Die Oper - eine Erfindung des Barock?

  • Die Oper - eine Erfindung des Barock?

    Liebe Freundinnen und Freunde der frühen Oper,

    bekanntlich haben wir im Bereich der Musikgeschichte bis 1750 das Unterforum Barockoper.

    Vorhin nun bekam ich private Mitteilungen, aus denen ich mit freundlicher Genehmigung des Autors zitiere:

    Zitat von Agravain

    [...] ist mir aufgefallen, dass die Benamsung „Barockoper“ eigentlich nur wenig Sinn macht. Als einziges Unterforum im Unterforum „Klassik - Komponisten und Werke von der Antike bis zum Barock“ wird hier eine Epochenbezeichnung als Oberbegriff gewählt. Ansonsten werden konsequent nur allgemeine Titel gewählt (z.B. Komponisten, Vokalmusik etc.).
    Dies würde meines Erachtens auch hier Sinn machen, da die Oper keine Erfindung des Barock ist. Zudem finden sich ja auch Vorläufer. Und da das Unterforum ja den Bereich von der Antike an abdecken soll, ist der Titel „Barockoper“ an dieser Stelle ungünstig, da unter diesem Titel tatsächlich nur Threads zu Opern des Barock subsumiert werden könnten.
    Ich möchte daher eine Umbenennung des Unterforums in „Oper“ oder in „Oper und andere Bühnenwerke“ anregen.

    Zitat von Agravain

    Wenn man - wie ich - über eine englische Masque schreiben möchte, dann ist das ein Werk der Renaissance. In Frankreich gab es in der Tat Hofballette, die Vorläufer der Oper sind (z.B. Ballet comique de la reine) - ebenfalls in der Renaissance. Zudem ist es ja auch so, dass in der „Alte-Musik-Szene“ immer mehr wirklich Altes für Bühnen rekonstruiert und dann auf CD oder DVD publiziert wird (z.B. Sequentias Beowulf- und Edda-Projekte). Benennt man den Bereich geschickt um, hätte man hier den Raum, in dem man sinnvoll sammeln und archivieren könnte.

    Mir selbst geht es nur vordergründig um die Frage, ob man ein Unterforum umbenennen soll: Das kann man tun oder auch lassen.

    Interessant finde ich dabei die grundsätzlichere Frage, ob man alle Opern, die vor ca. 1750 entstanden, mit Recht unter dem Titel "Barockoper" subsummieren kann oder ob da nicht operngeschichtlich Relevantes wie von Agravain angeführt möglicherweise herausfallen würde.

    Immerhin listet Wikipedia die Komponisten, die in der Musikgeschichte gern als "Pioniere" der Oper angeführt werden, als solche des Barocks auf, nämlich Jacopo Peri und Claudio Monteverdi. Giulio Caccini befindet sich, so Wikipedia an anderer Stelle "an der Schnittstelle der Spätrenaissance zum Frühbarock".

    Gibt es Meinungen zu den hier vorgetragenen Anmerkungen?

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann


  • Immerhin listet Wikipedia die Komponisten, die in der Musikgeschichte gern als "Pioniere" der Oper angeführt werden, als solche des Barocks auf, nämlich Jacopo Peri und Claudio Monteverdi.

    Übrigens ist das beim deutschen Wikipedia so. In den jeweiligen englischsprachigen Einträgen werden beide genannten Komponisten ebenfalls - wie ich meine: besser - als „transitional figure(s)“ zwischen Renaissance und Barock charakterisiert.

    :wink: Agravain

  • Gibt es Meinungen zu den hier vorgetragenen Anmerkungen?

    Ich bin nicht ganz sicher, ob ich die Anmerkungen überhaupt richtig verstehe...

    Natürlich könnte man ganz allgemein von "Bühnenwerken, die vor 1750 entstanden sind" sprechen. Damit enthält man sich jeder Epochenzuschreibung, verzichtet auf inhaltliche Kriterien und umfasst all die Gattungen, die Agravain genannt hat. Wie man von Barockmusik spricht, kann man meiner Ansicht nach auch von Opern des Barock sprech - oder eben von "Barockopern". Diese sind dann eine Teilmenge des allgemeinen Oberbegriffs "Bühnenwerke, die vor 1750 entstanden sind".

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • PS: Ein Nachgedanke zur Titelfrage "Die Oper - eine Erfindung des Barock?":
    Ohne das jetzt umfassend ausführen zu können, würde ich die Frage nach einigem Nachdenken kurz mit "Ja" beantworten. Ja, die Oper in unserem Sinne als Gattung ist eine Erfindung des Barocks, Barock verstanden als eine spezifische Kommunikationspraxis, die stark auf theatrale Elemente und (performative) Repräsentation setzt und die in der Oper ein ihr perfekt passendes Medium findet.

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Ich meine ja sowieso, dass alles mit dem Geistlichen Drama des Mittelalters im 10. Jhd. begann.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Ich meine ja sowieso, dass alles mit dem Geistlichen Drama des Mittelalters im 10. Jhds. begann.

    ... und so hängt alles mit allem zusammen...

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Ich meine ja sowieso, dass alles mit dem Geistlichen Drama des Mittelalters im 10. Jhds. begann.

    ... das wiederum auf die Liturgie zurückgeht (wie das antike griechische Drama auf den Dionysoskult).
    Also sowohl auf die liturgischen Lesungen während der Messe mit verteilten Rollen, als auch auf die freie dichterische Ausgestalung des Wortlauts der Liturgie (Sequenzen, die in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts enstanden).

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Also sowohl auf die liturgischen Lesungen während der Messe mit verteilten Rollen, als auch auf die freie dichterische Ausgestalung des Wortlauts der Liturgie (Sequenzen, die in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts enstanden).

    Sehr richtig!

    Danke, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Aber ja, noch heute wird in der Sancta Ecclesia Romana die Passion am Karfreitag mit verteilten Rollen gelesen.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Aber ja, noch heute wird in der Sancta Ecclesia Romana die Passion am Karfreitag mit verteilten Rollen gelesen.

    Ich kenne es auch von der Palmsonntags-Messe.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Wagnerianer haben es immer schon geahnt: Der "Parsifal" ist doch nichts anderes als Gottesdienst!

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Ich meine ja sowieso, dass alles mit dem Geistlichen Drama des Mittelalters im 10. Jhd. begann.

    Gruß
    MB

    :wink

    warum nicht mit den antiken Histriones?

    ob die geistlichen Spiele des Mittelalters (durchgehend, wenn überhaupt) gesungen wurden, ist noch sehr die Frage. Den psalmodierenden Vortrag des Karfreitagsevangeliums durch drei Personen (seit dem MA) haben die Zeitgenossen sicher nicht als auf der Bühne zu parodierende Form des Musiktheaters empfunden...

    Die Frage war doch nicht, wer‘s erfunden hat, sondern ob man das, was man gemeinhin unter „Barockoper“ subsumiert eine gemeinsame Kategorisierung überhaupt erlaubt (ich denke nicht, dazu sind - abgesehen von ein paar Basiseigenschaften - die stilistischen und strukturellen Unterschiede innerhalb des über 150 Jahre umfassenden Zeitraums viel zu groß)

    Aber wenn man schon die Frage nach den Anfängen stellen will: Dazu muss man doch die Geschichte nicht neu erfinden. Alles, was man zum intellektuellen Prozess wissen muss, der zur Entstehung der Oper geführt hat, kann man doch im Schriftwechsel des Florentiner Humanisten Girolamo Mei mit Bardis Camerata nachlesen, und in Vincenzo Galileis Dialogo della Musica antica, et della moderna. Geistliche Spiele des Mittelalters kommen darin als Vorbild nicht vor, wohl aber Thesen über die vermutete „Aufführungspraxis“ des antiken griechischen Theaters, u.a. dass dort durchgehend gesungen wurde und wie dieser Gesang gestaltet war. Und dass die polyphone Gegenwartsmusik für die Bedürfnissen des Theaters nicht taugt und ganz sicher nicht im antiken Griechenland gepflegt wurde.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Interessant finde ich dabei die grundsätzlichere Frage, ob man alle Opern, die vor ca. 1750 entstanden, mit Recht unter dem Titel "Barockoper" subsummieren kann oder ob da nicht operngeschichtlich Relevantes wie von Agravain angeführt möglicherweise herausfallen würde.

    Ich habe es eigentlich so verstanden, daß die Oper in ihrem Ursprung im Wesentlichen von der Florentiner Camerata ausging, was später natürlich sich verselbstständigte (siehe Monteverdi). Natürlich gab es Vorläufer aus der sakralen und auch der profanen Musik, doch diese spezifische Form - variabler Sologesang mit instrumentaler Begleitung, ein weltliches Thema, dargeboten auf einer Bühne - war eben neu und bis dahin unbekannt. Wobei selbst der Begriff Oper auch erst später verwendet wurde, wenn ich mich richtig erinnere.

    Alles, was vor 1600 gab, sehe ich als direkte oder indirekte Vorläufer oder sogar als Parallelentwicklungen. Ich finde schon, daß man das separieren kann. Die englische Masque würde ich auch nicht gleich als Barockoper bezeichnen, weil der Schwerpunkt da auch etwas anders gelegt ist. Ohnehin gab es durchaus parallele Entwicklungen im Laufe des 17. Jahrhunderts.

    Ein bißchen knapp umschrieben von mir, aber es würde echt ausufern, wenn man ins Detail geht.

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Wenn man die Epoche Barock kunsthistorisch fasst, ist natürlich das gesamte Opernschaffen Barock. Aber ich glaube nicht an eine strenge Gleichzeitigkeit der verschiedenen Kunstgattungen. Gerade die Florentiner Camerata würde ich als außerordentlich humanistisches und damit Renaissanceprojekt interpretieren wollen. Nicht, dass es nicht zum barocken Charakter passen würde, sich intensiv auf die Antike zu beziehen, das tut Barockkunst in allen Medien sehr wohl. Aber der Wiederbelebungscharakter einer "Euridice" oder (vielleicht schon etwas schwächer) eines "Orfeo" ist meiner Meinung nach eben typisch Renaissance. Noch Landis "Sant'Alessio" (1631/32) war explizit als Wiederbelebung der antiken Tragödie gedacht. Vor allem mit den späten venezianischen Opern wird Monteverdi dann zugegebenermaßen schon zu einer Art Übergangsgestalt, aber ich denke, es wäre terminologisch durchaus sinnvoll, zwischen den frühen Opern, in denen noch das "recitar cantando" vorherrscht, als "Renaissanceoper" und den Werken ab der Generation nach Monteverdi und Landi, d.h. beginnend mit Cavalli und Cesti, als "Barockoper" zu unterscheiden.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Die Camerata hat sich bestimmt nicht "barock" gesehen, das ist schon richtig; ihre Mitglieder hätte die besonderen Ergebnisse ihrer Bemühungen vielleicht auch anders bewertet, wie es die spätere Musikgeschichte es getan hat. Ich bin aber dennoch der Meinung, daß der Zeitpunkt, am dem von einer Oper im modernen Sinne gesprochen werden kann, durchaus einer neue Epoche zugeordnet werden sollte. Das unterschlägt aber natürlich nicht, daß diese Frühwerke inhaltlich noch der Vorgängerepoche verbunden war.

    Ich steh' halt auf Barockoper... :D

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