nicht nur zu einem Name Dropping ausartet (da könnte eh keiner gegen Tobias Broeker bestehen), schlage ich vor:

    ein Konzert pro Beitrag mit ein paar kurzen Charakterisierungen und Aufnahmenempfehlungen.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Also wenn er schon Schönberg "vergisst", dann brauchst Du sicher nicht auf Nono hoffen ...
    Dessen "Varianti. Musica per violino solo, archi e legni" sind übrigens von 1957.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Also wenn er schon Schönberg "vergisst", dann brauchst Du sicher nicht auf Nono hoffen ...

    Du bist eingeladen, diese Lücken zu füllen. Der Beitrag von Hurwitz war nur als Aufhänger gedacht. :verbeugung2:

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Amfortas hat es schon vorgeschlagen, ich sowieso geplant, also warum nicht gleich.

    Dabei hat Amfortas selbst dieses Thema vor einem Jahrzehnt in die Welt bzw. ins Forum gesetzt:
    Violinkonzerte - Werke für Violine und Orchester der klassischen und zeitgenössischen Moderne

    ;)

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Luciano Berio hat einige seiner Solostücke aus der "Sequenza"-Reihe nachträglich mit komplex wuchernden Ensemble-Begleitungen versehen, z.B. Corale (1981) für Violine und Streicher mit 2 Hörnern. Der Violinpart macht schon in den ersten Takten deutlich, dass Berio die spezifischen Möglichkeiten der Violine nutzt ohne in einen von irgendwoher gewohnten Tonfall zu verfallen. Vielleicht mein Berio-Lieblingsstück.

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  • Dabei hat Amfortas selbst dieses Thema vor einem Jahrzehnt in die Welt bzw. ins Forum gesetzt:
    Violinkonzerte - Werke für Violine und Orchester der klassischen und zeitgenössischen Moderne

    Uups .. hatte mein Brägen gar nicht mehr auf Schirm. ?( ?( ... bereits Jahrhunderte her..

    Okay, okay, okay, dann sei Mark Andres <an for violin and orchestra> hier reingehauen:
    https://www.youtube.com/watch?v=_GIJlv9iswk

    fetzige Mucke die gleichsam dem Schweigen, der Distanz versucht sich zu entwinden, um als Gestalt zu funzen.. was Geiles für Mark-Andre-Nerds....

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Das 21. Jahrhundert hat schon einige beachtliche Violinkonzerte hervorgebracht, wie die von Lindberg, Salonen, Gubaidulina und Rihm. Dem hat Jörg Widmann m.E. ein weiteres hinzugefügt. Für dieses knapp halbstündige, einsätzige Werk ist er zurückgegangen zur "Mutter aller modernen Violinkonzerte" , dem faszinierenden Meisterwerk von Alban Berg. An mehr als einer Stelle erinnert Widmanns lyrisch-expressives Violinkonzert im klanglichen Gestus an dieses große Vorbild natürlich unter Einbindung aller klanglichen Errungenschaften der dazwischen liegenden Jahre. So bewegt auch sein Violinkonzert sich in dieser (alb)traumhaften Welt zwischen Tonalität und Atonalität, kennt einige große Ausbrüche, um dann schließlich ruhig im Nichts zu verklingen.

    Der Widmungsträger Christian Tetzlaff zeigt in dem geigerisch überaus anspruchsvollen Werk erneut, dass er zu den ganz Großen seines Metiers gehört.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Das von mir sehr geschätzte Violinkonzert von John Adams ist das Violinkonzert der minimal music. 1993 entstanden, dreisätzig, entwickelte es sich vor allem in den USA zu einem populären Werk.

    Der erste Satz beginnt mit einer wundervollen Geigenmelodie, die einem Konzert der Romantik entnommen sein könnte. Das grundierende Orchester nimmt bald schon zunehmenden Raum ein und es entwickelt sich die typische minimal music-Spielweise: motorisch, pulsierend, lebendig. Die Phrasen der Geige werden kürzer, verhindern aber nicht, dass immer aufs Neue herkömmlich schöne Melodien dazwischen geraten.

    Der zweite Satz heißt: „Chaconne: Body through which the dream flows“. Man mag das für abgeschmackt halten. Die Verinnerlichung, die dem Solisten hier gelingen und in die er den Hörer mitnehmen kann, ist indes grandios. Ein langsamer, einsam-glücklicher Tanz mit sich selbst; einer auf dem Drahtseil allerdings. Wenn der Tonfall nicht getroffen wird, kann dieser Satz aufgeblasen und kitschig klingen.

    Zum Schluss eine Toccata. Für mich der am wenigsten ansprechende Satz des Konzerts. Ein starker Kontrast zum zweiten aber allemal und schon deshalb macht er Effekt.

    Drei Aufnahmen besitze ich: Hanslip/Slatkin 2005, Josefowicz/Robertson 2016 und Waly-Cohen/Litton 2016. Alle drei sind mindestens gut. Mein klarer Favorit ist Josefowicz. Es ist in jedem Takt zu hören, wie groß ihre Erfahrung mit ihm ist, wie sehr sie mit ihm vertraut ist und es für sich als das ihre angenommen hat. Dieser zweite Satz ist großartig gelungen, hat Tiefe und Persönlichkeit. Anhören!

  • Das Violinkonzert von Ligeti ist hier m. E. unbedingt zu nennen. Es ist unter anderem auf dieser (sehr empfehlenswerten) CD enthalten:

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Das Ligeti-Konzert (1992) käme bei mir wohl auch an erster Stelle. Ein paar andere würden mir gewiss einfallen. Ob fünfzehn, bin ich mir nicht so sicher - da müsste ich etwas länger nachdenken. Doch - ich glaube, schon. (siehe EDIT)

    Zwei Aufnahmen des Ligeti-Konzerts finde ich in der Sammlung:

    Kopatchinskaja fasziniert mich, auch wenn sie vielleicht am Ende in der Kadenz ein wenig übertreibt und die Gesangsstimme einsetzt. Dennoch "stimmig" für mich - im wahrsten Sinne des Wortes. Die andere Einspielung - mit Frank Peter Zimmermann - ist älter und möglicherweise eine eher authentische; auch sie lässt für mich keine Wünsche offen, unterscheidet sich aber deutlich von Ersterer - wahrscheinlich keine Überraschung.

    Was mich begeistert an diesem Werk, das charakteristisch ist für den späteren Stil des Meisters, der nicht mehr oder zumindest nicht primär mit Klangflächen arbeitet, ist neben der ungeheuren Virtuosität, der originellen kleingliedrigen Struktur und dem geistreich komplexen Rückbezug auf alte Formen das Spiel mit Klangreibungen aufgrund in der Stimmung nicht harmonierender Instrumente. So verwendet er auch Okarinas - meines Wissens vier. Solche mikrotonalen Reibungen sind ebenfalls ein Merkmal des späten Meisters und finden sich etwa auch in den Kompositionen, die kammermusikalisch oder solistisch ein Horn vorsehen. (Gut, sie sind sicher schon ein Kennzeichen seiner Musik aus den Sechzigern, aber da hört man die Effekte quasi nicht explizit heraus.)

    Die von Symbol verlinkte Einspielung lacht mich an ... ;)

    Ansonsten kenne ich von den bereits benannten Werken auf jeden Fall den kompletten Rihm - das sind ja schon mal sechs, und nicht zu verachten -, Lindberg und Adams. Widmann habe ich mal im Rundfunk gehört; ein Kauf reizt mich.

    Eines - ein mir noch nicht lange bekanntes Konzert - möchte ich doch noch verlinken zumindest - eine ge(n)i(a)le Nummer, die ich zunächst wieder über den Rundfunk kennengelernt habe: :clap:

    Da gäbe es manches dazu zu sagen - vielleicht ein ander Mal!

    :cincinbier: Wolfgang

    EDIT: Wenn ich so nachdenke, kenne ich sogar mehr als fünfzehn Violinkonzerten aus den letzten Jahrzehnten. Von Schnittke etwa gibt es ja auch mehrere ...

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Das von mir sehr geschätzte Violinkonzert von John Adams ist das Violinkonzert der minimal music.

    Eher postminimalistisch meines Wissens - habe es mal vor einer Ewigkeit gehört ... bei Glass ist auch die Frage, ob der mit der Post kommt (in seinem VC).

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Das Violinkonzert von Ernest Bloch (1880-1959) von 1938 ist einer meiner persönlichen Favoriten.
    Mir gefallen die verschiedenen kulturellen Einflüsse, die darin zu hören sind. Bloch war Schweizer, die Einflüsse sind jedoch unter anderem auch deutsch, französisch und amerikanisch.
    Bringt mir auf jeden Fall immer wieder Spaß es zu hören!

  • Das Violinkonzert von Ernest Bloch (1880-1959) von 1938 ist einer meiner persönlichen Favoriten.
    Mir gefallen die verschiedenen kulturellen Einflüsse, die darin zu hören sind. Bloch war Schweizer, die Einflüsse sind jedoch unter anderem auch deutsch, französisch und amerikanisch.
    Bringt mir auf jeden Fall immer wieder Spaß es zu hören!

    Absolute Zustimmung! Das jüdische Element ist hier auffällig, so wie in einigen anderen seiner Kompositionen auch.

    Der andere Thread würde besser passen, werte PiaNistin:

    Die bedeutend(st)en Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts (Teil I: 1900-1960)

    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Rebecca Saunders (geb. 19.12.67) fetziges Violinkonzert darf nicht fehlen:
    https://www.youtube.com/watch?v=wUOeyCfbnQc

    typische RS-Mucke: kraftvoll, expressiv und gleichermaßen zart & zerbrechlich......
    (inzwischen 5 Mitschnitte davon eingebunkert, alle mit Carolin Widman als Saitenquälerin. RS widmete ihr diese Mucke)

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Henri Dutilleux (1916-2013): L'arbre des songes (Der Baum der Träume), 1985
    7 Sätze, ca. 25 min.

    Für mich schwer zu beschreiben, in Dutilleux' typischer mysteriöser Klangsprache. Anklänge von Strawinsky, Mahler, Debussy, aber sehr eigenständig.

    Mitlerweile gibt es mehrere EInspielungen, die mir noch nicht so geläufig sind. Meist lege ich die "Centenary Edition" ein. Renaud Capucon, Orchestre Philharmonique de Radio France, Myung-Whun Chung

    Helli

  • Das Konzert von Dutilleux käme auf einer Liste in diesem Thread für mich wohl an zweiter Stelle nach Ligeti.

    Dank übrigens auch an Amfortas für den Tipp mit Rebecca Saunders. Dieses Konzert kenne ich noch nicht und das wird geändert. :thumbup:

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Dieses Konzert kenne ich noch nicht und das wird geändert.

    Ist echt supi bei C. wie User sich gegenseitig reichlich befruchten ….. :thumbup:

    In den letzten Jahren kamen Mark-Andre- und Rebecca Saunders-Mucke mir als geilste VK-UAs rüber …..

    Nochmal Agitation für Egon Wellesz + sein VK von 61…
    https://www.youtube.com/watch?v=oLNnBoh_s20
    https://www.youtube.com/watch?v=_zttIiEQN_I
    (Zagrosek-String anscheinend mit mieser KBpS-Rate :(
    https://www.youtube.com/watch?v=hwUhFfPq9as&t=239s)

    Wellesz-VK wäre im Pool sog. klassischer Moderne verortet, deshalb gleichsam gespickt mit 1 Schuss Nostalgiefeeling im Verhältnis etwa zu Habenstock-Ramati, Mark Andre, RS oder Carterei…
    Egon Wellesz geile Spätmucke kommt Lauscherchen rüber als finstere Tonsprache, mit pathetischen Ex- & Implusionen, sich in Parade zu fahrend, zurücknehmend, abbrechend .. Egon Wellesz späte fetzige Notenquälereien werden leider kaum gespielt :( ..

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Damit das hier nicht nur zu einem Name Dropping ausartet (da könnte eh keiner gegen Tobias Broeker bestehen)

    Interessant, leider nicht chronologisch.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
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