Franz Schmidt: Sinfonie Nr. 2 Es-Dur

  • Franz Schmidt: Sinfonie Nr. 2 Es-Dur

    Zitat

    Für uns ist Schmidt eben etwas Heiliges, zwischen Schmidt und uns besteht so eine Art Nabelschnur, da sind wir empfindlich, wenn einer darauf herumtrampelt.

    Mit diesen Worten wandten sich einige Mitglieder der Wiener Philharmoniker an die Öffentlichkeit, nachdem die Sinfonie Nr. 2 Es-Dur von Franz Schmidt von einem Kritiker verrissen worden war.

    Was war genau geschehen? Am 27. und 28. September 1958 gaben die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Dimitri Mitropoulos im Großen Saal des Musikvereins zwei Konzerte mit folgendem Programm:

    François Couperin (arr. Darius Milhaud): "Introduction und Allegro" aus "La Sultane"
    Arnold Schönberg: "Verklärte Nacht" (Fassung für Streichorchester von 1917)
    Franz Schmidt: Sinfonie Nr. 2 Es-Dur

    In der Wiener Presse gab es nach diesen beiden Konzerten sechs gute Kritiken, allerdings auch eine schlechte. Der Kritiker Karl Lobl schrieb am 29. September 1958 in der Morgenausgabe der Boulevardzeitung "Express":

    Zitat

    Bei ihm (Mitropoulos) bedeuten Intensität, Phantasie und Persönlichkeit mehr als die objektive Richtigkeit. Man erkannte das am besten bei der Zweiten Symphonie von Franz Schmidt, die fast wie ein gutes Stück klang, weil sie von Mitropoulos mit Energie und gewaltigem Aufwand an effektvollen Retuschen zumindest spannend nacherzählt wurde. An ihrer akademisch fundierten, schönseligen, wenn auch durchaus achtbaren Hinterwäldler-Mentalität vermochte allerdings auch er nichts zu ändern. Aber er kaschierte sie gut.

    Diese Unverschämtheit konnte der Orchestervorstand der Wiener Philharmoniker nicht auf sich beruhen lassen. Also organisierte er eine Publikumsbefragung. Im November 1958 verkündete er stolz deren Ergebnis: Von insgesamt 2360 Antworten waren 13 Personen mit der Kritik im "Express" einverstanden, 112 Personen äußerten sich differenziert, während 2235 (!) Personen die Schmähkritik im "Express" verurteilten.

    Woher kommt diese "Nabelschnur" zwischen Franz Schmidt und den Wiener Philharmonikern? 1896 erhielt Schmidt eine Stelle als Cellist sowohl bei den Wiener Philharmonikern als auch im Wiener Hofopernorchester (heute das Orchester der Wiener Staatsoper). Unter dem Chefdirigenten Gustav Mahler wurde Schmidt der bevorzugte Erste Cellist im Hofopernorchester. Seine Tätigkeit bei den Wiener Philharmonikern behielt er bis 1911 bei, die Stelle als Solocellist im Wiener Hofopernorchester sogar bis 1914. Dies bedeutet: Der Komponist Franz Schmidt war für die Wiener Philharmoniker "einer der ihren". Hinzu kommt, dass Schmidt jahrzehntelang an der Wiener Musikakademie unterrichtete, deren Rektor er von 1927 bis 1931 war. Er lehrte dort bis 1937 Klavier, Violoncello, Kontrapunkt und Komposition. Zahlreiche Musiker, die später Mitglieder der Wiener Philharmoniker wurden, waren durch seine Schule gegangen. Mehr Nabelschnur geht kaum.

    Nachdem Schmidt 1911 seine Cellistenstelle bei den Wiener Philharmonikern niederlegt hatte, widmete er sich der Komposition seiner Zweiten Sinfonie. Zuvor waren bereits die Sinfonie Nr. 1 (komponiert 1896-99, uraufgeführt 1902) und die Oper "Notre Dame" (komponiert 1902-04, uraufgeführt 1914) entstanden. Für die Sinfonie Nr. 1 hatte er den Beethoven-Preis der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde gewonnen.

    Die Arbeiten an der Sinfonie Nr. 2 waren im August 1913 abgeschlossen. Am 3. Dezember 1913 erfolgte die Uraufführung im Musikverein unter der Leitung des Widmungsträgers, nämlich des Hofkapellmeisters Franz Schalk. Es spielte das Wiener Hofopernorchester. Die Wiener Philharmoniker spielten das Werk erstmals am 29. November 1914 unter der Leitung von Felix Weingartner.

    Das Werk hat die Satzbezeichnungen

    • Lebhaft
    • Allegretto con variazioni
    • Finale: Langsam

    Vordergründig handelt es sich also um eine dreisätzige Sinfonie, was zur damaligen Zeit ungewöhnlich war. Man kann aber bei näherem Hinsehen eine Viersätzigkeit erkennen, denn das zwischen einem langsamen zweiten Satz und dem Finale üblicherweise eingeschobene Scherzo mit einem Trio ist durchaus vorhanden: Die ausgedehnte neunte Variation des Variationensatzes ist von Schmidt ausdrücklich als "Scherzo: Sehr lebhaft" bezeichnet worden, während die zehnte und letzte Variation "Trio: Sehr ruhig" heißt und zudem eine Wiederholung des Scherzos beinhaltet.

    Das etwa 45- bis 50-minütige Werk ist für ein riesiges Orchester gesetzt. Die Bläser und die Streicher spielen oft für sich allein, werden dann aber wieder überaus kunstvoll zusammengeführt. Faszinierend an diesem Werk ist nicht nur die Instrumentenbehandlung, etwa der gewaltige Einsatz der Blechbläser am Ende des Finales, sondern beeindruckend sind auch die thematischen Querverbindungen zwischen den drei Sätzen. Ich erlaube mir, insoweit auf die Analyse bei Wikipedia zu verweisen:

    https://de.wikipedia.org/wiki/2._Sinfonie_(Schmidt)

    Der Vergleich mit dem Schluss der Sinfonie Nr. 5 von Bruckner, den ich nicht nur bei Wikipedia, sondern auch in einem meiner CD-Booklets vorgefunden habe, erschließt sich mir allerdings nicht so ganz, es sei denn man meint wirklich ausschließlich die Wirkung der Blechbläserchoräle, die in der Tat bei Bruckner ebenso fantastisch ist wie bei Schmidt. Noch beeindruckender an dem Finale der Schmidt-Sinfonie ist für mich allerdings nicht dessen Schluss, sondern sein Beginn: Die Fuge, die sich zunächst allein in den Bläsern abspielt, bis nach etwa 1 Minute und 15 Sekunden die Streicher (ohne Bläser) einen Mittelteil spielen, gefolgt wiederum von einer längeren reinen Bläserpassage, der nach insgesamt etwa 3 Minuten und 25 Sekunden wiederum eine reine Streicherpassage folgt, bis dann die Orchestergruppen nach etwa 3 Minuten und 40 Sekunden erstmals zusammenspielen. All dies ist so unglaublich kunstfertig komponiert, dass ich mich kaum daran satthören kann.

    Gehört habe ich dieses grandiose Werk erstmals in einem Konzert des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg unter der Leitung von Horst Stein. Ich erinnere, obwohl seitdem mehr als 30 Jahre ins Land gegangen sind, noch als wäre es heute die ungeheure Wirkung, die diese Sinfonie im Konzertsaal auf mich hatte. Nach der Aufführung unterhielt ich mich - völlig aufgekratzt - im Künstlerzimmer mit Horst Stein, der mir sehr das Anhören der Musik von Franz Schmidt ans Herz legte. Insbesondere empfahl er mir neben der Sinfonie Nr. 2, die er als eins seiner Leib- und Magenstücke bezeichnete, das Oratorium "Das Buch mit sieben Siegeln".

    Nun zu den Einspielungen:

    Ich kaufte mir nach dem Konzerterlebnis mit Horst Stein die damals gerade erschienene Chandos-Aufnahme von Neeme Järvi mit dem Chicago Symphony Orchestra (rec. Chicago 20.-25.4.1989)

    Bis heute ist dies meine Lieblingsaufnahme. Das damalige Chicago Symphony Orchestra, dessen Chefdirigent Sir Georg Solti war, hatte einfach zu seiner Zeit die besten Blechbläser der Welt, und das hört man in dieser Aufnahme deutlich. Die Orchesterkultur ist aber auch sonst überragend.

    Eine weitere ganz ausgezeichnete Aufnahme hat Semyon Bychkov mit den Wiener Philharmonikern vorgelegt (rec. Wien 1.-4.9.2015)

    Der Klang der Streicher ist hier wärmer und klangschöner als in der Aufnahme aus Chicago. Was die Leistung der Bläser angeht, ziehe ich allerdings die Aufnahme vom Michigansee vor. Dennoch meine ich, dass Bychkovs Einspielung quasi ein "Muss" ist, allein schon weil kein Orchester mit diesem Werk eine auch nur annähernd so große Geschichte hat wie die Wiener Philharmoniker.

    Abraten möchte ich von meiner dritten CD mit diesem Werk, nämlich dem Mitschnitt der besagten Aufführung der Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Dimitri Mitropoulos im Großen Saal des Musikvereins am 28. September 1958

    Nach heutigen Maßstäben ist das dort gezeigte Orchesterspiel nicht konkurrenzfähig. Schlechtes Zusammenspiel, jede Menge Verblaser. Jedes Studentenorchester bekommt das heutzutage besser hin. Mit den Wiener Philharmonikern des Jahres 2015 und dem Chicago Symphony Orchestra des Jahres 1989 kann man die Wiener Philharmoniker an jenem 28. September 1958 nicht vergleichen - da liegen Welten dazwischen. Wurde vielleicht nicht genug geprobt? Im Booklet der Music&Arts-CD heißt es, dass die Wiener Philharmoniker vom 24. bis 26. September 1958 unter der Leitung von Sir Georg Solti die berühmte Decca-Aufnahme von Wagners "Rheingold" einspielten, dies jedoch nicht fertigstellen konnten, weil am 27. und 28. September 1958 die beiden Konzerte mit Dimitri Mitropoulos anstanden. Deshalb musste man, was vorher so nicht geplant war, am 29. September 1958 im Studio mit dem "Rheingold" weitermachen. Dies erklärt vielleicht, dass die Konzentration möglicherweise am 28. September 1958 nicht ganz bei Schmidt war bzw. die Probenarbeit für dieses Werk nicht ausreichte.

    Weitere Aufnahmen, die ich allerdings nicht in der Sammlung habe und zu denen ich daher nichts sagen kann, sind diese:
         

    Wer an der Partitur der Sinfonie interessiert ist, findet sie unter der Seite
    https://www.universaledition.com/franz-schmidt-…2-symphonie-336

    Die Diskussion über Franz Schmidts Sinfonie Nr. 2 möge beginnen :cincinbier:

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

    Einmal editiert, zuletzt von music lover (12. Mai 2022 um 11:17)

  • Die Partitur und die Einzelstimmen findet man übrigens auch bei imslp. Ist dort (obwohl im Original) sogar ein bisschen besser lesbar.
    Der Mann hatte offenbar eine saubere Handschrift - Sieht man nicht immer bei Originalen !


    VG

    Palisander

  • Ich danke Dir für Deine beiden Hinweise, lieber Palisander!

    Beim Stöbern habe ich gerade eine sehr interessante Amazon-Kundenrezension eines britischen Verfassers vom 27. September 2015 gefunden, der die Einspielung von Neeme Järvi mit dem Chicago Symphony Orchestra bewertet, dabei aber auch ein Live-Erlebnis des Jahres 2015 mit Semyon Bychkov und den Wiener Philharmonikern bei den Londoner "Proms" erwähnt. Der Rezensent war von der Aufführung mit Bychkov, bei der er diese Schmidt-Sinfonie offenbar erstmals hörte, augenscheinlich ebenso überwältigt wie ich bei meinem Live-Erlebnis mit Horst Stein:
    https://www.amazon.de/Schmidt-Sympho…/dp/B01K8L9920/

    Was Richard Strauss angeht, bin ich zwar etwas anderer Meinung (ich würde beim unbedarften Hören vermutlich nicht auf die Idee kommen, dieses Werk könnte von Strauss sein), aber sonst unterschreibe ich jedes Wort dieser Rezension.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

    Einmal editiert, zuletzt von music lover (12. Mai 2022 um 11:19)

  • Ich habe mir soeben den ersten Satz mit Järvi komplett angehört und in die CD 4 (Malmö Symphony Orchestra) kurz reingehört. Die Aufnahme mit Järvi gefällt mir persönlich besser. Der erste Satz klingt hier irgendwie frischer. Warum bzw. woran das liegt, kann ich allerdings nicht sagen.

    VG

    Palisander

  • Lieber music lover,

    vielen Dank für diesen Faden zu einem Werk, das ich Grunde kaum kenne. Ich nehme ihn zum Anlass, das Stück nach sehr langer Zeit erneut - eigentlich: neu - zu hören.
    Zur Diskussion werde ich nicht viel beitragen können - zu gering sind die Kenntnisse.
    Aber ich verfolge sie sicher gespannt.

    :wink: Agravain

  • Es ist mir bisher nicht gelungen herauszufinden von wann diese Aufnahme ist (?) Paavo Järvi ist ja schon lange nicht mehr Chefdirigent am HR.

    VG

    Palisander

  • Die Aufnahmedaten von Paavo Järvis GA:
    - Nr. 1: März 2017, hr-Sendesaal, Ffm
    - Nr. 2: März 2013, hr-Sendesaal, Ffm
    - Nr. 3: Februar 2014, Alte Oper, Ffm
    - Nr. 4 & Intermezzo: April 2018, Alte Oper, Ffm

    Das sind alles Live-Aufnahmen

    P. S.:
    Das Booklet zu dieser GA gibt es hier.

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Vielen Dank für diesen neuen Thread und den mMn sehr informativen Eröffnungsbeitrag!

    Zuletzt habe ich die Sinfonie beim Erscheinen der GA unter Paavo Järvi gehört. Sie hat mich auch nach wiederholtem Hören nicht nur zwiespältig hinterlassen, sondern eher ablehnend.

    Ich lese im Wikipedia-Zitat von einer "hymnischen Schluss-Steigerung" und von einer "Apotheose" und schaue irritiert auf das Jahr der Fertigstellung der Komposition und der Uraufführung - 1913.

    Und da ist es wieder, das ungute Gefühl, das mich beim Hören des Werkes beschlich: Ist das Werk nicht genau der Ausdruck jener saturierten, ja: von sich selbst besoffenen Haltung von Teilen der österreichischen Gesellschaft, die gerade in die Jahrhundertkatastrophe des Ersten Weltkriegs hineintaumelten?

    Sind nicht Werke wie Mahler 9 (Fertigstellung 1910), Mahler 10 (der Komponist starb über dem Werk in 1911) und Schönbergs erste atonale Werke (2. StrQu op. 10, 3./4. Satz 1907/08, Klavierstücke op. 11, 1909) viel mehr Ausdruck einer längst von innen zerfallenden Gesellschaft und damit ein wahrhaftigerer Ausdruck ihrer Zeit als eine Sinfonie, die im Jahre 1913 mit einer triumphalen Choralapotheose glaubt enden zu müssen?

    Da, wo Mahler Apotheosen schuf, war dies entweder religiös (2. Sinfonie, 1894), pantheistisch (3. Sinfonie, 1896) oder allgemein transzendent (8. Sinfonie, 1907) motiviert. Dass die positiven Schlüsse der 5. (1902) und 7. Sinfonie (1905) nicht restlos überzeugen, wurde auch in diesem Forum weidlich diskutiert.

    Was um alles in der Welt kann an einer Sinfonie, die im Jahr 1913 im Triumph endet, auf der geistigen Höhe der Zeit sein?

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Sind nicht Werke wie Mahler 9 (Fertigstellung 1910), Mahler 10 (der Komponist starb über dem Werk in 1911) und Schönbergs erste atonale Werke (2. StrQu op. 10, 3./4. Satz 1907/08, Klavierstücke op. 11, 1909) viel mehr Ausdruck einer längst von innen zerfallenden Gesellschaft und damit ein wahrhaftigerer Ausdruck ihrer Zeit als eine Sinfonie, die im Jahre 1913 mit einer triumphalen Choralapotheose glaubt enden zu müssen?

    Da, wo Mahler Apotheosen schuf, war dies entweder religiös (2. Sinfonie, 1894), pantheistisch (3. Sinfonie, 1896) oder allgemein transzendent (8. Sinfonie, 1907) motiviert. Dass die positiven Schlüsse der 5. (1902) und 7. Sinfonie (1905) nicht restlos überzeugen, wurde auch in diesem Forum weidlich diskutiert.

    Was um alles in der Welt kann an einer Sinfonie, die im Jahr 1913 im Triumph endet, auf der geistigen Höhe der Zeit sein?

    Damit sprichst Du einen Konflikt an, der gemeinhin zwischen der Musik von Gustav Mahler und der von Franz Schmidt gesehen wird: Hier der innerlich zerrissene, den Untergang der Welt beschwörende jüdische Zweifler, dort der lebensbejahende ungarisch-stämmige Erfolgsmensch. Entweder mag man Mahler und hasst Schmidt, oder man hasst Mahler und mag Schmidt. Die Wiener Philharmoniker der Nachkriegszeit haben sich ganz klar positioniert: Sie hassten Mahler und vergötterten Schmidt. Leonard Bernstein berichtete in einem Interview, wie die Wiener Philharmoniker damals während einer Mahler-Probe mit ihm von "Scheiß-Musik" sprachen.

    Mir ist dieses Denken zu simpel. Ich bewundere beide Komponisten, zeugt ihre Musik doch von der ungeheuren Vielfalt, die im musikalischen Wien vor dem Ersten Weltkrieg zu finden war. Man kann Mahler mögen, ohne Schmidt als "nicht zeitgemäß" zu geißeln.

    Das mit dem gradlinigen und (nur) von Erfolg gekrönten Lebensweg von Schmidt stimmt übrigens nicht. Auch insoweit erlaube ich mir, auf Wikipedia zu verweisen:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Schmidt_(Komponist)

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

    Einmal editiert, zuletzt von music lover (12. Mai 2022 um 11:20)

  • Hier der innerlich zerrissene, den Untergang der Welt beschwörende jüdische Zweifler, dort der lebensbejahende ungarische Erfolgsmensch. Entweder mag man Mahler und hasst Schmidt, oder man hasst Mahler und mag Schmidt.


    Mir ging es hier gar nicht um die Menschen. Schon gar nicht will ich die Diskussion über die Musik und die sich in ihr ausdrückende Weltsicht durch eine "Beurteilung" ihrer Schöpfer ersetzen. Ich vermute, dass mir Beethoven höchst unsympathisch gewesen wäre - und doch mag ich seine Musik. Bei Schmidts Zweiter bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, dass es im damaligen Österreich eine Menge einnehmender, auf den ersten Blick sympathisch wirkender Charaktere gegeben hat, die beim Ausbruch des WK I als erste "Hurra!" geschrieen haben.

    Die Wiener Philharmoniker der Nachkriegszeit haben sich ganz klar positioniert: Sie hassten Mahler und vergötterten Schmidt.


    ... und sind dabei freilich völlig unparteiisch und darüber hinaus dafür bekannt, dass sie geistig stets auf der Höhe ihrer Zeit, wenn nicht gar progressiv waren. :ironie1:

    Das mit dem gradlinigen und (nur) von Erfolg gekrönten Lebensweg von Schmidt stimmt übrigens nicht.


    Hat das jemand behauptet? ?(

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Hat das jemand behauptet?

    Du nicht. Aber das ist das Klischee. Ich schrieb bewusst von "gemeinhin", nicht von Dir.

    Übrigens hatten Mahler und Schmidt eigentlich keine Probleme miteinander. Ich schrieb im Eingangsposting, dass es Mahler war, der Schmidt zum Solocellisten des Wiener Hofopernorchesters machte. Allerdings versuchte Mahlers Schwager Arnold Rosé, der Konzertmeister dieses Orchesters war, Mahler gegen Schmidt aufzubringen, indem er ihn als dessen kompositorischen "Konkurrenten" darstellte.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Schon mal schönen Dank für das Thema, werter music lover!

    Schmidts Zweite kommt für mich sofort nach der Vierten. Allein der so eigenwillig barockisierende Beginn eröffnet mir einen Bilderbogen der versunkenen Donaumonarchie. Die Zweite ist in der Stimmung nicht so geradlinig wie die vierte, weitaus weniger leitmotivisch geprägt, und birgt daher ein ganz anderes, aber kein geringeres Spannungspotential. Gut - ich tue mich nicht schwer hier mit dem Empfinden von Spannung, da ich vor allem die Harmonik von Franz Schmidt grundsätzlich sehr schätze.

    Ich besitze die vier Sinfonien in der folgenden Sammlung, die Du genannt hast und die Dir wichtig ist, aber ich kann ein anderes Cover anbieten, im Jugendstil quasi:

    Ebenfalls mit anderem Cover hier die alte Einspielung durch Mitropoulos. Ja, es klingt, da auch akustisch bestenfalls zweitrangig, auf seine Art zusätzlich "versunken" ;) Es hat halt den Charme eines Konzertmitschnitts mit einem berühmten Orchester und einem berühmten Dirigenten - da lässt sich für mich über manches hinweghören. Ich gebe zu: Bereits der soeben kurz benannte Anfang erklingt als rechtes Chaos in den Holzbläsern und Streichern, das ist mir gleich aufgefallen.

    Das "ungute" Gefühl, welches Mauerblümchen beschreibt - ich kann es schon nachvollziehen. Trotzdem gestatte ich mir den historischen Blick auf eine Musik, die das Ende einer Zeit genauso noch einmal feiert - die erste Sinfonie tut dies in der Tat weitaus weniger gebrochen - wie beklagt, beklagt in Gestalt einer schwärmerisch doppelbödigen Atmosphäre, die viel Melancholie in sich birgt. Es ist doch auch ein Verdienst dieses Komponisten, dass eine solche Melange so originell klingt. Wahrlich nichts gegen das Spätwerk von Richard Strauss etwa - wobei ich an die Solokonzerte denke -, aber dort ist der Eskapismus doch viel eindeutiger, das Jahrhundert viel weiter fortgeschritten - ganz abgesehen davon, dass Strauss einen anderen Lebensstil gepflegt hatte als Schmidt, dessen persönliches Leid und vielleicht auch künstlerisches Ungemach noch vor ihm lag ... Wie gesagt: Ich bin da ein wenig parteiisch und halte diese meine Sicht nicht für unumstößlich - was Mauerblümchen ja auch nicht zu tun scheint.

    Natürlich könnte man sich noch eine Einspielung zulegen. Von der Vierten habe ich mindestens vier. Das könnte auch eine Aufgaben dieses Fadens sein. ;) Mal schauen. :)

    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Schmidts Zweite kommt für mich sofort nach der Vierten.

    Das ist bei mir umgekehrt. Die Vierte kommt bei mir gleich nach der Zweiten ;)

    schönen Dank für das Thema, werter music lover!

    Ich danke Dir sehr, und ich danke Euch allen für Eure schönen und interessierten Beiträge. So bringt eine Threaderöffnung in Capriccio Spaß! :cincinbier:

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Ich bin weit davon entfernt, mir ein Urteil über diese Symphonie anmaßen zu können. Ich habe sie jetzt zweimal gehört. Vom Eindruck her ist das handwerklich auf höchstem Niveau, klanglich raffiniert, harmonisch avanciert tonal und in der Verwendung barocker Elemente einerseits und des Orchesterapparats und der Harmonik der Spätestromantik andererseits schon sehr interessant.

    Was den Vorwurf der Apotheose betrifft, könnte man vielleicht entgegen halten, dass ja nun nicht das ganze Werk affirmativ wirkt, dass Sibelius 5 und Nielsen 4 sogar noch ein paar Jahre später im Ersten Weltkrieg entstanden (okay, Dänemark scheint von Weltkrieg I vielleicht nicht so betroffen gewesen zu sein, Finnland hat die Auswirkungen wohl auch erst 1917 dramatisch zu spüren bekommen) und Straussens Alpensinfonie auch nicht unbedingt von globaler Endzeitstimmung durchsetzt wirkt.

  • Was um alles in der Welt kann an einer Sinfonie, die im Jahr 1913 im Triumph endet, auf der geistigen Höhe der Zeit sein?

    Den Einwand verstehe ich nicht: 1913 hatten doch in Österreich-Ungarn hochrangige Militärs und Politiker schon lange auf eine gewaltsame Beendigung der serbischen Nationalbestrebungen gedrängt, und die Kriegsbegeisterung im folgenden Jahr war groß und weitgehend ungebrochen. Diejenigen, die damals schon den verlorenen Weltkrieg und das Ende der Donau-Monarchie vorausgeahnt haben, dürften doch wohl stark in der Minderheit gewesen sein. Insofern war der komponierte Triumph gerade auf der "geistigen Höhe der Zeit". Oder wie meinst Du das?

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