Robert Walser und die Abwesenheit

  • Robert Walser und die Abwesenheit

    *15.04.1878 in Biel, Kanton Bern - +25.12.1956 nahe Herisau, Kanton Appenzell

    Leichtsinnig habe ich ja vor ein paar Tagen an einem anderen Ort erklärt, ich würde mal einen Thread zu Robert Walser eröffnen. Nun muss ich dem natürlich nachkommen. ^^ Dabei bin ich dafür eigentlich gar nicht geeignet, fehlen mir bei seinem ersten, von mir gelesenen erstes Werk, den Roman 'Jakob von Gunten' noch ein paar Seiten. Von daher will ich hier auch überhaupt nichts referieren, höchstens ein paar biographische Hinweise aufführen und erste Eindrücke. Ansonsten soll der Faden natürlich v.a. der Diskussion dienen.

    Zur Biographie lt. Wikipedia:

    Sein Vater war Buchbinder, seine 'gemütskranke' Mutter starb bereits, als Robert 16 war. Er selber hatte 7 Geschwister. In Biel besucht er die Schule, das Gymnasium muss aus Geldmangel abgebrochen werden. Nach der Ausbildung in einer Bank arbeitet er kurze Zeit in Basel, später in Stuttgart, dann in Zürich, jeweils in unterschiedlichen Angestelltenbereichen.

    Erste, kurze Prosastücke, Gedichte, Dramolette entstehen und werden veröffentlicht. Ständig wechselt er die Wohnung, auch den Wohnort. 1904 erscheint sein erstes Buch im Insel-Verlag.

    1905 lässt er sich in Berlin zum Diener ausbilden, arbeitet auch eine Zeitlang in dieser Funktion in Schlesien, bevor er 1906 nach Berlin zurückkehrt, wo er die Bekanntschaft einiger Literaten und Verleger macht. 1907 erscheint sein erster Roman 'Geschwister Tanner', gefolgt 1908 von 'Der Gehülfe' und 1909 'Jakob von Gunten'. Bestimmend für sein literarisches Oeuvre werden aber kurze Prosastücke, die er schon in seiner Berliner Zeit veröffentlicht. Walser hat durchaus Erfolg und namhafte Unterstützer seines Werks.

    Trotzdem geht er 1913 in die Schweiz zurück, wird allerdings durch den I. WK von der literarischen Welt in Deutschland abgeschnitten. Wieder Angestelltentätigkeiten, kleine Prosastücke, Wohnungswechsel und lange Spaziergänge.

    Ab 1929 immer stärker auftretende psychische Probleme. Zunächst Aufenthalt in der Heilanstalt Waldau bei Bern, dann ab 1933 bis zu seinem Lebensende in Herisau. Auch dort literarische Produktion, die sogenannten Mikrogramme, weil sie kaum leserlich oftmals nur eine Buchstabengröße von 1mm aufwiesen.

    Am ersten Weihnachtstag 1956 stirbt Walser auf einem seiner langen, einsamen Spaziergänge an einem Herzschlag.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Natürlich ist es irgendwie vermessen, hier einen Dichter vorzustellen, den ich kaum bis gar nicht kenne. Allerdings stellt sich bei Robert Walser die Frage, ob man ihn überhaupt jemals kennen kann.

    Das ist nun das Buch, sein dritter und letzter veröffentlichter Roman, mit dem ich mich gerade beschäftige.

    Zunächst einmal ist es ein Tagebuch, in dem ein pubertierender Jüngling seine Erlebnisse in einer Lehranstalt darstellt, in der junge Menschen v.a. für dienende Berufe ausgebildet werden.

    Aber das ist natürlich nur der äußere Vorwurf. Walser zu lesen scheint mir auf eine ganz andere Reise hinauszulaufen. Erwartet hätte ich, wenn ich nicht schon eine gewisse Kenntnis von Walser gehabt hätte, eine Art Schulgeschichte, wie die Briten sie so sehr lieben und auch wunderbar hervorbringen können. Mit dieser Ahnung über Walser dachte ich aber, dass ich hier auf eine gewisse psychologische Reise auch in mein Innerstes mitgenommen werden würde. Weit gefehlt.

    Walser ist nicht zu fassen. Walser ist das auch, die Handlung und die psychologische Reise, aber dann auch wieder nicht und dann trotzdem noch viel mehr. Walser irrlichtert durch seinen Text, reißt Dinge an, um ihnen dann sofort zu widersprechen, er verliert sich sprachwirrend in seinen Sätzen, ist plötzlich in einer Beschreibung, in einer Charakterisierung einer Person ganz deutlich, verliert dann wieder das Interesse, wendet sich von ihr ab, ihr wieder zu, schwebt erneut durch die Handlung, durch sich, durch seine Mitmenschen, scheint sich dieser Lust hinzugeben und bricht urplötzlich mit einem klaren Statement ab.

    Und dabei ist er tragisch, bitter, witzig, absurd, objektiv - was auch immer. Er ist das alles, nur nicht nacheinander, sondern immer gleichzeitig. Und auch da kann man ihn nicht fassen. Und wenn man denkt: 'Jetzt hab' ich dich.' - ist er sofort wieder in einer ganz anderen Ecke.

    Walser schwebt durch seine Texte, er ist aber auch heimatlos, findet keinen Grund, auf dem er stehen, auf dem er ausruhen kann. Heimat findet er wohl nur in der Sprache und mit der spielt er, lässt sie wirbeln, versucht sie zu greifen, ruft sich selber zur Ordnung, um dann sofort wieder sie und sich loszulassen. Das ist in 'Jakob von Gunten' alles noch beherrscht, man spürt noch den Versuch, einen 'richtigen' Roman zu schreiben. Aber das Vorhaben misslingt.

    Warum lese ich so etwas? Vielleicht gerade, weil es misslingt. Weil ich die Konsequenz faszinierend finde, mit dem sich jemand, schon im 'Jakob', quer zur Zeit stellt, zu den Anforderungen, den scheinbaren Notwendigkeiten und sich hemmungslos dem hingibt, dem er noch vertraut - und auch nicht vertraut. Der Sprache.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Zu Robert Walser kann ich mich nicht kompetent äußern, ich kenne ihn viel zuwenig. Beziehungsweise: meine Beschäftigung mit ihm steht ganz am Beginn, obwohl ich mir sogar, in einem Anfall von Sammelwut und Verschwendung, aber auch einer Vorahnung, das werde irgendwann einmal Früchte abwerfen, seine ganzen "Im Bleistiftgebiet" - Transkriptionen seiner Aufzeichnungen vor kurzem zugelegt habe. Von seinen veröffentlichten Sachen steht hier das Meiste. Es wäre also an sich alles da. Aber er ist kein Autor, in den ich mich reinwerfe, er benötigt (oder ich benötige) Zeit, Ruhe und ein langsames Tempo.

    Mir scheint Walser vor allem ein Meister der kleinen Prosa zu sein. Ein Buch las ich vor kurzem, dieses

    und auch für die 130 Seiten habe ich lange gebraucht. Aber ich fand jedes der Prosastückchen wundervoll. Man kann davon halt nicht 15 hintereinander lesen, jedes braucht seinen Raum Wurzeln zu schlagen und eine hohe Achtsamkeit, sonst ist das schwer zu würdigen... Ein bissl wie bei Scarlattisonaten, Pralinen, Lyrik.

    Walser wird mich weiter begleiten, aber ich bleibe bei den Erzählungen (die einen sehr großen Teil seines Werks ausmachen), und lasse die Romane erstmal beiseite.

    Aber, ohne es begründen zu können, aus dem wenigen was ich von RW kenne habe ich den Eindruck bekommen, es mit einem der Größten zu tun zu haben, aber auch mit einem, der seine Größe gut versteckt hat - vielleicht weil eigne Größe ihn emotional völlig überfordert hätte. (Da gibts überraschende Parallelen zu Kafka, der Walsers Veröffentlichungen sehr genau verfolgt hat).

    Mal sehen wohin das bei mir wächst - - - und wie lange das dauern mag...

    :)

    "Verzicht heißt nicht, die Dinge dieser Welt aufzugeben, sondern zu akzeptieren, daß sie dahingehen."
    (Shunryu Suzuki)

  • Zu Robert Walser kann ich mich nicht kompetent äußern, ich kenne ihn viel zuwenig.

    Na, da haben wir ja etwas gemeinsam. ;)

    Aber er ist kein Autor, in den ich mich reinwerfe, er benötigt (oder ich benötige) Zeit, Ruhe und ein langsames Tempo.

    Das geht mir auch so. Walser ist kein Autor zum Verschlingen. Zum Glück! W.G. Sebald hat in 'Logis im Landhaus' über Walser geschrieben. Ich habe den Text vor 20 Jahren gelesen, aber damals war Walser für mich noch ein völlig Unbekannter. Ich muss das unbedingt nochmal lesen. Aber Sebald hatte ja durchaus eine ähnliche Qualität. 'Flaneur-Literatur', womit ich das Streifen und Abschweifen innerhalb eines Satzes meine, das sich nicht Festlegen, das vom Hundersten zum Tausendsten Kommende. Von daher wird Sebald den Walser wohl gut verstanden haben.

    aber auch mit einem, der seine Größe gut versteckt hat - vielleicht weil eigne Größe ihn emotional völlig überfordert hätte.

    Ich bin mir gar nicht sicher, ob ihm literarische Größe bewusst war, sie ihn interessierte oder ob er wusste, was das alles bedeutete. Vielleicht hat es ihn annähernd in Berlin beeinflusst, hat das Denken daran ihn damals auch beschäftigt. Aber irgendwie zeigt sein Lebenslauf für mich eine permanente Unstetigkeit, so dass 'bürgerliche' Kategorien für ihn immer nur zeitweise, nur sporadisch interessant waren.

    Aber er ist wirklich jemand, der einen, auch wenn man ihn nicht ständig lesen kann, nicht in Ruhe lässt.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Hier übrigens das Buch von Sebald über Walser u.a., das ich meinte.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Sebald geht in seinem Text, den ich jetzt gelesen habe (und den ich nur sehr empfehlen kann) u.a. auf einen Punkt ein, der ihn an Walser immer sehr fasziniert hat, bzw. der ihm bei der Lektüre erst richtig aufgegangen wäre. Nämlich die Gleichzeitigkeit und die Verknüpfung.

    'Langsam habe ich seither begreifen gelernt, wie über den Raum und die Zeiten hinweg, alles miteinander verbunden ist....'

    Bei Sebald selber kann man das ja immer wieder beobachten, wie er z.B. in seinen Sätzen als Flaneur durch unterschiedlichste Bereiche sich treiben lässt, von einem zum anderen gelangt, alles mit einander verbindet und wieder zu sich selber zurückkehrt.

    Ähnliches beobachten ich auch bei Walser und seinem 'Jakob', wobei da wohl erst noch in Ansätzen. Walser greift in einem Absatz ein Thema auf, lässt dann aber seine Gedanken schweifen (schweben, wäre vielleicht das bessere Wort). Assoziationen oder freie Assoziationen trifft es aber nicht, weil er quasi in jedem Satz, in jedem 'Schweben' auch immer wieder sich darin einbindet, seine Verlorenheit, sein Nichtdazugehören, seine Unsicherheit, auch seine Lust an der Selbstqual. Er geht nicht von A nach B nach C. Er geht von A zu sich, dann von B zu sich, dann von C zu sich. Aber auch dabei irrlichtert er weiterhin durch alle Stimmungen, Haltungen, Vernunftsebenen.

    Ein wirklicher seltsamer Text. Nie ist er, der Erzähler zu fassen, immer scheint alles klar und dann ist es doch wieder ganz anders. Als Leser verliert man die Ortung, den eigenen Standpunkt, gerät man geradezu in einen Strudel von Sprache, Worten, Stil und einem Aufblitzen von 'normalem', 'bürgerlichem' Sein, das einem aber sofort wieder unter den Füßen weggerissen wird. Seltsam, aber unglaublich faszinierend und bezwingend. Ich kann langsam verstehen, dass einen Walser nicht mehr loslässt.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!