Stellt mal eure persönlichen Programme vor - ein nettes Spielchen zur Programm-Politik in den Musikhäusern

  • Inwiefern sind Weber und Schubert in der Harmonik ähnlich? Ich würde eher sagen, dass es kaum einen größeren Unterschied geben kann...

    Boulez und Perotin?

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Vielen Dank für die Beispiele!

    Die Polyphonie ist struktureller Kern fast aller seiner Werke [...]

    Mehr noch als bei Beethoven, Mendelssohn und Brahms? Gerade bei Letzterem scheint mir die (extreme?) Bedeutung der Polyphonie nicht minder groß zu sein als bei Schumann. Habe ich vor vielen Jahren bewundernd festgestellt, als ich im Chor das "Deutsche Requiem" miteinstudierte.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Mehr noch als bei Beethoven, Mendelssohn und Brahms?

    Auch Wagner und Bruckner wären hier anzuführen. Im Wesentlichen ist die deutsche Musik des 19. Jahrhunderts stark von der Polyphonie geprägt. Ausnahme wäre hier wirklich Liszt, wobei dieser eher nur partiell der deutschen Musik zuzuordnen ist

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Mehr noch als bei Beethoven, Mendelssohn und Brahms? Gerade bei Letzterem scheint mir die (extreme?) Bedeutung der Polyphonie nicht minder groß zu sein als bei Schumann. Habe ich vor vielen Jahren bewundernd festgestellt, als ich im Chor das "Deutsche Requiem" miteinstudierte.

    Wenn man z.B. Schumanns besagte 2. Violinsonate betrachtet, gibt es dort von vornherein das viertönige Motto d-a-f-d (für den Widmungsträger Ferdinand David) und einen Kontrapunkt. Beides bestimmt dann beinahe das komplette Werk. Die Komposition wird nicht durch polyphone Ideen oder Elemente bereichert oder entwickelt, sondern sie ist ganz und von vornherein aus diesem polyphonen Gedanken gebildet. So etwas gibt es bei Brahms kaum, weil bei ihm statt dessen die Organisation von Tonhöhen-Verhältnissen im Mittelpunkt steht. Das bedeutet natürlich nicht, dass es bei Brahms keine Polyphonie oder bei Schumann keine Intervallgestaltung gäbe, aber dass ganze Werke ihren strukturellen Kern in der Polyphonie haben, ist eben doch charakteristisch für Schumann und nicht für Brahms. Wenn Brahms sich mal dezidiert auf Bach bezieht, wie im Finale der e-Moll-Cellosonate oder des F-Dur-Streichquintetts, dann klingt das fast wie ein Stilzitat, während Schumann sich Bachs Polyphonie ganz zu seiner eigenen Musiksprache angeeignet hat.

  • Nun, wenn ich mir Schumanns Kammermusik anhöre und sie mit der Bachs vergleiche, z.B. Violinsonaten mit obligatem Cembalo, dann scheint mir die Polyphonie bei Bach doch wesentlich dichter und vordergründiger zu sein. Man braucht sich nur die fugierten Schlusssätze dieser Sonaten anzuhören. Ich halte es auch für fragwürdig Kontrapunktik per se mit Bach gleichzusetzen, denn dies ist ja offensichtlich nicht der Fall. Mendelssohn und Brahms beschäftigten sich auch mit Renaissancemeistern und Händel.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Daß...

    Schumann sich Bachs Polyphonie ganz zu seiner eigenen Musiksprache angeeignet hat

    ..., während bei Brahms...

    die Organisation von Tonhöhen-Verhältnissen im Mittelpunkt steht

    ..., nehme ich erstmal nur zur Kenntnis und versuche bei Gelegenheit, dem hörend nachzugehen; von genannten Kompostionen habe ich immerhin Aufnahmen.

    Danke für die Erläuterung! :)

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ich halte es auch für fragwürdig Kontrapunktik per se mit Bach gleichzusetzen

    Das hat auch niemand getan. Dass die Inspirationsquelle von Schumanns Polyphonie in seiner lebenslangen, intensiven Beschäftigung mit Bach, und nicht mit Palestrina, Schütz oder Desprez liegt, kann aber wie gesagt nicht bezweifelt werden.

    Nun, wenn ich mir Schumanns Kammermusik anhöre und sie mit der Bachs vergleiche, z.B. Violinsonaten mit obligatem Cembalo, dann scheint mir die Polyphonie bei Bach doch wesentlich dichter und vordergründiger zu sein.

    Ob sie "dichter" ist, hängt vom Stück ab, "vordergründiger" ist sie in der Tat meistens (nicht immer: In vielen Sätzen der Brandenburgischen Konzerte ist sie z.B. ähnlich wie bei Schumann eher im Zentrum stabilisierend als im Vordergrund agierend). Das hat aber nichts mit ihrer bei Schumann vermeintlich geringeren Bedeutung zu tun. Auch und gerade als strukturbildendes Element bildet sie den Kern von Schumanns Musik. Bezeichnend ist ja, dass er vom Wohltemperierten Klavier als seiner "Grammatik" spricht, nicht als seiner "Sprache". Dass die sich, auch bei derselben "Grammatik", von der Bachs unterscheidet, ist eine Selbstverständlichkeit.

  • Bezeichnend ist ja, dass er vom Wohltemperierten Klavier als seiner "Grammatik" spricht, nicht als seiner "Sprache".

    Mit dem Ausdruck habe ich allerdings in dem Zusammenhang meine Probleme, denn die Grammatik wäre ja die Fugenform: strenger Kontrapunkt meistens mit mehreren Themen, 3-5 Stimmen, Engführung, Umkehrung etc.. So etwas ist auch bei Schumann die absolute Ausnahme. Ich würde deshalb diese Aussage Schumanns nicht zu wörtlich nehmen. Generell würde ich jedenfalls zahlreichen Komponisten des 19. Jahrhunderts, darunter freilich Schumann, eine starke Hinwendung zur Kontrapunktik zusprechen, wobei aber bereits Mozarts Instrumentalwerke oft sehr kontrapunktisch gefügt sind.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Was Schumann mit "Grammatik" gemeint hat, kann man logischerweise am besten an seinen Werken sehen. Dort gibt es zwar auch (und wesentlich häufiger als z.B. bei Brahms) "streng polyphone" Sätze oder Abschnitte, etwa in den diversen Fugen, den "Studien für den Pedalflügel", in der Doppelfuge am Ende des Klavierquintetts usw., aber entscheidend ist die grundsätzlich polyphone Erfindung seiner Werke. Die Polyphonie ist bei ihm allgegenwärtig wirksam, auch und da, wo sie nicht an die Oberfläche tritt wie bei den genannten Stücken bzw. Stellen. Schumann hat als Komponist zweifellos grundsätzlich polyphon gedacht.

  • Schumann hat als Komponist zweifellos grundsätzlich polyphon gedacht.

    D'accord. Jetzt ist allerdings die Frage, ob er so wurde, weil er von Bach gelernt hatte, oder ob ihm Bach so gut gefiel, weil er eben polyphon "dachte". Ich tippe instinktiv auf Zweites.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Das hat auch niemand getan. Dass die Inspirationsquelle von Schumanns Polyphonie in seiner lebenslangen, intensiven Beschäftigung mit Bach, und nicht mit Palestrina, Schütz oder Desprez liegt, kann aber wie gesagt nicht bezweifelt werden.

    Lt. Schumann-Studien 7, 1988 hat u.a. Thibauts Schrift "Über Reinheit der Tonkunst" sein historisches Bewusstsein geschärft und ihm ein vertieftes Verständnis insb. der Werke Palestrinas vermittelt. (Nur so als Kontrapunkt zur intensiven Beschäftigung mit Bach.)

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  • Bachs Kontrapunkt ist hauptsächlich ein imitativer, während ich das bei Schumann nicht so stark heraushöre. Andere Barockkomponisten, etwa Couperin, haben ja auch sehr polyphon komponiert, ohne aber, dass das nach imitativen Kontrapunkt klingen würde (von Ouvertürensätzen abgesehen).

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Ich verstehe ja, dass für einen Pianisten der kontrapunktische Aspekt des Satzes besonders interessant ist, aber es gibt ja wohl verschiedene Blickwinkel auf Schumanns Musik, die nicht nur kontrapunktische Eigenschaften hat. Und der Text aus den Schumannstudien geht dann gleich von "historisches Bewusstsein" Richtung "Reflexionsniveau". Ich gehe davon aus, dass das ein zwischen Bach und Schumann trennender Aspekt ist.

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  • Jetzt ist allerdings die Frage, ob er so wurde, weil er von Bach gelernt hatte, oder ob ihm Bach so gut gefiel, weil er eben polyphon "dachte". Ich tippe instinktiv auf Zweites.

    Beides schließt sich ja nicht aus. These: Schumann hat von Haus aus polyphon gedacht und damit bei Bach seinen Lehrmeister gefunden. Ein bißchen wie die Geschichte vom Huhn und vom Ei?

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Streichtrio der Moderne VI

    Claus Steffen Mahnkopf: Streichtrio (2017) „Con Luigi Nono“
    Leon Schidlowsky: Streichtrio (1990) „in memoriam Luigi Nono“
    Elisabeth Lutyens: Streichtrio (1964)

    - Pause mit Snacks –

    Charles Wuorinen: Streichtrio Nr. 1 (1968)
    Charles Wuorinen: Streichtrio Nr. 2 (2018)
    Teddielein: Satz für Streichtrio (aus Nachlass ~ 1945)

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Streichtrio der Moderne VII

    Ernest Sauter: Streichtrio Nr. 2 (2001)
    Karl Krenek: Streichtrio Nr. 2 op. 122 (1950) „Parvula Corona Musicalis ad honorem Johannis Sebastiani Bach“
    Elliott Carter: Streichtrio (2011)

    - Pause mit Snacks –

    Klaus Huber: Streichtrio (1989) „Des Dichters Pflug - in memoriam Ossip Mandelstam“
    Ernst Krenek: Streichtrio Nr. 1 op. 118 (1949)
    Mathias Spahlinger: "presentimientos" variationen für streichtrio (1993)

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Nun, wenn ich mir Schumanns Kammermusik anhöre und sie mit der Bachs vergleiche, z.B. Violinsonaten mit obligatem Cembalo, dann scheint mir die Polyphonie bei Bach doch wesentlich dichter und vordergründiger zu sein. Man braucht sich nur die fugierten Schlusssätze dieser Sonaten anzuhören. Ich halte es auch für fragwürdig Kontrapunktik per se mit Bach gleichzusetzen, denn dies ist ja offensichtlich nicht der Fall. Mendelssohn und Brahms beschäftigten sich auch mit Renaissancemeistern und Händel.

    Schumann hat sicher auch den Geschmack seiner Zeit bedient.

    Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang Schumanns eigene Aussage zu seinen "Sechs Fugen über B-A-C-H op. 60" (für Orgel oder Pedalflügel). Schumann schrieb an seinen Verleger: "Es ist dies eine Arbeit, an der ich das ganze vorige Jahr gearbeitet, um es in etwas des hohen Namens, den es (sic) trägt, würdig zu machen, eine Arbeit, von der ich glaube, daß sie meine anderen vielleicht am längsten überleben wird.“

    Ich denke nicht, dass dies nur eine werbewirksame Maßnahme war. Aus meiner Sicht gehören diese sechs Fugen (neben den sechs Sonaten Mendelssohns und dessen P+F op. 37) zum Besten für Orgel aus dem deutschprachigen Raum in der ersten Hälfte des 19. Jhds., aber auch jenseits von Deutschland gäbe es kaum Vergleichbares, César Francks große Orgelwerke entstehen etwa ab 1860.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang Schumanns eigene Aussage zu seinen "Sechs Fugen über B-A-C-H op. 60" (für Orgel oder Pedalflügel). Schumann schrieb an seinen Verleger: "Es ist dies eine Arbeit, an der ich das ganze vorige Jahr gearbeitet, um es in etwas des hohen Namens, den es (sic) trägt, würdig zu machen, eine Arbeit, von der ich glaube, daß sie meine anderen vielleicht am längsten überleben wird.“

    An der Begeisterung Schumann für Bach gibt es natürlich absolut keine Zweifel. Er unterstützte alle Initiativen Mendelssohn in Richtung Bachpflege enthusiastisch und hat alle einschlägigen Werke Mendelssohns (Fugen, Orgelsonaten) mit begeisterten Rezensionen bedacht. Zweifellos schätzte er Bach, so wie Mendelssohn, als einen der allergrößten Komponisten ein - auf derselben Stufe wie Beethoven. Die Orgelwerke Mendelssohns und Schumanns waren in der Orgelmusik sicher eine epochale Geschichte. In England hat Mendelssohn die Orgelmusik sogar gleichermaßen wiederentdeckt.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Nur hat sich halt nicht bewahrheitet, dass diese Arbeit alle anderen überlebt hätte - ich fürchte, dass z.B. die Kinderszenen, die ein bisschen weniger nach Kunst der Fuge ausschauen, durchaus lebendiger sind.

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