Antonin Dvorak - aus der alten und neuen Welt

  • Antonin Dvorak - aus der alten und neuen Welt

    Antonin Dvorak *08.09.1841 in Nelahozeves - +01.05.1904 in Prag

    Da stößt man mich nun auf Dvorak, ich höre ein paar Aufnahmen, möchte mich bei Capriccio weiter informieren und - Fehlanzeige. Kein spezieller Thread, der Antonin Dvorak feiert. :neenee1:

    Nun fühle ich mich natürlich überhaupt nicht berufen, irgendetwas Ausführlicheres zu ihm zu schreiben, möchte einfach nur eine Lücke schließen und würde mich freuen, wenn sich hier eine ausgiebige Diskussion zu Dvorak, zu seiner künstlerischen Bedeutung, zu dem, was ihr mit ihm verbindet, auch zu besonderen Aufnahmen anschließen würde.

    Neun Sinfonien, ein Klavier-, Violin- und zwei Cello-Konzerte, von denen v.a. op.105 zum Konzertstandart gehört. Dazu sinfonische Dichtungen, ein Requiem, ein Te Deum, eine Stabat Mater und natürlich ganz viel Kammermusik. Zudem Opern, namentlich 'Wanda', 'Armida' und 'Rusalka', aber auch Klavier- und Orgelmusik oder Lieder. Das Oeuvre Dvoraks ist wahrlich weitgespannt.

    Ich selber habe lange, sehr lange, zu lange kaum Bezug zu ihm gehabt. Gleichwohl war ein Programmpunkt in meinem allerersten Sinfoniekonzert das Violinkonzert op. 53 mit Edith Peinemann. Das gefiel mir damals sehr, ich besaß auch die LP, hörte sie regelmäßig, aber irgendwann rutschte sie aus meinem Bewusstsein weg und Dvorak gleich mit. Erst in den letzten zwei Jahren habe ich ihn ein wenig wieder für mich entdeckt. Natürlich die 'notorische' 9. Sinfonie, aber auch das Requiem, einige Kammermusikstücke und er hat mich neugierig gemacht, auch wenn es noch kein 'Dvorak-Rausch' geworden ist. Übrigens habe ich als eigentlicher 'Opernfreak' seltsamerweise noch nie 'Rusalka' gehört, nicht einmal das berühmte 'Lied an den Mond'. :neenee1: :neenee1:

    Wie empfinde ich ihn? Als ein Moderater, kein radikaler Erneuerer, eher der großen Tradition von Klassik und Romantik verpflichtet, als ein Komponist, der Elemente der Volksmusik mit einfließen ließ, bei dem die Melodie und ihre Verarbeitung große Bedeutung besaß. Aber das ist alles schwieriges Terrain für mich, weil ich so wenig über ihn weiß und bislang so wenig gehört habe.

    Nun also los, die Diskussion ist eröffnet. ;)

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Besten Dank für diese Eröffnung, Wolfram!

    Einzelthreads haben wir hier natürlich schon etliche, die jeder finden kann ... auch wenn es mal einen Kollegen gab, der das nicht konnte ... :versteck1:

    Ich will gar nicht groß weiter etwas schreiben, sondern mich (erst mal vielleicht) auf dreierlei ganz persönlich Sujektives beschränken:

    Zum einen habe ich schon seit Längerem eine primäre Kammermusikphase, was Dvorak anbelangt, und kann mich etwa an dem späten amerikanischen Streichquintett kaum satt hören.

    Das Cellokonzert ist für mich quasi zeitlos.

    Und bei den Sinfonien habe ich schon lange ein Faible gerade für die Fünfte. Weiß nicht, ob das seltsam ist. :D

    :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Ich steige gleich mal mit einer steilen These ein und behaupte, Dvorák ist der Mozart des 19. Jahrunderts - dies allerdings mit der Einschränkung, dass diese Etikettierung nur auf einen gewissen Teil seines Schaffens zutrifft. Werke wie die Bäserserenade op. 44 oder die "facile" Kammermusik für Amateure (opp. 74, 75 und 100) haben außer bei Mozart mMn keine Entsprechung, denn diese Schwerelosigkeit (im Falle der besagten Kammermusikwerke in doppelter Bedeutung) höre ich sonst nirgendwo.

     

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Der Reiz bei Dvorak liegt für mich nicht zuletzt in seiner Vielfältigkeit und Vieldeutigkeit. Man kann ihn klassisch auffassen, romantisch empfinden, in seinem Werk den Inbegriff slawischer Verträumtheit, durchsetzt mit Temperament spüren - aber das sind doch alles nur mehr oder minder leere Schlagwörter. Das Moderne (eigentlich das wirklich Zeitgenössische) liegt ja in diesem Schillern, das immer neue Deutungsrätsel aufgibt, di sich nie ganz lösen lassen. Ich erinnere nur daran, daß auch die "Neue Welt" nicht eindimensional zu begreifen ist, denn damit war nicht nur Amerika gemeint, sondern auch das Armenviertel in der Nähe der Prager Burg (heute eher eine Nobelgegend), dessen Bewohner ihre kärglichen Behausungen jedoch mit Namen veredelten, die bevorzugt das Wort "golden" beinhalteten. Diese unauslotbare Mannigfaltigkeit höre ich auch in Dvoraks symphonischen Dichtungen.
    Es paßt irgendwie dazu, daß die Interpretationsbreite gerade bei Dvorak extrem ausgedehnt ist (Musterbeispiel ist das Largo aus der IX.Symphonie), ohne daß es deswegen solcher Dirigentenausreißer wie Currentzis bedürfte. Oder erliege ich da einer verengten Sicht-, äh, Hörweise? Was meint Ihr?

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Dvorak ist bei mir Basisrepertoire und einer der am häufigsten gehörten "großen Komponisten". Ich lege heutzutage sicher eher eine Dvorak-Symphonie auf als eine von Brahms, Schumann oder Mendelssohn. Und wenn ich wählen müsste zwischen den drei letzten Streichquartetten von Dvorak und denen von Brahms, wüsste ich auch wo meine Priorität läge. Auch bevorzuge ich z.B. Dvoraks "Rusalka" vor jeder Oper, die Brahms nicht geschrieben hat. ;)

    Rusalka ist eine meiner Lieblingsopern. Da empfehle ich die tschechischen Einspielungen von Chalabala oder Neumann. Dem Zauber dieser Aufnahmen kann man sich nur schwer entziehen.

     

    Das Cello- und das Violinkonzert habe ich in -zig Einspielungen, nur mit dem Klavierkonzert fremdele ich noch ein wenig.

    Hier kürzlich gehört:

     

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Es paßt irgendwie dazu, daß die Interpretationsbreite gerade bei Dvorak extrem ausgedehnt ist (Musterbeispiel ist das Largo aus der IX.Symphonie), ohne daß es deswegen solcher Dirigentenausreißer wie Currentzis bedürfte.

    Wo gibt es den Dvoraks 9. mit Currentzis?

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Sehr bemerkenswert finde ich Dvoraks großes Interesse an schwarzer Musik, das in Alex Ross' "The Rest is Noise" geschildert wird und das in einem Artikel Dvoraks' – "The Value of Negro Melodies" (1893, New York Herald) – seinen Ausdruck fand. Dort schrieb Dvorak (laut Ross):

    "the future music of this country must be founded upon what are called the negro melodies"

    Eine Vorahnung, die auf eine Weise wahr wurde, wie Dvorak sie noch nicht erahnen konnte.

    Mein Bezug zu Dvoraks Musik ist ansonsten nicht sehr stark, d.h. zur 7. Sinfonie und dem "Dumky"-Trio op. 90 habe ich eine große Anhänglichkeit, weil sie über LPs meines Vaters zur ersten als Kind bewusst gehörten klassischen Musik gehört. Allerdings hat sich das (bis jetzt) nie sehr intensiv in Bezug auf andere Werke Dvoraks weiterentwickelt. Über den Grund dafür müsste ich nochmal ausführlicher nachdenken...

  • Neun Sinfonien, ein Klavier-, Violin- und zwei Cello-Konzerte, von denen v.a. op.105 zum Konzertstandart gehört.

    Kleine Korrektur: op. 105 gehört zwar auch zum Konzertstandard, es ist das hochgelobte 14. Streichquartett Dvoráks, aber das h-Moll Konzert hat die Opuszahl 95.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Lievber Wieland,

    Mißverständnis! Ich kenne keine IX. von Currentzis, aber wenn er sie irgendwann einspielt, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß er eine eher ausgefallene Deutungsweise liefert. Ich habe ihn nur als Kontrastbeispiel genannt, weil selbst unter den "normalen" Dirigenten die Interpretationen , wie mir scheint, noch weiter auseinanderliegen als durchschnittlich.

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Bei Dvorák ist es, glaube ich, entscheidend, wie wichtig einem das melodische Element ist. Als Melodiker gehört Dvorák wohl zu den drei bis fünf größten Vertretern, oder muss sich eventuell nur Schubert geschlagen geben. Trotzdem ist seine Musik natürlich sehr gut gearbeitet - mMn nach aber nicht immer so stringent wie bei Brahms. Das führt dazu, dass ich Werke, die dann nicht so starke melodische Einfälle haben, nicht sooo gerne mag.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Lieber Felix,

    Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Ein Brahms ist für mich oft zu akademisch. Ich habe nichts auszusetzen, aber irgendwie empfinde ich mehr Kopf als Seele, während bei Dvorak der Gedanke an Akademisches weit weg ist. Eben weil der melodische Faktor so stark ist, "verliert" man sich bei ihm so wunderbar.

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Vielleicht im Zusammenhang mit diesem Thread ganz interessant:

    Andernorts gab es eine von mir gestartete Diskussion über die wichtigsten Werke Dvoráks ("Hauptwerk"), die vielleicht als Orientierungspunkt für manche dienen könnte.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Wie viele Komponisten gibt es, bei denen man, kennt man das aktuelle z. B. im Radio gehörte Werk nicht, eine gute Chance hat, den Urheber zu erraten? Dvorak gehört zu jenen. Das ist womöglich auch im Kreis der Großen eine herausragende Auszeichnung. Zum Erfolg mag Dvoraks besondere Fertigkeit beigetragen haben, das im 19. Jahrhundert aufblühende, damals noch positiv erlebte Nationalgefühl in Gestalt von Volksliedern und entsprechender Rhythmik melodienstark und stilsicher in sein Werk einzuarbeiten.

    Viel wichtiger für mein persönliches Hören ist die mich zu Beginn meiner Klassikzeit überraschende Erkenntnis, dass er alles andere als ein On-Hit-Wonder ist. Die neunte Sinfonie, klar. Super Werk. Aber sonst? Für mich der Dominanz dieser Sinfonie die des Cellokonzerts unter den Konzerten. Vor vielen Jahren gab es in einem Forum jedoch die Frage nach dem liebsten Konzert Dvoraks. Zu meiner Überraschung gab es auch andere Antworten. Ebenso wie die anderen Konzerte sehr hörenswert sind, sind es auch viele weiteren Sinfonien.

    In der Kammermusik gibt es ebenfalls das dominante Streichquartett schlechthin - dachte ich als Anfänger und meinte das Amerikanische. Dann hörte ich die Streichquintett-Aufnahmen mit Richter und den Borodins, lernte ich das Dumky-Trio kennen, kamen die anderen Quartette hinzu (eine günstige, gute Box mit dem Stamitz-Quartett, zuletzt starke Aufnahmen des Pavel Haas Quartets)…

    Auf Dvorak können sich Anfänger wie Fortgeschrittene einigen. Das trifft ebenfalls nur auf wenige andere Komponisten im gleichen Maße zu, behaupte ich kühn. Mozart fällt mir sofort ein. So gesehen gebe ich Felix unbedingt Recht.

  • Ich persönlich fühle mich bei Dvorak immer sehr wohl und gut aufgehoben. Seine letzten beiden Sinfonien dürften zu den meistgespielten und aufgenommenen Werken gehören, die berühmten Slawischen Tänze zählen wohl zu den bekanntesten Kompositionen der klassischen Musik überhaupt. Seine Symphonischen Dichtungen werden zumindest teilweise gespielt.

    Welches Werk ich nun am liebsten höre, kann ich so spontan nicht sagen, aber es gibt immer wieder Momente, an denen ich auch gerne die Rhapsodien mir anhöre. Diese zählen eher zu seinem Randrepertoire, warum auch immer.

    Dvorak lieht vielleicht zwischen Schubert und Brahms. Nicht so auftrumpfend wie Bruckner (wobei die Hörner durchaus - etwa bei der Siebten Sinfonie - ganz schön schmettern dürfen), dafür sehr melodiös und vielleicht nicht so klar gegliedert wie bei Brahms, aber diesem sicher näherstehend als anderen Komponisten. Ich höre ihn gerne.

    Sein Cellokonzert finde ich ganz hervorragend gelungen, wobei sein frühes Cellokonzert A-Dur von 1865 ein Schattendasein fristet. Doch es ist technisch wohl recht anspruchsvoll und auch melodisch bemerkenswert gelungen.

    Mit der Kammermusik habe ich es nicht so, doch bei Dvorak könnte ich schwach werden. Das ein oder andere Werk hatte ich bereits mal gehört, aber die Erinnerungen sind verblasst. Diesen Faden möchte ich auch die nächste Zeit nicht aufnehmen.

    Schön, dass jemand einen allgemeinen Faden aufgemacht hat zu Dvorak.

    Bei den GA der Sinfonien von Kertesz, Kubelik, Rowicki, Suitner, Belohlavek, Libor Pesek und Vaclav Neumann. Jede kann man empfehlen, jeder hat ihre Stärken und Schwächen. Wenn man sich nur auf die beiden letzten Sinfonien konzentrieren mag, wird es noch schwieriger mit der Auswahl. Vielleicht sind die Einspielungen von George Szell mit dem Cleveland Orchestra die "perfektesten" Einspielungen, genau so unter der gleichen Kombination die "Slawischen Tänze", doch auch hier ist die Bandbreite enorm, wie man bereits festgestellt hat. Alternativ Ivan Fischer mit dem Budapest Festival Orchestra bei diesen beiden Werken.

    Dvoraks "Requiem" und sein "Stabat Mater" sind Meilensteine der Chormusik, seine "Messe in D" und sein "Te Deum" habe ich überhaupt nicht in Erinnerung, da dürften andere User sich viel besser auskennen als ich.

    Ich muss in der Tat mal wieder Dvorak hören.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Kleine Korrektur: op. 105 gehört zwar auch zum Konzertstandard, es ist das hochgelobte 14. Streichquartett Dvoráks, aber das h-Moll Konzert hat die Opuszahl 95.

    Kleine Korrektur: Op. 95 ist die Symphonie aus der Neuen Welt, das h-Moll-Cellokonzert trägt die Opuszahl 104.

  • zwei Cello-Konzerte

    sein frühes Cellokonzert A-Dur von 1865

    Irre ich mich oder ist das "Konzert" aus dem Jahr 1865 ein Werk für Violoncello und Klavier? Mithin gibt es im landläufigen Sinn des Wortes "Cellokonzert" wohl doch nur einen Gattungsbeitrag Dvořáks, nämlich das Konzert für Violoncello und Orchester op. 104.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Es ist schon als Konzert gedacht gewesen. Später wurde es - wenn ich mich richtig erinnere - von Günther Raphael orchestriert.

    Ah, danke! Es gibt sogar zwei Aufnahmen dieses "Jugendkonzerts", wie ich gerade sehe:
     

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

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