Naht Ihr Euch wieder, schwankende Gestalten? - Annäherungen an Faust

  • Gelesen habe ich noch nicht in dem Band. Der Die Ausgabe enthält die Zueignung, das Vorspiel auf dem Theater, der Prolog im Himmel, der Tragödie erster Teil, den Walpurgisnachtstraum und folgt der Tragödie zweiter Teil. Ab Seite 483 folgt dann der Anhang. Dieser umfasst zunächst ein Geleitwort zur historisch-kritischen Faustedition. Daran schließt sich der editiorische Bericht mit einem Umfang von rund 90 Seiten an. Vierzig Euro scheinen mir mein überteuerter Preis. Und wer sich für den Faust, für die Geschichte dieses Textes interessiert, der ist mit diesem Band gut bedient. Der Kommentarband ist sicherlich für eine kleineres Publikum von Interesse. Albrecht Schönes Kommentar hat nun ja auch schon fast ein 25 Jahre auf dem Buckel - seitdem hat sich in der Faustforschung sicher einiges getan.

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • ich habe auch den 2bändigen Schöne bestellt, in einer älteren Ausgabe. 2000 Seiten für 6 Tacken, das ist überschaubar.

    Viel Vergnügen :) Band 1 enthält beide Tragödien und auch den Urfaust und die Paralipomena, wenn ich mich richtig erinnere :) Band 2 ist dann der Kommentar. Ich schrieb es ja weiter oben: Mir hat der Kommentar Schönes geraden den Zugang zu Faust II deutlich erleichtert,

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    Cato der Ältere

  • Kurzer Zwischenkommentar.....habe den 2. Teil angefangen. Die Stelle im Karneval, an der die Parzen sprechen: Interessant, wie Goethe mit Klotho und Atropos hadert, nicht jedoch mit Lachesis. Das gibt dem Rest der Dichtung wohl eine Richtung. Oder?

  • Das gibt dem Rest der Dichtung wohl eine Richtung.

    Inwiefern? An welche Richtung denkst Du?

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ich spreche ins Unreine......und kann der "Richtung" keinen Namen geben. Ohne 20 Seiten über 40 Zeilen schreiben zu wollen, meine ich, dass Goethe Lachesis ohne Einwand hinnimmt, während er bei den anderen beiden, bei Atropos mehr als bei Klotho, zu verstehen gibt, dass ihr jeweiliges Handeln auch mal dem Irrtum oder der Willkür zum Opfer fällt. Interessant dabei ist die Verdrehung der beiden Rollen für die Zeit des Karnevals und die Begründung, die uns Klotho dafür gibt, woraus man um so besser erkennen kann, was Goethe an Atropos generell nicht behagt und was er Klothos generell ankreidet. Aber nun, während des Karnevals, werden durch das Tauschen der Rollen diese sonst so unbehaglichen Umstände zum Vorteil für den Menschen. Hm.....da kann man ja Bände darüber schreiben. Der Zoilo-Thersites spricht dann auch bald davon, dass er alles andersherum möchte, schief und falsch herum, also ungeordnet. Es wird also hier bei den Parzen schon der Gegensatz Chaos gegen Ordnung vorgestellt (vielleicht ja auch schon viel eher im 2.Teil, und ich habe das nur verpasst.)

    Lachesis Rolle nimmt Goethe aber widerspruchlos an, sie wird neutral bis positiv gezeichnet. Ihre Rolle, egal ob Karneval oder nicht, ist verständig das individuelle Leben in ein grosses geordnetes Gefüge einzupassen, bzw aus allen individuellen Leben ein geordnetes Gefüge zu schaffen. Sie macht nie einen Fehler, denn wenn sie es täte, dann würde es ihr um die Welt bang. Wieder der Verweis auf den Gegensatz von Chaos und Ordnung.

    Es hört sich für mich durch die Wertungen, die Goethe jeweils ausspricht, so an, als ob ihm die Zufälligkeit oder der Irrtum, dem die Lebensschaffung (hier Atropos) und der Tod (hier Klotho) unterliegen mögen, zumindest Unbehagen bereitet, aber dass er sich dem Konzept einer kosmischen Ordnung (Lachesis), wie auch immer geartet, ergibt. Wahrscheinlich wird diese Ordnung im weiteren Verlauf dargestellt.

    Wir wissen aber aus dem ersten Teil, dass Gott dem Chaos-Stifter Mephistopheles auch seinen Platz im Gefüge gibt. Dafür gibt es mindestens 2 Stellen im ersten Teil. Dies heisst nun, dass die vom Menschen emfpundene Willkür von Klotho und Atropos (,auch ein Teil Chaos - von unserer Sicht aus,) im grossen Gefüge seinen Platz hat. Welches dieser Platz ist, erkennt man aber nur im Karneval, wo die beiden Rollen vertauscht werden und sich Klothos gütiges Jugendwalten mit Hinsicht auf das Lebensende nun auf einmal positiv auswirkt und Atropos Todeswarnung (wenn man es übertreiibt mit dem "Feiern") ein hilfreicher Hinweis für ein junges Leben darstellt.

    So sind meine Gedanken im Moment, kann sich aber alles ändern.
    Dieser Karneval ist höchst interessant.

  • Danke, liebe Rosamunde, für Deine Erläuterung! Muß mir das erst noch wieder in Ruhe anschauen; so ganz präsent ist mir die Szene grad nicht. Demnächst mehr.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Ich muss die Stelle nachlesen :) Ich schaue mal, was Schöne schreibt. Das ist es aber auch, was den Faust II so schwierig macht: Wer kann diese vielfältigen Bezüge und Referenzen zur klassischen Antike entschlüsseln ohne einen Kommentar zur Hilfe nehmen zu müssen. Beim Faust I stellt sich diese Problematik nicht. Sowohl die Gelehrten- als auch die Gretchentragödie erschließen sich dem Leser beziehungsweise dem Zuhörer unmittelbarer.

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    Cato der Ältere

  • Weitere Zwischengedanken zum Sinn der beiden Walpurgisnächte.....ich schlage weiterhin nur die mytologischen und Fabelwesen auf Wikipedia nach. Ansonsten keine Sekundärliteratur - ganz im Sinne des Werkes selbst :) :

    Es scheint mir Faust - und vor allem der Leser - soll die Perfektion und damit die göttliche Schönheit aller Dinge und Prozesse des Daseins in deren Vollständigkeit erkennen. (auf englisch: in their completeness)

    Faust und die Philosophen können die Perfektion nicht erkennen und nicht erlangen, indem sie einseitig nur nach (gesitiger) Schönheit (Ordnung) streben. Alles hat seinen Platz und seinen Sinn im Kosmos und vor allen Dingen im Menschwerden.
    Es wird in Faust 1 und 2 erörtert, was "menschwerden" bedeutet oder was es bedeuten kann, wenn man nach Schönheit im Sinne von kosmischer Perfektion strebt. Homunkulus sucht nach einem Weg Mensch zu werden; Faust nach einem Weg gottähnlich zu werden. Es ist ein Kontinuum, erst wird man Mensch, aber als Mensch strebt man immer danach gottähnlich zu werden - man kommt aber nicht dahin, wenn man nur nach augenscheinlicher Schönheit strebt und sich geistig dem Hässlichen, dem Fantastischen, der Schattenseite entzieht. Deshalb soll Faust ja auch von seiner Liebe zu Helena geheilt werden. Ihre augenscheinliche Perfektion ist ein Gespenst. Und Faust weiss dies sogar, denn er hat sie selber von den Müttern abgeholt. Dennoch kann er sich seiner Illusion, was Perfektion für ihn bedeutet, nicht entziehen und strebt ihr weiter fieberhaft nach.

    Ein paar Stellen dazu:

    Mephisto sagt bei 7843
    "Denn wo Gespenster Platz genommen, ist auch der Philosoph willkommen. Damit man seiner Kunst und Gunst sich freue, erschafft er gleich ein Dutzend neue. Wenn du nicht irrst, kommst du nicht zu Verstand. Willst du entstehn, ensteh auf eigne Hand

    Die Walpurgisnächte sind Fausts und des Lesers Irrwege, die aber paradoxerweise zum Erlangen von wirklicher Erkenntnis im Prozess des Menschwerdens nötig sind. Eigentlich nichts neues...nur in seiner Darstellung im Faust so wunderbar verpackt.

    -------

    Homunkulus 8219:
    "Die Ungestalten seh ich an als irden schlechte Töpfe, nun stossen sich die Weisen dran und brechen ihre harten Köpfe."

    Thalus erwidert:
    "Das ist es ja, was man begehrt, der Rost macht erst die Münze wert"
    Eigentlich auch nichts neues - nur wird es erst durch die Bemerkung Honunkulus und dessen Rolle im Werk interessant, denn er ist dabei Mensch zu werden und zeigt schon den typisch menschlichen Hader mit dem Chaos, dem Hässlichen, dem Fantastischen.

    Ich glaube das Fantastische wird im weiteren Verlauf noch sehr viel wichtiger werden in seiner Rolle dem Menschen das gottähnliche zu vermitteln. Mephisto sagt dazu etwas im Faust 1 - ich müsste die Stelle jetzt suchen; es ging um die Wissenschaft und wie beschränkt sie ist, wenn es um das Finden wirklicher Erkenntnis geht.

    Soweit meine Gedanken.

  • Weitere Zwischengedanken zum Sinn der beiden Walpurgisnächte.....ich schlage weiterhin nur die mytologischen und Fabelwesen auf Wikipedia nach. Ansonsten keine Sekundärliteratur - ganz im Sinne des Werkes selbst :

    Gerade diese ganzen antiken Referenzen erschweren das Verständnis des Faust II doch erheblich - die wenigsten Leser dürften den Faust II ohne Kommentar lesen können, die These riskiere ich jetzt einmal :) Der erste Teil ist da doch erheblich eingängiger - ich glaube der Faust II wird mal ein Projekt für einen Urlaub werden.

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Ich habe angefangen, die neue Ausgabe des Faust zu lesen. Zueignung, Vorspiel auf dem Theater, Prolog im Himmel, bis kurz vor dem Osterspaziergang. Was mich am Faust I immer wieder fasziniert ist die sprachliche Schönheit und die Vielfalt der Formen. Goethes Sprache ist kunstlos-kunstvoll. Der Sprachduktus wirkt völlig natürlich, alles fließt, alles strömt. Da wirkt nichts angestrengt, bemüht. Zum Text der Ausgabe: Augenfällig ist die Orthographie: "ey" statt "ei" solche Sachen. Interpunktionen. Und auch das eine oder andere Wort anders als gewohnt. Wunderschöner Satz, Schriftbild. Ein Vergnügen darin zu lesen. Die rund 40 Euro sind gut angelegt :)

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    Cato der Ältere

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