Die Violinkonzerte von Giuseppe Tartini (1692-1770): wer empfiehlt welches Konzert?

  • Die Violinkonzerte von Giuseppe Tartini (1692-1770): wer empfiehlt welches Konzert?

    Ich möchte hier einen Thread eröffnen, um auf die Violinkonzerte von Giuseppe Tartini aufmerksam zu machen und um an alle Interessierte die Frage zu stellen, welche von den rund 135 Violinkonzerten ihnen am besten gefallen. Der Musikwissenschaftler Minos Dounias hat Tartinis Violinkonzerten jeweils eine Nummer gegeben, D1, D2, D3 usw., so sind die Konzerte gut identifizierbar.
    Auch gibt es eine Gesamtausgabe aller Violinkonzerte bei Dynamic von L'Arte dell'Arco mit den Geigern Giovanni und Federico Guglielmo und Carlo Lazari. Unterdessen haben auch viele jüngere Geigerinnen und Geiger sich mit Tartini auseinandergesetzt, ich möchte nur Chouchane Siranossian und Evgeny Sviridov erwähnen. Auch von Elizabeth Wallfisch gibt es schon länger eine Auswahl Tartini-Konzerte.

    Tartini war 40 Jahre lang 1. Violinist im Orchester der Basilica di S. Antonio in Padua. Auf Umwegen (Ausbildung zum Iuristen statt wie gewünscht zum Priester, leidenschaftlicher Fechter, verbotene Liebesbeziehung, bis der Bischof von Padua ihn begnadigte) kam er beruflich zum Geigenspiel, als er in Venedig den damals berühmten Geiger Francesco Maria Veracini spielen hörte. Ab 1720 wird er als Geiger berühmt, 1728/31 veröffentlichte er sein Opus 1 mit zwölf Violinkonzerten. Es sollten insgesamt rund 135 Violinkonzerte aus seiner Hand entstehen, die einen neuen Stil von Violinkonzerten darstellen.
    Tartini wendet sich zunehmend vom Barockstil ab, d.h. die melodischen Phrasen werden klar voneinander abgegrenzt und wirken klassisch ausgewogen, die Ritornell-Form wird vereinfacht, in den späteren Violinkonzerten nur noch 3 statt 5 Wiederholungen des Tutti-Themas. Man kann von einem neuen Stil der Empfindsamkeit sprechen.

    Die Datierung der einzelnen Violinkonzerte von Tartini ist ausser bei seinen frühen Konzerten historisch kaum mehr möglich. Stilistische Vergleiche führten den Tartini-Forscher Minos Dounias dazu, Tartinis Konzerte in eine frühe (vor 1735), mittlere (1735-50) und späte Schaffensperiode 1750-70) einzuteilen.

    Um gleich mit einem mir lieb gewordenen Violinkonzert von Giuseppe Tartini zu beginnen, empfehle ich das erste Konzert des Opus 1:

    Violinkonzert g-moll op 1 Nr. 1 (D85)
    Dieses Konzert, stilistisch noch ganz in der Manier Antonio Vivaldis, steht am Anfang der ersten als Opus 1 publizierten Sammlung von 12 Violinkonzerten Tartinis (1728), deren Druck er wohl überwacht hat. Es ist viersätzig, mit einem allerdings von heute aus etwas unerklärlichen 2. Satz, einem Fugensatz im alten Stil. Als hätte er als "moderner" Komponist zeigen wollen, dass er auch traditionell zu komponieren versteht. Wunderschön ist dann der 3. Satz: Man kann sich diesem 12/8-Siciliano-Gesang, seinen Verzierungen, seinem Atem einfach überlassen, ein Beispiel, wie Musik in Schönheit aufblühen kann. Ein etwas dunklerer Mittelteil kennt auch den stillen Schmerz des grossen Glücklichseins. Schön auch der Schluss, wo Tutti und Violine sich voneinander still verabschieden. Und nicht zu vergessen der Anfang: Beeindruckend der dreifacher Absturz im Streichorchester (zuerst Viol. I, dann Viol. II , zuletzt der Bass), rhythmisch auffallend vom hohen G zum mittleren G zum tiefen G. Und sogleich folgt eine locker beruhigend-tändelnde Antwort.
    Ein Konzert zum Empfehlen!

  • Violinkonzert E-Dur (D50) mit dem Inflammatus-Thema von Pergolesis Stabat Mater


    Das Konzert stammt aus der mittleren Schaffensperiode Tartinis. Eine Besonderheit ist das musikalische Zitat gleich zu Beginn: es stammt aus Pergolesis Stabat mater, und handelt sich um das Inflammatus-Duett. Ob es deshalb als Kirchenkonzert zu gelten hat, das in den Liturgien der Basilica San Antonio von Padua gespielt wurde oder ob es als eine Art «Cross-Over» zur Verbreitung von Pergolesis Melodie dienen sollte?

    https://www.youtube.com/watch?v=jEnDMx3kae4


    Satz 1 (Allegro)


    Das Inflammatus-Thema, von Pergolesi geborgt, gibt gleich den synkopischen Rhythmus vor, dann aber wird die Melodie von Tartini frei weitergesponnen und variiert.

    Der Soloteil des Konzertes beginnt zu zweit in zwei Soloviolinen wie in einem Duett, noch vom Solocello unterstützt, dann aber geht die erste Geige ihre eigenen virtuosen Wege, der Rhythmus von Pergolesis Motiv insistiert kontinuierlich.

    Das Tutti ruft dann wieder zum Inflammatus-Thema zurück und ein zweiter Soloteil übernimmt und spielt mit ihm durch unterschiedliche Harmonien und Figuren.


    Eindrücklich dann der weitere Soloeinsatz mit dem Inflammatus-Thema, jetzt aber in der Umkehrung aufsteigend.

    Aber wieder umspielt die Geige frei, ständig in Bewegung, erst am Schluss kommt das Orchester wieder dazu und lässt die kontinuierliche Bewegung langsam auslaufen.


    Satz 2 (Grave)

    Auf einer kontinuierlich pochenden Pizzicato-Bassbegleitung erhebt sich eine Arie, die zu schweben beginnt und in eine andere imaginäre Welt hineinführt. Gegen Schluss fällt ein vorwärtsdrängendes Motiv auf, in dem die Geige zu verharren scheint. Doch findet sie zu ihrem lyrischen Gesang zurück.


    Satz 3 (Presto)

    In neuer Dynamik wiederholt sich ein fast monoton wirkendes Motiv, das den Satz von Anfang bis Schluss bestimmt. Auch die Sologeige schwingt in diese seltsame trillerreiche Motorik ein. Als würde eine Spieluhr ablaufen, die allerdings etwas hinkt. In weiteren Tutti- und Soloteilen wird dieses Motiv harmonisch immer wieder neu und verschieden gefärbt, als hätte Tartini schon eine Art Durchführung komponiert. Kurz ist der Abschluss, das Motiv verabschiedet sich.

  • VIOLINKONZERT H-MOLL (D125) («LASCIA CH’IO DICA ADDIO”)

    Nach Minos Douanias gehört dieses Konzert zur späteren Schaffensphase Tartinis. Stilistisch sind die Melodien einfacher, gesanglicher, galanter. Die Geigentechnik tritt noch mehr in den Vordergrund als in früheren Konzerten.
    Besondere Aufmerksamkeit verdient der Untertitel, den Tartini als Überschrift für den 2. Satz schreibt: «Lascia ch’io dica addio». Das Zitat stammt nach neuester Forschung aus dem Libretto der Oper L’amor volubile e tiranno von Alessandro Scarlatti. In vielen Violinkonzerten zitiert Tartini aus Dichtungen, Opern- oder Oratorientexten, um auf die universale Natur der menschlichen Gefühle hinzuweisen. Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau, ein Pionier des modernen Denkens, hatte Tartinis Musik sehr geschätzt, eine Musik, die aus potenziell negativen kulturellen Konventionen zurückführen kann zu echten Gefühlen der menschlichen Natur.

    Satz 1 (Allegro assai)
    Das Thema ist schlicht und einfach, zart expressionistisch, gefühlvoll: vom hohen h zum eine Oktav tieferen h. Leicht schwingt das Thema aus. Die Geige antwortet in ihrem Solo mit dem gleichen Thema und spielt und formt es vielfältig aus. Der ganze Satz ist auf originelle Art monothematisch, konzentriert auf ein Grundgefühl (Ringen um Mut, dumpfe Entschlossenheit). Speziell und neuartig ausgebaut ist die virtuose Geigenstimme, die Tutti sind knapp und treten in den Hintergrund. Erst am Schluss blendet sich die Orchesterbegleitung aus: Raum für eine frei zu gestaltende Schlusskadenz ist aufgetan…

    Satz 2 (Larghetto)
    Dieses Tartini-Larghetto ist ein Beispiel, wie fein Tartini Seelenlandschaften in Musik umzusetzen weiss. Die Überschrift weist auf Abschiedsschmerzen hin. Auf schlichter Monotonie der Orchesterbegleitung erhebt sich eine reich verzierte wehmütige Lyrik des Geigengesangs. Mehrmals setzt das melancholische Singen neu an, jeder Abschied ist schwer…

    Satz 3 (Allegro)
    Neuer Mut, das Leben weiter zu führen. Die h-Moll-Stimmung aber bleibt. Die Geige stürzt sich sofort vielfältig und fast etwas übermütig in virtuose Passagen, als wollte sie allen inneren Schmerz vergessen und verarbeiten. Oder ist es ein Verdrängen? Wir werden kurz, aber nachdenklich entlassen.


    Was für ein berührender 2. Satz, vor allem in der Interpretation von Carlo Chiarappa mit der Accademia Bizantina!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

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