So nicht! - Verbotene DEFA-Filme

  • So nicht! - Verbotene DEFA-Filme

    Nach dem Mauerbau 1961 gab es in der DDR eine kurze Phase einer gewissen 'Liberalisierung' in der Kulturpolitik, die aber mit dem und nach dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 radikal beendet wurde. Als Wortführer trat damals Erich Honecker auf, der den Künstlern 'Nihilismus', 'spießbürgerlichen Skeptizismus', 'Dekadenz', Pornographie' oder 'Staatsfeindlichkeit' vorwarf. Das führte dazu, dass alleine aus den Produktionsjahren 1965 und 1966 zwölf Filme verboten wurden, die auch bis zum Ende der DDR dort nicht mehr gezeigt werden durften.

    Zehn dieser Filme sind nun in dieser Box vereinigt:

    Das Kaninchen bin ich - Kurt Maetzig,1965
    Denk bloß nicht, ich heule - Frank Vogel, 1965
    Der Frühling braucht Zeit - Günter Stahnke, 1965
    Der verlorene Engel - Ralf Kirsten 1966
    Karla - Herrmann Zschoche, 1965
    Wenn du groß bist, lieber Adam - Egon Günther, 1965
    Spur der Steine - Frank Beyer, 1966
    Hände hoch oder ich schieße - Hans-Joachim Kasprzik, 1966
    Jahrgang 45 - Jürgen Böttcher, 1966
    Berlin um die Ecke - Gerhard Klein, 1965

    Als 'Wessi' merke ich und ich denke, vielen anderen geht es ebenso, dass ich vom Filmschaffen der DDR, also der DEFA und des DFF (Deutscher Fernsehfunk) kaum bzw. gar keine Ahnung habe.

    Filmisch sozialisiert wurde ich ab den späten Sechzigern in der damaligen Bundesrepublik. Das hieß als Kind (wir bekamen erst ein Fernsehgerät als ich 10 war) Märchenfilme und Karl-May-Filme im naheliegenden Kino. Sicherlich waren bei den Märchenverfilmungen einige aus Osteuropa dabei, was mir natürlich nicht bewusst war. Die erste DDR-Produktion, an die ich mich erinnere ohne dass ich das damals wusste, war Wolfgang Staudtes 'Der kleine Muck', allerdings auch nur in Ausschnitten, weil der Nachbarsjunge zwei oder drei Teile auf Super 8 besaß, die wir uns ständig ansahen. Der Film wurde also durchaus kommerziell in der Bundesrepublik vertrieben.

    Mit zunehmendem Alter kam es dann zur absoluten Hinwendung an das Hollywoodkino, v.a. auch im TV. Deutsche Produktionen schaute ich nur, wenn es absolut unumgänglich war. Von daher erinnere ich mich nicht mehr daran, ob es DDR-Produktionen auch im westdeutschen TV gab. Tschechische durchaus, aber der Staat war aus damaliger westdeutscher ja auch nur halb so schlimm wie die DDR. :D Im Kino meines Stadtteils lief diesbezüglich eh nichts.

    Der erster DDR-Film, an den ich mich erinnere und den ich gesehen habe (TV) war 'Jakob der Lügner', der mich sehr begeistert hat. In der Berufsschule wurde uns später noch Staudtes 'Untertan' gezeigt, was wir als sehr exotisch empfanden. Das war's dann aber auch schon. Die Wiederveröffentlichung oder teilweise Neuauswertung nach 1989/90 habe ich weder im Kino noch im TV mitbekommen, weil mein Interesse sich damals ziemlich vom Spielfilm wegbewegt hatte.
    Von daher blieb der DEFA-Film für mich immer ein großer Unbekannter mit ganz vielen Fragezeichen.

    Rückblickend ist meine Unkenntnis natürlich nicht nur auf mangelnde Gelegenheiten zurückzuführen, sondern auch auf eine gewisse westdeutsche Hochnäsigkeit. Egal wie ich mich politisch in meiner Jugend positionierte, ich war eben auch Kind meiner Zeit. Wir Westdeutsche lebten ja im Austausch mit der Welt, lernten jederzeit das Beste vom Besten kennen und die 'Eingeschlossenen' von drüben konnten gar nicht anders, als nur thematisch wie inszenatorisch halbe Sachen zu machen, die von daher von vornherein uninteressant waren. Man schaute halt herab. Das ist jetzt sehr überspitzt formuliert, aber irgendwo im Hinterkopf beeinflusste es mich schon, auch wenn ich es nie zugeben hätte.

    Woher nun der Sinneswandel? Vor Jahren sah ich 'Spur der Steine' auf DVD und war baff, wie gut der ist. Aber auch das war noch kein Auslöser. Der kam vielleicht nun mit der DFF-Produktion 'Kleiner Mann, was nun', die mich auch schwer begeistert hat und mich endlich dazu bewegt hat, damit anzufangen, diese Lücke zu schließen. Aber auch die (wahrlich späte) Erkenntnis, dass mein Wissen um die deutsche Filmgeschichte nicht vollständig ist, wenn nicht auch der zweite Entwicklungsstrang nach 1945 Berücksichtigung findet.

    Westdeutsche Arroganz und Ignoranz gepaart mit meiner persönlichen. Damit muss nun endlich einmal Schluss sein, mehr als dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung. Peinlich für mich, dass es so lange gedauert hat.

    Von daher möchte ich nun im Laufe der nächsten Wochen jeden dieser Filme hier vorstellen, denn ich glaube, dass das nicht nur aus künstlerischer Sicht interessant sein wird, sondern auch aus kulturhistorischer. Und ich glaube auch, dass es so manch Anderem ähnlich wie mir ergangen ist. ;)

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • DDR 1965, Regie Kurt Maetzig nach einem damals verbotenem Roman von Manfred Bieler.

    Wie Kurt Maetzig in einem Interview sagte, ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass der Film verboten wurde, sondern, dass er überhaupt gedreht werden konnte. Die Produktionserlaubnis war trotz der damaligen Tauwetterperiode zwischen Mauerbau und Entmachtung Chrutschows kein Selbstgänger. Aber letztlich wurde das Drehbuch von der DEFA und dem entsprechenden Ministerium abgesegnet.

    Das 'Kaninchen' ist Maria Morzeck, die Slavistik studieren möchte und die sich im Verlauf des Films zu einem 'alten Hasen' wandelt. Das Studium wird ihr verboten, weil ihr Bruder als Staatsfeind angeklagt und von einem aufstrebenden Richter zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wird. Was genau ihr Bruder begangen hat, wird ihr nie mitgeteilt ('Haben Sie etwa kein Vertrauen in unsere Justiz?') und letztlich bleibt ihr nur, in einem drittklassigen Etablissement zu kellnern. Zufällig lernt sie den Richter kennen und beginnt eine Beziehung mit ihm. Zunächst will sie ihn zugunsten ihres Bruders benutzen, verliebt sich aber in ihn. Er wiederum, verheiratet, sie wohl auch liebend, ist später bereit, ein Gnadengesuch einzureichen, weil er sich dadurch dann wiederum einen neuen Schub für seine Karriere verspricht. Maria trennt sich deshalb von ihm, erkämpft eigenständig die Freilassung des Bruders, überwirft sich aber mit ihm und beginnt ein eigenständiges Leben.

    Quasi jede Minute des Films bot puren Zündstoff für die nach 1964 erneut jeder liberaleren Tendenz im Lande sich verschließenden SED. Kritik an der Justiz, am Parteiapparat, die Darstellung freieren Lebens, unangepasste Individuen, Opportunismus in der SED etc. Maetzig ließ nichts aus. Dabei ging es ihm nach eigener Aussage um die Weiterentwicklung des Sozialismus hin zu einem mit menschlichen Antlitz, nicht um die Infragestellung des Systems. Aber auch das war schon zu viel. Der Film wurde noch vor der Premiere verboten und Maetzig äußerte öffentlich Selbstkritik, die dann von Ulbricht gnädig beantwortet wurde.

    Natürlich steht dieser Aspekt, der durchaus regimekritische Teil, beim jetzigen Anschauen zunächst im Vordergrund und damit ein eher kulturhistorischer und kulturpolitischer. Würde es sich aber darauf beschränken, könnte man mit Recht nach der heutigen Bedeutung vom 'Kaninchen' fragen. Aber es ist einfach auch ein richtig gut gemachter Film. Für mich als Wessi ist es zunächst einmal ein Haufen völlig unbekannter Gesichter, die aber jeweils eine wirkliche Entdeckung bedeuten. Angelika Waller, Alfred Müller, Ilse Voigt, Wolfgang Winkler, Irma Münch um nur die wichtigsten Protagonisten zu nennen, verkörpern ihre jeweiligen Rollen absolut glänzend. Dazu kommen die Kamera von Erich Gusko und der Schnitt von Helga Krause. Überhaupt die erzählerische Struktur des Films. Da wird gesprungen, gibt es harte Schnitte, werden verschiedene Begebenheiten mithilfe von Tonüberblendungen radikal zusammengeschnitten, gibt es die immer wieder mit überraschenden Brennweiten oder Einstellungen aufwartende Kamera. Das ist optisch faszinierend, aber nie Selbstzweck, sondern trägt ungemein zur Lebendigkeit und auch zum Witz bei, den der Film durchaus auch hat.

    Also insgesamt ein wirklich sehenswerter Film! Interessant dabei auch ein Vergleich mit dem, was in Westdeutschland 1965 an bundesdeutschen Produktionen erfolgreich war. Das waren natürlich Karl-May-, Edgar-Wallace- und Jerry-Cotton-Filme. Dazu kamen erste Soft-Sexfilme. Opas Kino war halt tot im Westen und 'drüben' wurde ein neues totgemacht.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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  • DDR 1965, Regie Frank Vogel

    Während der Film von Kurt Maetzig relativ problemlos fertiggestellt werden konnte und er kurz vor der Premiere verboten wurde, hatte Frank Vogel schon während des Drehs Schwierigkeiten seitens staatlicher Stellen. Und selbst das fertige Produkt wurde lange nicht abgenommen, zweimal musste z.B. ein neuer Schluss gedreht werden. Letztlich wurde er dann aber doch verboten.

    Sieht man den Film heute fällt sofort die thematische Ähnlichkeit zu 'Denn sie wissen nicht, was sie tun' und auch zu den 'Halbstarken' ein. Peter, ein vordergründig unangepasster Jugendlicher in der DDR, versucht einen eigenen, individuellen Weg innerhalb der starren sozialistischen Ordnung zu gehen. Probleme im Elternhaus, in der Schule, Sprachlosigkeit, rigide Forderungen seitens des Staates - all das fördert nur seinen verzweifelten Versuch, ehrlich und wahr zu bleiben.

    Der Film stellt dabei nicht den Sozialismus in Frage, macht aber deutlich, dass es jenseits von Disziplin und Anpassung noch andere Lebenswege geben kann, geben sollte. Am Ende des Films 'gliedert' sich Peter in die LPG-Brigade ein, die vom Vater seiner Freundin geleitet wird. Aber auf die Feststellung des Vater: 'Der Himmel ist für das Wetter da.' antworten beide 'Nein, nicht nur.'.

    Der Kampf um das eigene Leben wird weitergehen, aber nicht außerhalb des Systems, sondern verbunden mit der Hoffnung, dieses menschlicher gestalten zu können.

    Natürlich war das alles Sprengstoff für die DDR, erst recht nachdem Veränderungsdiskussionen nicht mehr zugelassen werden sollten. So überrascht ein Verbot auch in diesem Falle nicht.

    Der Film wird zunächst einmal geprägt durch die beiden sehr jungen Hauptdarsteller Peter Reusse (24) und Anne-Kathrein Kretschmar (17), die beide ihren jeweiligen Part ungemein überzeugend verkörpern. Gerade auch er, mit seiner verzweifelt, fast depressiven Grundhaltung und seinem James-Dean-Blick füllt die Rolle unglaublich gut aus. Aber auch sonst ist das Spiel der anderen Darsteller einmal mehr von höchster Güte.
    Anders als das 'Kaninchen' gibt es hier keine humorig-ironischen Töne. Ganz ruhig, in oftmals langen, teilweise wunderschönen Einstellungen, entfaltet der Film aber eine ganz starke Sogwirkung. Selten kommt es zu harten Schnitten und dann auch nur in dramaturgisch entscheidenden Momenten. Die Kamera ist unglaublich gut positioniert, sei es, um die Einsamkeit der Protagonisten deutlich zu machen, die Zerrissenheit von manchen Personen oder auch die seltenen Momente glückhafter Idylle.

    Ein sehr lohnenswerter Film. Hinsichtlich der politischen Aussage, hinsichtlich der Beziehung zu den beiden oben genannten anderen 'Rebellionsfilmen von Jugendlichen', aber auch hinsichtlich der hohen künstlerischen Qualität und des wirklich guten Drehbuches.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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  • DDR 1965, Regie: Günter Stahncke

    Dieser Film brachte es immerhin zur Premiere im Colosseum am 25.11.1965. Danach ereilte auch ihn das Schicksal des Verbots. Zudem wurde er um gut 25 Minuten gekürzt, die als verloren gelten.

    Erzählt wird die Geschichte eines Ingenieurs, der in die Intrigen und Kungeleien seines Betriebes verstrickt wird, bei denen es um Planübererfüllung, Belohnungen, Prestige und Karrieren geht. Er wird verhaftet, kann sich halbwegs rehabilitieren und erhält letztlich, durch Beihilfe des betrieblichen SED-Sekretärs, in seinem alten Betrieb eine bessere, einflussreichere Stellung.

    Was so vielleicht nach SED-Schmonzette klingt, ist es, wenn man sich den Film anschaut, aber nicht. Der Film muss einigen Sprengstoff mehr geboten haben, sonst wäre nicht so viel davon dem Schnitt zum Oper gefallen und er trotzdem verboten worden.

    Aber auch so legt er natürlich den Finger in Wunden des Systems, die nach 1965 eher brutal verdeckt werden sollten, als dass eine Möglichkeit eröffnet wurde, sie öffentlich zu diskutieren. Die Regisseure der Filme, die ich bislang gesehen habe, waren ja allesamt nicht an der Abschaffung des Systems interessiert, sondern wollten Reformen. Aber wie das im Leben so ist. Lieber schluckt man noch 'ne Tablette, als das man sofort zum Zahnarzt geht und eine Behandlung einleitet. ^^

    Als Wessi ist es nicht immer einfach, die DDR-spezifischen Organisationsstrukturen der einzelnen Betriebe nachzuvollziehen. Ähnliche Probleme hatte ich auch mit der damaligen Form der betrieblichen Problemlösung wie sie in 'Spur der Steine' auftaucht. Wer sitzt in den Gremien mit welcher Funktion und wer hat letztlich mehr zu bestimmen. Nicht ganz einfach zu durchschauen, aber der Film war ja auch nicht für einen Westler des Jahres 2021 konzipiert. ^^

    Vom Inhalt, teilweise auch von der Umsetzung her halte ich ihn nicht für den großen Wurf. Zu sehr zeitgebunden scheint er mir. Aber er weist trotzdem einige künstlerisch interessante Momente auf. Vor allem fällt sofort die Kargheit der Ausstattung, die kühle Sachlichkeit ins Auge. Größtenteils weiße Wände in den Innenraumszenen, die Räume umschließen, die nur spärlich (nicht ärmlich!) dekoriert sind. Alles scheint reduziert und der Mensch bewegt sich in ihnen fast unbehaust, wie ein Fremdkörper. Das sind alles Funktionsräume, aber keine, in denen man lebt, atmet, sich wohlfühlen kann, die auch Schutz vor staatlicher Einflussnahme bieten könnten.
    Dann gibt es eine Szene mit einer Betriebsfeier. Man tanzt und ist fröhlich. Alles erinnerte mich an die Tanzerei in 'Raumpatrouille Orion'. Künstlichkeit im Hintergrund und direkt vor der Kamera (die teilweise einen 360°-Schwenk dabei vollzieht) ein spezielles Paar, das seine Feierlaune abarbeitet. Das ist filmisch wirklich großartig.
    Zu dieser Künstlichkeit passt das Theaterhafte, das Kammerspielartige, was den Film über weite Strecken anhaftet. Der Mensch als entfremdetes Wesen in einem starren System, das aber überall Fehler aufweist.

    Die filmische Umsetzung ist vielleicht das, was den Film heute noch spannend und sehenswert macht. Die Geschichte selber ist eher von historischem Interesse.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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  • 'Der verlorene Engel' - DDR 1966, Regie: Ralf Kirstin

    1966 verboten, kam es trotzdem zu einer Aufführung 1970 in der Botschaft der UdSSR in Ost-Berlin. 1971 kam der Film sogar in die Kinos und 1975 wurde er im Fernsehen der DDR gezeigt. Allerdings waren in der Zwischenzeit gut 20 Minuten Film wohl für immer verlorengegangen. Von daher ist heute kaum noch zu verstehen, dass er ins Visier der SED-Hardliner geriet.

    Gründe für das Verbot waren (lt. Wikipedia) eine 'verwaschene philosophische Konzeption', indifferente humanistische Aussage' und 'fehlende Rücksicht auf Publikumswirksamkeit' (!). Allerdings scheint ein weiterer Grund die Thematisierung der Rolle von Kunst in einer Gesellschaft gewesen zu sein. All das wird aber in der vorliegenden Version nicht mehr so richtig deutlich.

    Gezeigt wird ein Tag aus dem Leben Ernst Barlachs und zwar der aus dem Jahr 1937, als er erfährt, dass sein 'Engel' aus dem Güstrower Dom 'geraubt' wurde. Der große Fred Düren spielt in den Bildhauer in einer Fremd-in-dieser-Welt-Haltung, die wirklich überwältigend ist.

    Überwältigend ist aber v.a. die gesamte Konzeption des Films und ihre Umsetzung. Es geht hier wahrlich nicht um ein Biopic klassischen oder heutigen Zuschnitts. Weit davon entfernt. Auch in seiner 'kastrierten' Form merkt man sofort, dass Kirstin etwas ganz anderes im Sinn hatte. Die Klammer, die die einzelnen Szenen zusammenhält, ist ein langer innerer Monolog, der wohl stark auf Barlach-Zitate beruht und in dem er über seine eigene politische Haltung und die Bedeutung von Kunst auch innerhalb einer Gesellschaft (hier der faschistischen) reflektiert. Dazu gibt es Spielszenen, Landschaftsaufnahmen, Rückblenden, filmische Assoziationen. Das Werk selber steht, wird nicht biographisch-psychologisch entwickelt oder begründet. Vielmehr interessiert den Regisseur der Künstler im Spannungsfeld mit seiner Umwelt, mit seinem Ethos, mit der aktuellen Geschichte. Dafür benützt er eine Erzählweise und eine filmische Umsetzung, die stark an das expressionistische Kino erinnert, das aber wiederum gemischt mit Stilmitteln der 40iger und 50iger Jahre und natürlich mit (damals) genuin modernen. Und so entstand eine Melange, die nun versucht, sich aus unterschiedlichsten Blickrichtungen einem Thema zu nähern. Und diese Melange ist wirklich faszinierend, weil sie immer wieder neue filmische Antworten findet, weil sie Neuland betritt, weil sie eigen und persönlich ist. Ein hochambitionierter Film!

    'Fehlende Rücksicht auf Publikumswirksamkeit' - einer der damaligen Verbotsgründe. Für mich heute eher eine Auszeichnung. Kirstin macht keine Kompromisse, was allerdings überall und in jedem System bestraft wird. In welcher Form auch immer.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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  • DDR 1965, Regie: Herrmann Zschoche

    Karla (Jutta Hoffmann) wird als junge Lehrerin auf ihren ersten Posten an einer Oberschule in einer norddeutschen Kleinstadt verpflichtet. Dort übernimmt sie Fächer in einer 12. Klasse und lernt gleichzeitig Kaspar (Jürgen Hentsch) kennen und lieben. So weit, so gut. Sie hat aber ein Problem, sie hat noch jugendliche Ideale, sprich, sie fühlt sich der Wahrheit und der Wahrheitsfindung verpflichtet. Natürlich kommt es dadurch sofort zu Konflikten in der Schule, aber auch im privaten Bereich, weil Kaspar diese 'Phase' längst hinter sich, den Kampf aufgegeben, sich in ein 'alternatives' Leben zurückgezogen hat. Karla aber nimmt den Kampf auf, knickt irgendwann ein, rappelt sich dann aber wieder auf und - verliert. Sie wird versetzt, aber Kaspar wird sie begleiten.

    Dieser Film war natürlich in der DDR ab 1965 eine Unmöglichkeit. Freies Denken, Widerspruch, eigene Ideal - all das ging überhaupt nicht. Von daher konnte das Verbot nicht überraschend kommen. Zwar wurde in einer Art der Selbstzensur noch versucht, den Film durch das Wegschneiden einzelner Szenen zu retten, aber letztlich war der gesamte Streifen zu sehr durchtränkt von regimekritischen Äußerungen, das nichts mehr half. Das Drehbuch entstand übrigens unter der Mitarbeit von Ulrich Plenzdorf, der ja auch ein zwiespältiges Verhältnis zur DDR hatte.

    Ich finde, dass der Film heute noch von Interesse sein kann, weil er neben den DDR-spezifischen Frage sich auch damit beschäftigt, wann jemand seine jugendlichen Ideale eigentlich verliert und sich in Abhängigkeit zum 'normalen' Alltag begibt und dessen Wert- und Denkvorstellungen übernimmt und warum er das macht. Und genau da verlässt der Film den DDR-Bereich und wird wirklich allgemeingültig und wird seine Relevanz auch behalten.

    Denn rein filmisch ist er jetzt nicht unbedingt eine Sensation. Zunächst einmal lebt er von dem wunderbaren Spiel der beiden Protagonisten (v.a. Jutta Hoffmann ist einmal mehr zum Niederknien), das durch Inge Keller und Hans Hardt-Hardtloff wahrlich bereichernd ergänzt wird. Ansonsten gibt es immer wieder einmal tolle Einstellungen (Karla und ihr Direktor gehen in einer Art Gleichschritt spazieren.), manch interessanten Schnitt oder auch überhaupt gelungene Szenen. Aber insgesamt bewegt sich der Film doch auf einem zwar hohen, aber künstlerisch nicht herausragenden Niveau. Inwieweit die durchgeführten Schnitte diesen Gesamteindruck trüben, kann ich natürlich nicht beurteilen. Sehenswert ist er aber allemal, alleine schon wegen des Inhalts und wegen des Spiels von Jutta Hoffmann.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)


  • https://www.youtube.com/watch?v=V_D76XGIUxQ
    fällt m.E. nicht unter DEFA-Filme.. wurde in den 70zigern zu später Nachtstunde 1 x gesendet und verschwand anschließend quasi in der Versenkung ... mein Brägen neigt dazu den Film nicht bloß auf Verhältnisse im Ostbereich zu beziehen..
    ... hab mir nicht sehr viele Film von Frank Beyer reingezogen.. der kam bisher am fetzigsten rüber...

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • < < = = lt. Tante Wiki ''DEFA im Auftrag d. Fernsehens d. DDR'' / / Regisseur + beide Hauptdarsteller hatten gegen die Biermann-Ausbürgerung unterschrieben, was den Kulturbürokraten scheints erst Tage vor der geplanten Ausstrahlung aufgefallen ist - am besagten Tag soll es dann endlos gedauert haben, bis der Film tatsächlich mal anlief (u. im TV-Programm stand wohl bloß der Filmtitel ohne die kleinste Unterzeile!)

    <= yepp ist auch fast mein Lieblings-Frankie-Beyer, aber Der Bruch

    steht für mich doch noch höher: das Gauner-Trio Rolf Hoppe/Otto Sander/Götz George ist doch gar zu :thumbup: - der Film kam damals Hier im Westen wohl gar nicht gut: gar zu viele waren scheints erheblich irritiert darüber, dass sich George nicht Schimanski-like durch Schaufenster schmeißt etc. :neenee1: :neenee1:

    zwei kleine Schoten am Rande: in Abgehauen (der Manfred Krugs letzte Monate in der DDR nachzeichnet!) lässt Frank Beyer sich selbst von seinem elf Jahre jüngeren Bruder Hermann darstellen + bin nach-wie-vor unsicher, was ich vom ersten Fall des neuen ''Polizeiruf 110'' - Ermittler-Duos aus Halle wirklich halten soll (viell. sollte man in der Tat zumindest die Fälle 2 u.3 abwarten!), aber die Episode mit Hermann Beyer gehört doch wohl auf jeden Fall auf die Plus-Liste :!:

    Sry f.d. Abschweifung - aber letztendlich finde ich, man sollte eine jede Gelegenheit nutzen, paar Hinweise auf den ostdeutschen Film abzudrücken - - - Willies berühmtes ''Nu wächst ja feste zusammen was beisammen gehören tut'' ist ja (filmgeschichtlich gesehen!) schon mal so was von daneben gegangen, dass man fast nur noch darüber lachen kann!!!

    :wink: :wink:

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow


  • https://www.youtube.com/watch?v=V_D76XGIUxQ
    fällt m.E. nicht unter DEFA-Filme.. wurde in den 70zigern zu später Nachtstunde 1 x gesendet und verschwand anschließend quasi in der Versenkung ... mein Brägen neigt dazu den Film nicht bloß auf Verhältnisse im Ostbereich zu beziehen..
    ... hab mir nicht sehr viele Film von Frank Beyer reingezogen.. der kam bisher am fetzigsten rüber...

    Danke für den Hinweis. Natürlich war auch das DFF ständiger Kontrolle unterzogen und wurden dort Filme nicht gezeigt oder verboten. Genauso gilt das ja für die gesamte DEFA-Zeit. In den Jahren nach 1965 kulminierte es wohl (fast die gesamte Jahresproduktion der DDR wanderte in den Giftschrank), weil sich das politische Klima in der DDR radikal veränderte.

    Übrigens betraf das Verbot nicht nur die Filme. Die Regisseure, v.a., wenn sie SED-Mitglied waren, hatten teilweise arge Konsequenzen zu tragen (Oder wie Egon Günther es formulierte: Wir hatten alle Angst.), gleiches galt für Drehbuchautoren oder auch Schauspieler. Und in den Produktionsabteilungen der DEFA rollten auch die Köpfe.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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  • DDR 1965, Regie: Egon Günther

    In eine Straßenbahn verirrt sich ein Schwan, der aber sofort wieder nach draußen befördert werden soll, weil er keine Fahrkarte hat. Der achtjährige Adam rettet ihn und lässt ihn wieder zu Wasser. Dafür schenkt ihm der Schwan eine Taschenlampe. Durch Zufall entdecken er und sein Vater, dass Menschen, die von dieser Lampe angestrahlt werden und gerade lügen, anfangen, sich langsam in die Luft zu erheben und zu fliegen. Und damit geht der ganze Trubel los. Am Schluss verschwindet die Lampe zwischen lauter Nachbauten, absolut identisch, die aber leider diese wirklich wichtige Funktion nicht besitzen. Das bedeutet natürlich dass diese Lügen aufdeckende Taschenlampe weiterhin in der DDR kursierte.

    'Undialektische, relativistische Auffassung von Wahrheit' war dann das Diktum der SED und der Film wurde noch während der Nachproduktion verboten. Günther versuchte ihn zu retten, in dem er etliche Striche vornahm, aber auch das half nichts. Tonspur und Film wurden getrennt verwahrt und tauchten erst 1990 wieder auf. Allerdings fehlten die geschnittenen Dialogzeilen.

    Die Rekonstruktion verfuhr damit nun auf eine sehr interessante Weise. Häufiger fehlt schlichtweg der Ton und dann werden die zensierten Zeilen aus dem Drehbuch eingeblendet, so dass man auch einmal überprüfen kann, was damals schon Anstoß erregte. Eine natürlich schon aus dem Drehbuch entfernte Szene war folgende: Eine NVA-Truppe wird vereidigt und schwört den Eid auf Staat und Sozialismus und wohl auch SED. Alle mit Inbrunst dabei, allerdings werden sie in diesem Moment angeleuchtet und sämtliche Soldaten fliegen durch die Luft. So etwas ging natürlich gar nicht, aber auch eine Zeile wie 'Die Wege der Oberen sind unerforschlich.' war schon zuviel.

    Und der Film selber? Der ist so großartig, schräg, durchgeknallt, witzig, frech, absurd, das es eine schiere Freude ist, ihn zu sehen. Eine Mischung aus Malles 'Zazie in der Metro' von 1960 (keine Ahnung, ob Egon Günther ihn kannte), aus Märchenfilm, Parodie, Kästner, Kabarett. Jeder Moment bietet eine weitere Überraschung voller Leichtigkeit und Charme serviert. Ein wirkliches Vergnügen, das sich dabei unablässig um das Thema Wahrheit und Lügen (im Sozialismus, bzw. in der Gesellschaft der DDR) dreht. Denn auch in dem Teil des Films, der überlebt hat, wird eine Spitze nach der anderen abgeschossen.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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  • DDR 1966, Regie: Frank Beyer

    Mit Sicherheit der bekannteste der sogenannten 'Verbots-' oder 'Kaninchenfilme' der DEFA.

    Geschildert werden die Konflikte auf einer Baustelle, einerseits zwischen dem unangepassten Brigadeleiter Balla (Manfred Krug) und dem an der Sache orientierten Parteisekretär Horrath (Eberhard Esche) andererseits zwischen Horrath und der Bauleitung/SED, was in einem Ausschlussverfahren kulminiert. Den Konflikt weiter befeuernd, ist dann noch die Liebesgeschichte zwischen dem verheirateten SED-Funktionär Horrath und der jungen Ingenieurin Kati Klee (Krystyna Stypulkowska).

    Beyer übt offen Kritik an den Intrigen, Unfähigkeiten, planerischen Sinnlosigkeiten, die auf solch einer Großbaustelle offensichtlich vorkamen. Gleichzeitig aber ist es ein weiterer hoher SED-Funktionär, der letztlich Horrath den Rücken stärkt und zu seinen Gunsten interveniert. Letztlich wäre der Film wohl wenige Jahre zuvor nicht verboten worden, v.a. weil Beyer einen von der SED hochgelobten Roman verfilmte. Allerdings beschönigt er dann aber auch nichts, was den Alltag im Sozialismus anging. Deshalb kam er in den Strudel der immer hysterisch werdenden Verbotswelle nach dem XI. Plenum des ZK der SED.

    Das deutete sich schon an, als während der Dreharbeiten und der Nachproduktion der Druck auf Beyer immer mehr erhöht wurde. Trotzdem erlebte 'Spur der Steine' seine Premiere bei den Arbeiterfestspielen in Potsdam (Juni 1966) und lief dort unter großer Publikumsresonanz. Danach war ein landesweiter Start geplant, aber schon die erste Vorstellung in Ost-Berlin wurde von bestellten Störern im Kinosaal massiv unterbrochen, etwas was es in dieser Form seit den Aktionen der Nazis gegen 'Im Westen nichts Neues' in Deutschland nicht mehr gegeben hatte. (Fassbinders 'Dritte Generation' erlitt später ein ähnliches Schicksal, diesmal wieder von linksradikaler Seite.)

    Nach weiteren Störungen in anderen Städten wurde der Film dann aus den Kinos genommen und verschwand für die nächsten Jahrzehnte, bis er kurz nach der Wende wieder öffentlich in der DDR gezeigt werden durfte.

    Was ihn nun zu solch einem systemgefährdenden Produkt macht, ist heute, gerade auch für einen Wessi, kaum noch nachzuvollziehen. Es ist kein Musteralltag, den er zeigt, die Figur des Balla ist alles andere als ein sozialistischer 'Held der Arbeit', die Baustellenorganisation ist unfähig und der Stellvertreter Horraths, Hein Bleibtreu (Hans-Peter Minetti) ist ein recht übler Karrierist. Und er zeigt auch, wie dieser ganze Parteidruck einen Idealisten wie Horrath in seiner Menschlichkeit beeinflusst. Aber er zeigt eben auch die 'menschliche' Seite der SED in Gestalt von Jansen (Johannes Wieke), der ganz Vaterfigur und gleichzeitig deus-ex-machina alles zu einem guten Ende bringt. Es ist Kritik da, aber eigentlich eher, wie so oft von der SED gefordert, positiv in die Zukunft weisend. Und trotzdem war es in dieser Situation alles zu viel für das Politbüro.

    Beyers Film ist für jemand wie mich, der mit diesen ganzen Verflechtungen auf einer sozialistischen Baustelle so gar nicht vertraut ist, zunächst einmal nicht immer leicht verständlich. Obwohl ich in der letzten Zeit doch Einiges über diese Organisationstrukturen hinzugelernt habe, ist er mir auch beim dritten Anschauen immer noch in manchen Dingen nicht klar. Aber für einen Wessi im Jahr 2021 war er ja auch nicht gedreht. :)

    Trotzdem nimmt er einen mit, gerade durch die drei Hauptfiguren (Balla, Horrath, Klee) und ihre schuldhaft, schuldlose Verflechtung, ihre große Menschlichkeit, ihr Fehlen, ihr Lernen. Aber er nimmt einen auch mit, weil Beyer einen wirklich guten Film inszeniert hat, jetzt einmal von der Dramaturgie, von der Kameraarbeit, von der Inszenierung, vom schlichten Handwerk her. Es stimmt halt alles in dem Film. Die Verknüpfung mit den Rückblenden ist tadellos, die Kamera steht immer da, wo sie stehen sollte, die Personen werden filmisch gut charakterisiert usw. Vielleicht kommt der Wandel Ballas vom Gegner zum Freund Horraths ein wenig plötzlich, aber geschenkt. 'Spur der Steine' ist trotz Überlänge immer noch ein wirklich sehenswerter Film. Und Manfred Krug als Balla fast schon die 'halbe Miete'.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • DDR 1966, Regie: Hans-Joachim Kasprzik

    Gestern bekam ich meine zweite Impfung und von daher war heute 'Beine hoch' angesagt und das v.a. mit DEFA-Verbotsfilmen. Und deshalb kam nach 'Spur der Steine' gleich dieser zum Einsatz.

    Vopo Holms schiebt Dienst in einer Kleinstadt namens 'Wolkenheim' und sehnt sich danach, endlich einen großen Fall übertragen zu bekommen. Als eine Bande aus längst pensionierten Kriminellen ihm einen richtigen Fall zuschustern möchte und deshalb das Denkmal eines Herzogs stiehlt, kommt es zu ungeahnten, aber irgendwie auch üblichen Komplikationen.

    'Hände hoch oder ich schieße' ist eine Klamotte, nicht mehr, nicht weniger. Sie hat witzige Einfälle und manche sind auch wirklich zum lauten Lachen. Aber eigentlich entspricht der Film vom Grundgehalt her Wolfgang Staudtes 'Die Herren mit der weißen Weste' von 1970. Beides flott inszenierte Komödien mit charmanten Seitenhieben auf Gott und die Welt.

    Jedenfalls erscheint die DEFA-Produktion uns heute so. Natürlich gibt es für die SED anzügliche Sprüche hinsichtlich 'Denkmal vom Sockel stoßen' oder über Selbstkritik, über Kriminalität im Sozialismus usw. Aber das scheint alles relativ harmlos, mehr einem mittelmäßigen Kabarettprogramm aus der Bundesrepublik von 1965 vergleichbar. Das Problem lag wohl eher in den Stellen, die wir heute nicht mehr kennen. Nach dem Rohschnitt wurde der Film zur Abnahme vorgelegt und stieß auf ein entschiedenes 'Nein'. Also schnitt der Regisseur 22 besonders problematische Stellen heraus, was man dem Film heute immer noch anmerkt. Die sind leider verloren, so dass bei der Rekonstruktion 2008 nur noch das wieder entstehen konnte, was wir heute sehen. Da sind noch genügend Pointen drin, aber was den Film wohl so bissig und auch so 'staatsgefährdend' gemacht hat, ist heute nur noch zu erahnen.

    Schaut man heute 'Die Herren mit der weißen Weste' fragt sich am Ende des Films, warum man das eigentlich gemacht hat. Und tröstet sich damit, dass es gerade durch Martin Held, Agnes Windeck, Rudolf Platte oder Heinz Erhardt einfach wirklich herrlich köstliche Momente gab. Genauso erging es mir mit 'Hände hoch oder ich schieße'. Das ist alles seicht und klamottig, aber dann gibt es trotzdem diese Momente. Diese Momente, in denen man laut lacht und die, in denen man sich über den kabarettistischen Mut von damals wundert.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • DDR 1966, Regie: Jürgen Böttcher

    Neorealismus und Nouvelle Vague standen Pate, aber auch zu 'Permanent Vacation' von Jim Jarmush gibt es, natürlich ungewollt, Beziehungen.

    Alfred (Rolf Römer), gerade auf Urlaub, kann mit seinem Leben nicht so richtig etwas anfangen. Mit seiner Frau Li (Monika Hildebrand) lebt er in Scheidung, aber auch das ist ziemlich unklar. Die Kamera begleitet nun beide auf ihrem schwankenden, unsteten Leben durch einige Zeit.

    Der einzige Spielfilm des Malers und Dokumentarfilmers Jürgen Böttcher ist ganz stark von dem Versuch geprägt, ein realistisches, fast dokumentarisches Bild einer Generation um die 20 zu zeigen. Die Kamera begleitet eigentlich nur, beobachtet, ist immer sozusagen auf Augenhöhe mit dem Geschehen. Dabei wird sie ganz leicht und fließend eingesetzt, so dass kaum jemals die Idee einer Inszenierung auftaucht. Das bewirkt aber vielleicht auch, dass eine Identifikation mit den Protagonistin nicht so richtig funktioniert. Man erlebt, aber man lebt nicht mit ihnen. Es bleibt eine gewisse Distanz. Trotzdem ist es ein ganz faszinierendes und für die DEFA sicherlich auch ungewöhnliches Experiment, was zeigt, was alles hätte möglich sein können, welche unglaubliche Bandbreite der Spielfilm der DDR hätte aufweisen können, wenn man ihn denn gelassen hätte.

    Bis auf eine Szene mit einem Kaderfunktionär weist eigentlich nichts daraufhin, dass der Film in der DDR spielt. Genauso hätte er auch in der Bundesrepublik produziert werden können, was ihn mit Sicherheit schon einmal verdächtig machte. Dazu kam dann noch ein Lied von Wolf Biermann (er an der Gitarre, Eva-Maria Hagen Gesang), das im Film erklingt, obwohl er damals schon Auftrittsverbot hatte. Aber es war v.a. wohl die Figur des Alfreds, der geradezu als 'asoziales Element' von den zuständigen Stellen ausgemacht wurde, was man den Zuschauer nicht zumuten konnte.

    Eine erste Sichtung innerhalb der DEFA führte zu Änderungen, eine Vorführung der Rohschnittfassung zu erheblichen Konflikten, so dass die DEFA den Film selber zurückzog. Noch einen Konflikt mit der Staatsführung wollte man wohl vermeiden.

    Natürlich ging der Film damals gar nicht. Das Porträt eines jungen Menschen und das seiner Freunde, die sich selber nicht finden können, die keinerlei politische Ambitionen haben, für die sozialistische Vorstellungen keine Rolle spielen - undenkbar für die Partei.

    Unabhängig von dieser politischen Problematik bleibt für uns heute ein Film zurück, der gerade in der Frage der Empathie dramaturgische Schwächen aufweist, der aber trotzdem ein unendlich spannendes filmisches Experiment ist und der sich nahtlos einreiht in so viele andere mit einer ähnlichen Thematik, die heute als Kultfilme gelten, nur weil ihnen eine bessere Vermarktung zuteil wurden. Dahinter muss er nicht zurückstehen.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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  • DDR 1965, Regie: Gerhard Klein

    Heutzutage frei ab 6, damals verboten - wie sich die Zeiten ändern. ;)

    Es ist nicht ganz einfach die Geschichte dieses Films wiederzugeben, weil er zu stark 'kastriert' wurde. Ein Strang ist die Geschichte von Olaf (Dieter Mann) und seinem Kumpel Horst (Kaspar Eichel), die als Fabrikarbeiter regulär tätig sind, sich aber trotzdem mehr oder weniger anständig durch das Leben durchschummeln. Später im Film tritt dann die Geschichte von Paul Krautmann (Erwin Geschonneck) stärker in den Vordergrund, einem älteren Arbeiter in der selben Fabrik, der massiv gegen Produktionsmissstände protestiert.

    Gerhard Klein und sein Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase wollten wohl beide Stränge, eher noch mit Betonung auf das Leben von Paul, betonen, aber die Zensur ließ es auch hier wieder einmal nicht zu.

    Insgesamt kritisiert der Film durch die Bank Missstände im sozialistischen Gefüge, zeigt Menschen, die sich aufgrund dieser Situationen bereits abgewandt haben oder daran zugrunde gehen. Schon bei der Rohschnittfassung kam es deshalb zu erheblichen Auseinandersetzungen mit denen, die damals das Sagen hatten. Als der Film dann 1990 endlich in seiner ursprünglichen Fassung restauriert werden konnte oder sollte, fehlten manche Teile. So erkennt man beim Sehen immer wieder Lücken, Sprünge, Auslassungen, die zunächst einmal verwirren. Das muss einem klar sein, wenn man sich den Film anschaut.

    Ob man ihn noch sehen muss - ich weiß es nicht. Historisch ist er wirklich interessant, auch wenn es darum geht, dass Bild der DDR zu vervollständigen. Er ist auch durch die Bank gut inszeniert und hervorragend gespielt. Aber anders als 'Jahrgang 45' ist er kein filmisches Experiment, bzw. wagt sich nicht an eine neue Filmsprache heran. Es ist halt ein wirklich guter Film mit einer historischen Thematik.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Damit habe ich nun die in dieser Box erhaltenen 'Verbotsfilme' der DEFA aus den Jahrgängen 1965/66 durchgesehen und versucht, euch meine Eindrücke dazu zu schildern.

    Natürlich ist die Qualität der Filme sehr unterschiedlich, aber im Großen und Ganzen lohnt sich eine Begegnung unbedingt. Vor allem, wenn man an Film, an Filmgeschichte und auch an deutscher Geschichte interessiert ist. Von daher kann ich jedem 'Filmfreak' diese Box nur noch einmal unbedingt ans Herz legen.

    Sie birgt einen riesigen Schatz an riesigen Talenten und großen Künstlern und zeigt einmal mehr, dass wirkliche Kunst immer jedes Schlupfloch nutzt und nutzen wird, um ans Licht zu gelangen. Kreativität lässt sich nicht kleinkriegen, es sei denn durch brachiale Gewalt.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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  • Stimmenliebhaber machte mich auf einen weiteren DEFA-Verbotsfilm aufmerksam, der nicht in der Box enthalten ist, aber eine Zeitlang in der Arte-Mediathek zu sehen war. Dort habe ich begonnen, ihn zu sehen, mir ihn dann aber sofort als DVD bestellt.

    DDR 1966, Regie: Kurt Barthel

    Warum er in der Box nicht enthalten ist, ist schnell zu erklären. Zur Zeit des Verbots lag er erst in einer Rohschnittfassung vor und erst im April diesen Jahres erfolgte die endgültige Rekonstruktion einer endmontierten Fassung mit teilweiser neuer Synchronisation. Allerdings gab es bereits 2005 eine Art Film-Montage der erhaltenen Fragmente in einer Länge von 118 Minuten und mit Manfred Krug als Sprecher, die aber kommerziell nicht ausgewertet werden sollte. Die jetzt verfügbare Fassung weist noch 68 Minuten auf, hat sich dabei aber wohl stärker am Drehbuch orientiert und bietet immerhin einen mehr oder weniger intakten Film.

    'Fräulein Schmetterling' war von vornherein als 'Experimentalfilm' konzipiert. Er bietet auch in der heutigen Fassung eine für die damalige Zeit seltene Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm, angereichert mit märchenhaften Elementen, mit Traumsequenzen und Pantomime. Dieser bunte Mix holpert manchmal und wirkt nicht immer konsequent, was aber daran liegen mag, dass wir heute nur noch einen Rumpf sehen können.

    Erzählt wird die Geschichte zweier unangepasster Schwestern, die nach dem Tod des Vaters auf sich gestellt sind und in Ost-Berlin einen eigenen Weg jenseits staatlicher Bevormundung und gesellschaftlicher Zwänge suchen. Kurt Barthel selber, aber v.a. das Ehepaar Christa und Gerhard Wolf haben das Drehbuch dazu geschrieben. Und das barg geradezu in jeder Szene Zündstoff pur. Unangepasste Jugendliche, die einen eigenen Weg gehen wollen, die statt bürgerlicher Konvention Poesie suchen, eine sozialistische Gesellschaft, die behördlicherseits nur durch Versagen und Inkompetenz in Erscheinung tritt und v.a. eine versteckte Kamera, die das Alltagsleben des ganz normalen, so gar nicht sozialistisch-heldenhaft auftretenden Durchschnittsbürger filmte - all das ging damals gar nicht. Christa Wolf war auf dem berüchtigten 11. Plenums des ZK der SED wohl die einzige, die in einer Rede die Freiheit der Kunst noch verteidigte, aber auch ihr war klar, dass dieser Film von der ersten Einstellung an absolut keine Chance hatte.

    In der restaurierten Fassung ist er v.a. ein Zeitdokument. Die versteckt gefilmten Passagen geben uns heute einen selten gesehen Einblick in das wirkliche Alltagsleben im 'Arbeiter- und Bauernstaat'. Aber der Film ist trotzdem mehr. Er ist ein wirkliches Experiment, ein Versuch filmisch völlig andere Wege zu gehen und damit ein Beispiel, wie innovativ die 60iger Jahre im Film waren. Dass das alles nur im Ansatz erreicht wird, dass es sich eben filmisch nicht rundet, ist mit Sicherheit dem fragmentarischen Zustand des Materials geschuldet. Trotzdem atmet der Film durchweg Aufbruch, Kreativität und Nonkonformismus (und das nicht nur politisch gemeint). Und wegen all der überraschenden Wendungen macht es schlichtweg Spaß, ihn zu sehen.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

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