Nick Cave & The Bad Seeds
“Inspiration is a word used by people who aren't really doing anything.” ― Nick Cave 1)
Nick Cave ist ein Arbeitstier, ein Workaholic. Er ist Sänger, Songschreiber, Dichter, Schriftsteller, Schauspieler und Drehbuchautor. Auch wenn er sich morgens nicht inspiriert fühlt, geht er in sein Büro. Er diskutiert nicht mit sich, er tut es einfach. Wenn er ein Album fertig hat, fängt er gleich mit dem nächsten an. Viele Interviews und sein immenser Output belegen, wie fokussiert und konzentriert Nick Cave bei der Sache ist.
Ein hart arbeitender Mann, der freiwillig 9-to-5 an seinem Schreibtisch sitzt? Wie passt das zusammen mit dem Bild des düsteren, romantischen Prince of Darkness und Untergangspropheten, das man ansonsten von Cave hat?
Nick Cave hat viele Wandlungen in seinem Leben vollzogen. Er ist ein Original und besitzt eine starke, vielschichtige Persönlichkeit. Und er ist ein kreativer, melancholischer Sonderling. Seine Texte sind nicht immer leicht verdaulich, er geht auch dahin, wo es richtig weh tut. Er setzt sich in seinen Songs mit Tod, Religion, Liebe und Gewalt auseinander. Er wurde religiös erzogen, dennoch ist die Frage, ob Gott existiert, für ihn nicht von Bedeutung. Cave ist auf der Suche nach dem tieferen Sinn des Lebens; immer mit dem Bewusstsein, dass am Ende doch nur ein Schicksal für jeden Menschen wartet: der Tod.
Es gibt unzähliges Material über Nick Cave im Internet, sehenswerte Dokumentationen, lesenswerte Interviews, tolles Bildmaterial. Nick Cave scheint alles in einer Person gleichzeitig vereinbar zu machen: Distanziertheit und Offenheit, Unterkühltheit und Warmherzigkeit, Männlichkeit und Androgynität. Je mehr man über ihn erfährt, desto weniger scheint er greifbar zu werden.
Caves Website The Red Hand Files zeugt von seiner Offenheit und Ehrlichkeit; in seiner Musik und eben auf jener Plattform kommt man ihm wohl am nächsten. Die Seite dient der Beantwortung von Fragen der Fans, einer riesigen Bandbreite an Fragen, jeweils künstlerisch und ästhetisch untermalt mit einem Foto oder sonstigem Bildmaterial. Ich habe viele der Antworten gelesen, das sind oft sehr interessante Themen, die auch dank Caves schriftstellerischer Qualitäten gefallen. In der Beschreibung lautet es: „You can ask me anything. There will be no moderator. This will be between you and me. Let's see what happens. Much love, Nick.“
Jetzt sind wir schon mittendrin, aber fangen wir von vorne an.
Nicholas Edward Cave wurde am 22. September 1957 in Warracknabeal, Australien, geboren. Seine Mutter war Bibliothekarin, sein Vater Lehrer für englische Literatur.
„Klein-Nick war viel draußen, hing am Fluß rum, an den Gleisen, meistens mit seinem Freund Eddie Baumgarten. Manchmal fuhr Eddies Vater die beiden in den Busch, gab ihnen ein Sixpack Bier und eine Schrotflinte und befahl ihnen, auf alles zu schießen, was sich bewegte. Sie töteten unzählige apathische, an der Kaninchenpest erkrankte Kaninchen. Mit zwölf haben sie dann einen Saufclub gegründet, wahrscheinlich um das Trauma zu ertränken.“ 2)
Drogen spielten schon früh eine Rolle in Caves Leben, sie sollten ihn über Jahrzehnte begleiten.
Cave ging auf die Kunsthochschule, wollte Maler werden - sie schmissen ihn nach einem Jahr raus. Seine Eltern schickten ihn auf die Caulfield Grammar School in Melbourne, wo er mit Mick Harvey, Rowland S. Howard und anderen Schulkameraden die Band The Boys Next Door gründete. Anfangs hat die Band recht gewöhnliche, geradlinige Songs gemacht; das war in der Post-Punk-Zeit. Shivers, geschrieben von Rowland S. Howard, ist wohl der Klassiker, der noch am bekanntesten ist.
Die Band spielt ihre letzte Show als The Boys Next Door am 28. Februar 1980 in Melbourne; am nächsten Tag fliegen sie nach London. Nach ihrer Ankunft in England ändern sie ihren Namen in The Birthday Party. Sie leben in ärmlichen Verhältnissen, sie hungern und frieren, hausen in einer Kellerwohnung und müssen Tagesjobs annehmen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
„Die Wut entlud sich in der Musik und auf den Konzerten, die zuweilen in Prügeleien ausarteten, Publikum gegen Band. Cave ist den Leuten quasi ins Gesicht gesprungen. Das Ganze entwickelte allerdings eine Eigendynamik. The Birthday Party wurde immer öfter als "die gewalttätigste Band der Welt" angekündigt, und die Leute schienen nur noch zu kommen, weil sie den Wahnsinn sehen wollten, worauf die Band keine Lust hatte, also spielte sie mit dem Rücken zum Publikum.“ 3)
Einer meiner frühen Lieblingssongs mit einem tollen Video ist The Birthday Party - Nick The Stripper (1981). Großartiger Stoff - in jeglicher Hinsicht.
Fantastisch sind auch die Live-Mitschnitte auf Live 81-82. Brachial, furios und leidenschaftlich - ein großartiges, mitreißendes Dokument aus drei verschiedenen Konzerten. — Vielen Dank nochmals @Algabal.
Trotz all der Intensität ging es irgendwie nicht weiter, also zog die Band nach Berlin. Dort waren die Drogen und eine aufregende Musikszene, in der alles möglich schien. Und dort war auch Blixa Bargeld. Cave war von Bargelds ungewöhnlichem Gitarrenspiel begeistert, Bargeld brachte auch einen besonderen Sound und eine gewisse Schärfe in die Band.
Zu den bekanntesten Gründungsmitgliedern von Nick Cave & The Bad Seeds gehörten also im Jahre 1983:
Nick Cave
Blixa Bargeld (bis 2003)
Mick Harvey (bis 2009)
„Cave war da jedenfalls jahrelang wie im Wahn, veröffentlichte ein Album nach dem anderen, ging auf Tour, kam zurück, schrieb neue Songs und einen Roman. Er lebte in einem winzigen Zimmer in der Yorckstraße, schloss sich da über Wochen ein und tippte vor sich hin. Fummelte oft tagelang an einem Absatz rum, weil auf Speed und Heroin.“ 4)
Schaut man sich Fotos aus dieser Berliner Zeit an, sehen Cave und Bargeld wie zwei wunderschöne, aber spindeldürre Vampire aus, denen man kaum zutraute, lange zu überleben. Die Kondition der beiden Musiker muss irre gewesen sein, psychisch wie physisch. Ein Wunder, dass diese lange Liste an Studioalben überhaupt entstehen konnte:
- 1984: From Her to Eternity
- 1985: The Firstborn Is Dead
- 1986: Kicking Against the Pricks
- 1986: Your Funeral... My Trial
- 1988: Tender Prey
- 1990: The Good Son
- 1992: Henry's Dream
- 1994: Let Love In
- 1996: Murder Ballads
- 1997: The Boatman's Call
- 2001: No More Shall We Part
- 2003: Nocturama
- 2004: Abattoir Blues/The Lyre of Orpheus
- 2008: Dig, Lazarus, Dig!!!
- 2013: Push the Sky Away
- 2016: Skeleton Tree
- 2019: Ghosteen
Daneben gibt es mehr oder weniger beindruckende Live-Mitschnitte:
- 1993: Live Seeds
- 2007: Abattoir Blues Tour
- 2008: Live at the Royal Albert Hall
- 2013: Live from KCRW
- 2020: Idiot Prayer (Nick Cave Alone at Alexandra Palace)
Dann noch die beiden Grinderman-Alben (Grinderman und Grinderman 2) und das Carnage-Album von Nick Cave und Warren Ellis aus 2021.
Als Überleitung zum ersten Studioalbum From Her to Eternity aus 1984 hier noch ein kleiner Live-Vorgeschmack auf den Titelsong, an dessen Entstehung die wundervolle, leider kürzlich verstorbene Anita Lane (Text) und Blixa Bargeld (Musik) maßgeblich beteiligt waren.
Nick Cave & The Bad Seeds - From Her To Eternity (Live 1989)
Wer sich gerne zunächst einen Überblick der Arbeiten von Nick Cave & The Bad Seeds verschaffen möchte, dem kann ich die schöne Compilation Lovely Creatures empfehlen. Die Deluxe-Edition umfasst drei CD und eine DVD und spannt den Bogen vom Debütalbum From Her To Eternity bis hin zu Push The Sky Away aus 2013.
Eventuell würde ich gerne die Alben chronologisch vorstellen, hätte aber auch nichts gegen eine chaotische Vorgehensweise, da ich momentan noch Lücken bei den Alben habe. Also her mit Euren Lieblingssongs, Ideen, Eindrücken und Konzerterlebnissen rund um Nick Cave & The Bad Seeds.
Quellen:
- https://www.goodreads.com/author/quotes/38697.Nick_Cave
- Tino Hanekamp, Nick Cave, S. 18
- Tino Hanekamp, Nick Cave, S. 22
- Tino Hanekamp, Nick Cave, S. 25