Marilyn Horne - die Botschafterin Rossinis
Marilyn Horne * 16.01.1934 in Bradford, Pennsylvania, USA
Meisterklasse bei Lotte Lehmann, 1954 Gesang für Dorothy Dandrigde in 'Carmen Jones', ab 1957 in Gelsenkirchen. Dort noch Sopran (Marie im Wozzeck), dann ab den frühen 60iger Jahren internationale Karriere und v.a. Wandlung zum Mezzosopran und Hinwendung zum Koloratur-Mezzo in Partien von Rossini, Donizetti, Bellini, Händel. 2000 letzter Auftritt in der Carnegie Hall.
So weit die dürftigen Daten einer wirklich außergewöhnlichen Karriere. Die Horne wurde zu einer der ersten Vertreterin eines völlig neuen Rossini-Gesangs, die den entsprechenden Hosenrollen eine vokale Brillanz geben konnte, die lange vergessen war und die v.a. damit Erfolg hatte. Die Rossini-Renaissance der 80iger Jahre wäre ohne sie, Sutherland, Caballé kaum möglich gewesen.
Die Stimme der Horne verfügte über einen großen Tonumfang, war kräftig und durchschlagend und ungewöhnlich beweglich. Zudem besaß sie, die Stimme, etwas, was für den Rossini-Gesang scheint mir essentiell ist: Charme und Eloquenz. Und sie verfügte über ein ganz persönliches, sofort erkennbares Timbre.
Gerade im Rossini-Gesang setzte sie Maßstäbe. Sie gab jeder Phrase das wieder, was lange Zeit vergessen schien. Durch ihre vollständige Beherrschung all der technischen Schwierigkeiten, durch die exakte Ausführung der Verzierungen, der kleinsten Notenwerte, durch die Farbigkeit ihres Singens, auch durch die Strahlkraft der Spitzentöne wie der runden, volltönenden Tiefe gab sie den Partien eine plastische Qualität, die an einen Bildhauer erinnert, der durch das Herausarbeiten feiner und feinster Strukturen einem Stein erst das eigentliche Leben verleiht.
Was für Rossini, sicherlich ihre große Domäne, gilt, hat ebensolche Bedeutung für die anderen großen Komponisten des klassischen Belcantos, wie auch für jemanden wie Georg Friedrich Händel, auch wenn sie ihn v.a. in Zeiten gesungen hat, in der Hip noch nicht überall so dominierend war. Aber auch wenn ihr Rinaldo, ihr Tancredi ein Riesenerfolg waren, auch wenn ihr Händel-Recital für mich immer geradezu eine Erleuchtung hinsichtlich dieses Komponisten darstellt, bleibt sie wohl für immer mit Rossini verbunden.
Zusammen mit Sutherland und Caballé machten sie diesen Komponisten wirklich wieder populär, schaffte es, dass sich bestimmte seiner Werke dauerhaft auf den Spielplänen ansiedelten und regte wohl eben auch die Renaissance der 80iger Jahre an, als plötzlich haufenweise grandiose Rossini-Sänger zur Verfügung standen.
Ich selber habe die Horne szenisch leider nie erlebt, 'nur' in einer konzertanten Aufführung der 'Semiramis' zusammen mit Caballé, Araiza und Ramey. Ein wirklich unvergesslicher Abend, als mir zum ersten Mal in Vollendung verzierter Gesang präsentiert wurde. Daneben habe ich sie in verschiedenen Liederabenden erlebt und auch in einem Rossini- / Händel-Konzert zusammen mit Arleen Auger. Sie war in den Liedern wirklich unglaublich gut, v.a. denen von amerikanischen Komponisten. Aber trotzdem wartete man natürlich auf die Zugaben. Und da ging es dann auch immer richtig zur Sache. Fünf, sechs, sieben Zugaben waren die Regel und immer gab es Rossini-Arien dabei und nicht nur eine. Und das waren Offenbarungen in einer Zeit, in der wir in Hamburg nur den 'Barbier' im Repertoire hatten. Die Horne zeigte uns damals die große Welt, die Welt eines Rossini und die Welt des wirklich verzierten Gesangs auf allerhöchstem Niveau.
Vielleicht nun ein wenig Salz in die große Kunst einer wahrlich großen Künstlerin hineingestreut: In diesen Konzerten der 80iger und 90iger Jahre wirkten ihre Darbietungen vielleicht doch ein wenig zu routiniert. Große vokale Kunst, aber immer, wie beim späten Pavarotti, sehr professionell abgespult. Aber das ist jetzt Meckern auf höchstem Niveau und wird ihrer Gesamtbedeutung auch nicht gerecht.
Erwähnen muss man auch noch ihre Erscheinung auf der Bühne. Szenisch, wie gesagt, nie erlebt, aber in den Konzerten, auch hinter der Bühne, war sie unendlich witzig und humorvoll, charmant und zugewandt.
Das Wort der Jahrhundertkünstlerin, des Jahrhundertkünstlers wird schnell und oftmals auch inflationär gebraucht. Im Zusammenhang mit Horne stimmt es aber sicherlich, was einerseits ihre überwältigende vokale Klasse, aber auch was ihre Bedeutung der weiteren musikalischen Entwicklungen angeht. Ich jedenfalls verneige mich vor ihr wegen all der Glücksmomente, die sie mir geschenkt hat.
Wolfram