Oper übersetzt: prima la Verständlichkeit?

  • Habe den "Parsifal" mit der Callas daheim, auf CD, das verschiebt den Charakter der Oper gänzlich

    Aber nicht zu ihrem Nachteil.

    Mir ist der Parsifal und überhaupt der meiste Wagner fast nur noch auf italienisch erträglich. Diese Wagnersprache ist doch im Original einfach nur grauenhaft. Und die meisten deutschen Übertragungen italienischer Opern kranken in erster Linie daran, dass eben nicht ins Deutsche, sondern ins Wagnerische übersetzt wurde. Der genannte Kahlbeck bietet Paradebeispiele dafür.

    Der italienische Parsifal hat außer der Sprache und der fabelhaften Sänger (neben Callas, deren Hang zum Überdramatischen zur Kundry viel besser passt als zu Verdi-Heldinnen, vor allem auch Boris Christoff!) übrigens noch den Vorteil, dass er ordentlich zusammengekürzt ist. :hide:

    Grüße,
    Micha

    EDIT: Fairy schrieb zeitgleich Ähnliches...

  • Zitat

    Mir ist der Parsifal und überhaupt der meiste Wagner fast nur noch auf italienisch erträglich. Diese Wagnersprache ist doch im Original einfach nur grauenhaft.

    leider mit einigen Cuts (da bin ich anderer Meinung), aber dennoch sehr hörenswert. :yes: :yes:

    Aber das ist doch auch ein Reiz: Sich ganz diesen diesen schrecklichen Verbalstümpereien Wagners - mit wonnigen Graus :D - hinzugeben.. :thumbup: diese Fehlleistungen formlich zu goutieren :D .. z.B. im Tristan 3. Akt (ist eher noch harmlos): Bist Du schon tot, lebst Du noch ...... da muss ich immmer ablachen... Wagners Werk ohne diese grauslichen Verbaltiefschläge, mir würde bei Wagner was fehlen..

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Hallo Fairy Queen,
    ich war an sich ein strikter Gegner von Wagner. Das hat sich so nach und nach dann geändert. Ich ging mit einem Kollegen, in Ostberlin in die Staatsoper, es gab Lohengrin, und mich haben die vielen Uniformen im Publikum damals verwundert, und die Sänger, keine Ahnung wer da sang, waren traumhaft gut, also kam mir vor, daß zumindest Lohengrin nicht so arg sei.
    In Wien ging ich dann in die Staatsoper, es gab zunächst Parzifal, und es kam mir alles so feierlich vor, wie in einer Kirche, zumal die Aufführung in memoriam eines dahingeschwebten Dirigenten gegeben wurde.
    Ich sagte mir dann, irgendwie muß Wagner Zauberkräfte haben, eine Art Droge, oder man verdaut ihn, wenn man völlig gelassen ist und viel Kamillentee getrunken hat.
    Wie ich dann mehr oder weniger alle anderen Wagneropern in Wien durchstanden habe, weiß ich nicht, vielleicht ist das Orchester (Philharmoniker auch in der Staatsoper) daran Schuld, weil sein Klang immer weich und geschmeidig ist, und wie sie selbst sagen, im besten Sinne dieses Wortes, a bissal schlampat, eben immer dieser Wiener leichtfüßige Klang, den es m.E. sonst nirgendwo auf der Welt gibt.
    Vielleicht verdanke ich es nur Wien, daß ich Wagner nicht mehr so argwöhnisch verabscheue, anderswo außer eben in Ostberlin habe ich Wagner nie gesehen, möchte ich auch nicht mehr.
    Liebe Grüße eines wohl wider Willen pro Wagner leicht angehauchten mit Wagner in Frieden lebenden Opernfans
    Robert :stern: :mlol:

  • am liebsten ist mir der italienische Tenor im Rosenkavalier.

    Singt der ned in a deutschen Oper italienisch..!

    :boese:

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Zitat

    übrigens noch den Vorteil, dass er ordentlich zusammengekürzt ist. :hide:


    ich mag zwar überhaupt keine Kürzungen in Wagneropern, auch nicht den berühmten Cut im 2. Tristan-Akt, und mich fasziniert die Musik Wagners (Wagner ist aber nicht mein Lieblingskomponist) immer wieder. Aber es verschafft mir fortlaufend eine klammheimliche Freude, wenn über Wagners Werke mal so richtig wieder schön abgelästert wird :thumbup: . also z.B. über sprachliche Unzulänglichkeiten seiner Drehbücher und deren besser klingenden Übersetzungen ins Italienische oder Englische. Wäre ein eigener Thread wert z.B. Titel: "Wagners Opern - Vom Erhabenen zur Lächerlichkeit ist es nur ein Schritt" . :thumbup:

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Liebe Queen,

    Globalisierung, Sprachkenntnisse der Sänge, das sind alles serh gute Argumente,denen ich auch sofort zustimme aber mein wesentliches Argument gegen eine Übersetzung von Oper ist rein musikalischer Natur!

    Komponisten pflegen sich etwas beim Aus-Komponieren von Texten zu denken und zwar sowohl im Hinblick auf den Klang der Vokale, die Phrasierungen, die Farben.

    Nun ist es ein gewaltiger Unterschied ob ich als Conte z.B. "Crudel perché finora fammi languir cosi" oder "Warum lässt Du mich schmachten...." singe!

    Wenn man singt, erlebt man das ganze besonders hautnah und ist manchmal mehr als erstaunt, was sich Herr XY bei iener Phrasierung gedacht hat- wenn man nciht weiss, dass es sich um eine schnöde Übersetzung handelt!

    komischerweise wird vom Sprechtheater so gut wie nie verlangt, dass Stücke ausschließlich in Originalsprache aufgeführt werden sollen. Dabei kann mir niemand weismachen, dass z.B. Shakespeare nicht den Klang der englischen Sprache mitgedacht und mitgestaltet hat. Trotzdem werden seine Stücke in verschiedensten Übersetzungen, jedenfalls in Deutschland in der Regel auf deutsch aufgeführt. Ich finde das im Theater, egal ob beim Sprechtheater oder in der Oper, auch höchst plausibel. Dass Sänger dann möglicherweise verschiedene Texte lernen müssen, ist natürlich über alle Maßen bedauerlich und diesen sensibelsten aller Künstler eigentlich nicht zuzumuten, aber wenn das auf der anderen Seite dazu führt, dass der Ensemblegedanke wieder Priorität vor dem Stargehabe bekommt, soll mir das nur Recht sein. Natürlich enthalten viele Original-Libretti feine sprachliche Details, die sich gar nicht, oder nur mit starken Einschränkungen übersetzen lassen, nur: Was nützen diese Details, wenn kaum ein Zuhörer gut genug italienisch oder gar russisch, tschechisch usw. spricht, um auch nur die Handlung in allen Details zu verfolgen, von besagten sprachlichen Feinheiten ganz zu schweigen? Umgekehrt beherrschen ja auch die Sänger nicht immer die gesungene Fremdsprache wirklich perfekt, singen mit mehr oder weniger starkem Akzent, können jedenfalls kaum die letzten sprachlichen Feinheiten adäquat präsentieren. Von "Originalsprache" kann da manchmal kaum die Rede sein. Die Übertitelung ist ein Notbehelf, der - zumal für die Zuhörer in den vorderen Reihen - nicht unerhebliche Risiken für die Halsmuskulatur birgt ;+) . Jedenfalls keine Ideallösung. Und dass die CD-Industrie nicht für jede Landessprache eigene Einspielungen herausbringen kann, ist wahr, hat aber mit der Praxis an den Opernhäusern exakt gar nichts zu tun. Ich plädiere deshalb gerade bei Stücken mit schneller Handlung, mit Sprachwitz usw. eindeutig für Übersetzungen. Die hier vorgebrachten Beispiele, schlechter Übersetzungen sprechen nur dafür, statt dessen bessere zu machen oder zu nehmen. Du hast selbst den Figaro an der Komischen Oper in der deutschen Textfassung von Werner Hintze und Bettina Bartz erwähnt (ich fand übrigens die Regie von Barrie Koskie sehr gut!), die wesentlich stärker war, als die überlieferte (z.B. "Will der Herr Graf den Tanz mit mir wagen" statt "... ein Tänzchen wohl wagen", usw.).

    Mir geht es jedenfalls mit dem Amor so, dass die frz. Version einen total anderen Klangcharakter hat und der Person eine andere Farbe gibt als die italienische, die ich vorher konnte. Eine Oper in zwei verschiedenen Sprachen gesungen bleibt niemals dieselbe Oper.

    Und beim Orphée war das noch vom Komponisten legalisiert und gewollt!

    Eben: Der Komponist hat beide Sprachen zugelassen. Also kann wohl seine Musik nicht so sehr sprachgebunden sein, wie Du oben behauptest.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Zitat
    wenn das Wort vieler Komponisten gilt - „Wort geht vor Musik“ - und man es wörtlich nimmt

    welcher Komonist hat das gesagt?


    Hallo Bustopher,

    bitte sehe es mir nach, dass ich mich jetzt nicht in meine Bücher vergrabe und kein intensives Quellenstudium betreiben möchte. Nur so viel:

    Ich möchte in diesem Zusammenhang an den alten und immer wieder aufflammenden Disput „prima la musica, e poi le parole“ bzw. „prima le parole, poi la musica“ erinnern.

    Des Weiteren erinnere ich an Monteverdi und seinen Ausführungen über das Rezitativ und die Deklamation; die Vorherrschaft des Rezitativs in der florentinischen Musik um 1600; an Gluck, der ein Gleichmaß beider Komponenten wollte, im Zweifel der Wortdramatik den Vorzug gab (?); an Wagner; ggf. an Strauss (s. a. Oper: "Capriccio" [ohne Entscheidung für eine Komponente?]); z. T. an Verdi und zumindest an einige Veristen.

    Darüber hinaus verweise ich auf den Theoretiker Plato: Musik sei zuerst Sprache, dann Rhythmus und schließlich Klang, dessen Intention und Postulat einige Komponisten des Barocks nacheiferten (siehe auch Entwicklung des „recitar cantando“). Beispielhaft ist das von Giulio Caccini entwickelte „sprezzatura“. Dieses Prinzip erlaubt es dem Sänger u. a. die rhythmische Genauigkeit zu vernachlässigen, um den Notenwert nach dem Sinn der Worte zu bestimmen.

    Bis dann.

  • 11Um das hier (und auch anderswo) so beliebte Wagner-Bashing im Bezug auf seine Texte mal zu unterlaufen, möchte ich nur darauf hinweisen, dass es sich bei den Libretti primär um funktionale Texte handelt, die im Zusammenhang mit dem von Wagner Komponierten gehört werden sollten. Trotz heute merkwürdig archaisch wirkender Formulierungen, der vielfachen Anwendung des Starbreimes etc. besitzen sie bei genauerem, vorurteilsfreiem Hinsehen durchaus poetische Kraft und oftmals eine erstaunliche Komplexität, die sich aber nur dem erschließt, der sich eingehend mit ihnen beschäftigt. Nicht umsonst hat ja gerade der Regisseur Sven-Eric Bechtolf den gesamten "Ring"-Text auf CD als Hörbuch herausgebracht, damit man sich einmal beim Hören nur auf den Text konzentrieren kann. Sicher erreichen Wagners Texte nicht die Höhen der Lyrik Goethes oder Hölderlins, aber besser als viele Libretti aus südlicheren Gefilden, die oft nur ein dürftiges Gerippe für den wohlklingenden musikalischen Überwurf abgeben, sind sie allemal.

    Noch zu den teilweise grauenhaften deutschen Übersetzungen à la Kalbeck: Die (mittlerweile leider vergriffenen) rororo-Opernbücher
    bieten immer eine sehr gute, neu erarbeitete Übersetzung, welche sich möglichst nahe am Original bewegt, auch wenn sie dadurch an Sanglichkeit einbüßt.

    :wink:

    GiselherHH

    P.S.: Hätten wir ein Mitglied, das in anderen Foren unter den Namen "Brighella", "Moischele" und "Friedmund" eine zweifelhafte Bekanntheit erlangt hat, so hätte es spätestens jetzt auf seine in einem bekannten Stuttgarter Verlag erschienenen Übersetzungen hingewiesen... :rolleyes:

    "Er war verrückt auf Blondinen. Wäre Helga auch noch adlig gewesen, der gute Teddy wäre völlig durchgedreht."

    Michael Gielen über Theodor W. Adorno, der versucht hatte, Gielen seine Frau auszuspannen.

  • Zitat

    Sicher erreichen Wagners Texte nicht die Höhen der Lyrik Goethes oder Hölderlins, aber besser als viele Libretti aus südlicheren Gefilden, die oft nur ein dürftiges Gerippe für den wohlklingenden musikalischen Überwurf abgeben, sind sie allemal.

    Dieser Meinung schließe ich mich gerne an. Wagners Operntexte weisen vielfach Wendungen auf, die uns angesichts ihrer Zeitgebundenheit heutzutage befremden, und manchmal greift der Dichterkomponist auch wirklich daneben, aber summa summarum befinden sich diese Textvorlagen (vor allem im Falle des Tristans und der Meistersinger) auf einem gedanklich-sprachlich hohen Niveau (ob man mit den Aussagen und Formulierungen im einzelnen einverstanden ist, steht auf einem anderen Blatt).

    Im frühen 20. Jahrhundert gab es durchaus erfolgreiche Versuche, den Meistersinger-Text ohne Musik als reines Theaterstück aufzuführen. Mit den Libretti zu diversen Verdi- und Pucciniopern hat man das aus guten Gründen nicht probiert.... -

    In Bezug auf das Haupthema des Threads hänge ich mich auch gerne an einen Vorredner, nämlich diesmal an Christian Köhn. Er hat hervorragend begründet, warum ich bei manchen fremdsprachigen Opern eine Aufführung in deutscher Übersetzung wenigstens ab und an als Alternative zu den heute fast nur noch zu erlebenden Produktionen im originalen Idiom für sinnvoll erachte. Die Musik einer Oper folgt nicht nur einer Sprachmelodie, sie deutet auch den Sinn des gerade Gesagten (und sei es auch noch so banal) aus. Und wenn ich diesen Sinn nicht mitbekomme, weil gerade in Tschechisch gesungen wird, fehlt mir einfach etwas Wesentliches. Übertitel sind da in der Tat ein Notbehelf, weil sie nicht nur zur Nackenstarre führen, sondern nach meiner Erfahrung auch die Konzentration auf die eigentliche Aufführung deutlich mindern.

    Viele Grüße

    Bernd

  • 11Um das hier (und auch anderswo) so beliebte Wagner-Bashing im Bezug auf seine Texte mal zu unterlaufen, möchte ich nur darauf hinweisen, dass es sich bei den Libretti primär um funktionale Texte handelt, die im Zusammenhang mit dem von Wagner Komponierten gehört werden sollten. Trotz heute merkwürdig archaisch wirkender Formulierungen, der vielfachen Anwendung des Starbreimes etc. [...]

    Hast meine Zustimmung - abgesehen von dem Punkt, daß Wagner eben nicht gestabreimt, sondern nur Alliterationsgeklapper fabriziert hat. Aber das hatten wir schon anderenorts in einem anderen Forenzeitkontinuum zu genüge... :D

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Ok, Ok! Aber Wagner ist halt kein Schulmeister und verfährt bei seiner Auffassung von "Stabreim" nach dem bekannten Motto aus den "Meistersingern":

    "Wie fang ich nach der Regel an? - Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann."

    :wink:

    GiselherHH 1

    "Er war verrückt auf Blondinen. Wäre Helga auch noch adlig gewesen, der gute Teddy wäre völlig durchgedreht."

    Michael Gielen über Theodor W. Adorno, der versucht hatte, Gielen seine Frau auszuspannen.

  • Die übelste mir bekannte deutsche Sprachfassung eines fremdsprachigen Originallibrettos ist die deutsche Carmen-Übersetzung von Julius Hopp aus dem 19. Jahrhundert, die bis in die 1960er Jahren praktisch allen Aufnahmen in deutscher Sprache zugrunde lag. Die ist tatsächlich eine echte Pein für die Ohren. Gnadenlos wird auf "treues Herz" "süßer Schmerz" gereimt, und das leider nicht nur einmal. Don Josés letzte Zeilen vor Carmens Leiche lauten "Seht mich hier, blutgerötet, - Ja, ich hab sie getötet! - Ach, Carmen! du mein angebetet Leben!" Da schüttelt es mich wirklich schon beim Lesen, mal ganz abgesehen davon, dass das auch inhaltlich nicht mehr viel mit dem Originaltext zu tun hat. Das Schlimmste ist aber, dass in dieser Übersetzung der Text komplett quer liegt zu der Musik. Der Übersetzer zieht seinen Knüppelreim geradezu gewaltsam durch. Ob ihm bei seiner Arbeit die Komposition gegenwärtig war, darf bezweifelt werden.

    Ohne Zweifel gibt es Übersetzungen, die schön sind, Übersetzungen, die treu sind, und Übersetzungen, die weder das eine noch das andere sind. Viele seit langem gebräuchliche Übersetzungen, gerade von beliebten Opern, gehören in die letzte Kategorie. Sie sind schlicht unästhetisch, weil sie literarisch schwach und nicht auf die Musik abgestimmt sind. Noch dazu kommt eine Tendenz zur inhaltlichen Verharmlosung. Auch da ist Hopps schmalzige Carmen-Übertragung ein abschreckendes Beispiel.

    Ich teile die Auffassung, dass nicht Übersetzungen generell ein Problem sind, sondern schlechte Übersetzungen. Wenn man aber durch die Übersetzung ein direkteres Erlebnis des Zuschauers herbeiführen möchte, sollte man auch sicherstellen, dass die Übersetzung gut ist. Sonst erreicht man nämlich das Gegenteil des Gewollten und Carmen mutiert zu einem Werk des Biedermeier.

    Libretti übersetzen ist nicht einfach, da der Übersetzer sowohl Verständnis für den Text als auch für die Musik haben muss. Vielleicht ist die größte Schwierigkeit, dass werkgeschichtlich in aller Regel das Originallibretto am Anfang der Oper steht. Stimmungen und Empfindungen, die die Musik vermittelt, sind im Idealfall auf den zugrunde liegenden Text abgestimmt. Der Übersetzer muss versuchen, den Weg rückwärts zu gehen. Das bedeutet nicht, dass Libretti generell nicht übersetzbar sind, sondern nur dass weniger Freiheiten bestehen als bei Texten, bei denen die musikalische Komponente nicht vorhanden ist.

    Wie schwer es der Übersetzer hat, ist natürlich auch vom Werk abhängig. Don Pasquale oder Rossinis Barbier würde ich mir auch ohne Bedenken in einer Übersetzung anschauen. Andererseits gibt es aber auch Werke, bei denen mir die Komposition geradezu textgezeugt erscheint. Pélleas et Mélisande kann ich mir zum Beispiel nur schwer in einer anderen als der Originalsprache vorstellen. Janacek sagt man, ohne dass ich selbst das beurteilen könnte, auch zumindet eine Tendenz zur Unübersetzbarkeit nach. Nach meinem persönlichen Eindruck wird es aber auch bei Puccini problematisch. Wenn ich Motive nehme wie "Manon Lescaut mi chiamo" oder "Oh, mio babbino caro", scheint mir die Musik derart selbstverständlich auf die Sprachmelodie des gesprochenen Italienisch komponiert, dass sich hier meines Erachtens Musik und Text nur schwer trennen lassen, ohne dass es holprig wird. Ich will nicht ausschließen, dass sich auch die genannten Zeilen überzeugend übersetzen lassen. Mir allerdings fehlt dafür die Phantasie.

    Dass das Übersetzen allerdings dann sinnlos ist, wenn man keine Sänger zur Verfügung hat, die den übersetzten Text verständlich artikulieren können, ist ein anderes Thema. Dass deutsch gesungene Opern seit einigen Jahren immer öfter deutsch übertitelt werden, hat nämlich durchaus einen Grund.

  • Meine Lieben!

    Es gibt aber auch positive Ausnahmen:


    Franz Werfel übersetzte Verdis "Macht des Schicksals", leider wir diese Übersetzung nicht mehr verwendet, ist sie doch bei einmaliger Schönheit, aber wahrscheinlich deshalb.

    Marcel Prawy schreibt, berechtigt, diese Übersetzung reicht an das italiensche Libretto heran, und ist zeitweise sogar schöner. :juhu: :juhu:

    Jede deutsch gesungene LP oder CD nimmt die schlechtere Übersetzung, auch wurde nach 1938 bis 1956 nicht die Werfel Übersetzung,an der Staatsoper, genommen.

    Franz Werfel wa rein glühender Verdi-Anhänger und ich kann jedem nur empfehlen, diese Übersetzung sich zu besorgen.

    Liebe Grüße sendet Euch Euer Peter aus Wien. :wink: :wink:

  • Du hast selbst den Figaro an der Komischen Oper in der deutschen Textfassung von Werner Hintze und Bettina Bartz erwähnt (ich fand übrigens die Regie von Barrie Koskie sehr gut!), die wesentlich stärker war, als die überlieferte (z.B. "Will der Herr Graf den Tanz mit mir wagen" statt "... ein Tänzchen wohl wagen", usw.). Viele Grüße,
    Christian

    Lieber Christian,

    bin sehr froh, dass Du diese Übersetzung ansprichst, denn sie, wie auch diese Inszenierung, hat voll mein Herz getroffen und selten ging ich (2x) so glücklich aus einem Opernhaus wie da, obwohl ich bis dahin auch die Originalsprache, ganz besonders beim Figaro, als MUSS empfand. Klar, wenn man italienisch kann, dann hat man den wunderbaren Vorteil des Verstehens natürlich sehr oft und da hätte ich an Fees Stelle auch massive Vorbehalte bei jeder Übersetzung, mag sie noch so gut sein. Sie hat aber auch nicht die Originalbesetzung gehabt, was in dem Fall die Freude schon im Vorhinein minderte, glaube ich.
    Die Übersetzungen von Frau Bartz und Herrn Hintze sind aber auch wirklich nicht mit denen der bekannten Reclamhefte zu vergleichen und jede für sich Kunstwerke, da wirklich Takt für Takt nach der Musik erarbeitet, flott, frech, passend für die heutige Zeit, aber nicht sinnentstellend. Das ist auf jeden Fall sehr harte Arbeit, aber nachdem die Beiden ein sehr gut eingespieltes Team sind, klappt das wohl schon seit vielen Jahren prima und sie sind erfolgreich. Schade ist nur, dass man da keine kleinen Heftchen hat, um diese Texte zu konservieren (müßten natürlich in einer anderen Farbe sein :D )

    Ganz wichtig ist natürlich, dass an der KOB sehr sehr textverständlich gesungen wird, bis auf eine mir bekannte Ausnahme (Armida :whistling: ), aber da war die Ablenkung bei der Premiere wohl auch unter den Sängern zu groß ;+)

    Liebe Grüße
    Ingrid

  • Lieber Christian, wie tröstlich ist es doch , dass Instrumentalisten in nur einer Sprache spielen müssen und sich mit solchen Problemen übersensibler Sänger erst gar nicht weiter auseinanderzusetzen brauchen! :rolleyes:

    Kann man das nicht mit anderen Parametern im Instrumentalbereich vergleichen und dann ein anderes Verständnis dafür entwickeln?

    Z.B. verschiedne Anschlagstechniken, die die Finger automatisieren und die zu wechseln ein deutlicher Unterschied ist?

    Da ich kein Pianist bin, kann ich da nur im Dunkeln stochern.

    Was es mit "Sensibilität" zu tun haben soll, wenn ein international tätiger Sänger es als Zumutung empfindet, eine Oper in allen Landessprachen draufzuhaben, weiss ich nämlich nciht, aber das war auch nicht mein ,sondern Bustophers Hauptargument.(wobei er m.E. da vollkommen Recht hat)

    Mein Hauptargument ist die Klanglichkeit der Sprache im Verhältnis zur Komposition und die Melodie einer Sprache an sich im Bezug zu einem in eben dieser Sprache komponierten Werk .

    Ein Eugen Onegin in russisch ist eine andere Oper als ein Onegin in deutsch oder französisch.

    Hier geht nun wirklich um Sensibilität, nämlich die für den Charakter einer Sprache.

    Eine Übersetzung ist auch somit ein musikalischer Eingriff und wenn man den hinnimmt und für das kleinere Übel hält , ist dagegen nichts einzuwenden- man sollte das aber dann bitte so zugeben und kennzeichnen.

    Beim Sprechtheater empfinde ich das ähnlich und bevorzuge das Original. Ich bin da nur eher zu Kompromissen bereit, weil es wenigstens keine Musik gibt, die von ienem Komponisten eigens an die Sprache angeglichen wurden, sondern "nur" die Melodie der Sprache selbst gefragt ist.

    In Opern, die in zwei Sprachen vom Komponisten(wie Glucks Orphée oder Donizettis Fille du regiment oder Verdis Don Carlo) konzipiert waren, gibtes Änderungen im Notentext, die aber der Komponist meistens selbst legitimiert hat.

    Das Glucks italienischer und frz. Orphée zwei Werke mit verschiedenem Charakter sind , ändert das nicht


    Und auch wenn das für Instrumentalisten wahrscheinlich schwer verständlich ist: es ist für einen Sänger ein himmelweiter Unterschied, ob er einen Orphée in frz. oder italienisch singt.

    Ich glaube sogar, dass es gute frz. Orphées gibt, die in italienisch weniger gut sind und umgekehrt. Siehe unser Thread zum frz Opernstil/Opernsprache, den Areios gestartet hat.

    Wenn aber eine Übersetzung dazukommt (z.B. ein deutscher Orphée) die nicht vom Komponisten an den Text angepasst wurde und so unorgansich ist wie Vieles , was es leider in diesem Übersetzungssektor gibt,(Werner Hintze kann ja leider nciht überall sein ;+) ), wird das eine Zumutung. Vor allen Dingen für die Musik.


    Aber wie gesagt: von wenigen Ausnahmen abgesehen, die ich als Probebühnen und "Biotope" durchaus wertschâtze, hat der internationale Opernbetrieb all das schon lange kapiert und in der Praxis spielen gesungene Opernübersetzungen eine Nebenrolle.

    Auch an den MHs werden in der Opernausbildung "nur" die Hauptopernsprachen verlangt und allein das ist für normalbegabte Studenten schon eine ganze Menge.

    MHs, die verlangen, dass ein Student z.B. den Figaro auch in deutsch und englisch und französisch draufhat oder sogar in spanisch, portugiesisch, niederländisch, japanisch und kisuaheli muss man mir erstmal zeigen. :stern:


    F.Q.


    Für mich sind Übertitel eine gute Lösung, für diejenigen, die sich nicht vorher mit den Inhalt befassen möchten.

    Auch da sind natürlich gute übersetzungen wichtig und gefragt.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • ,(Werner Hintze kann ja leider nciht überall sein ;+)


    MHs, die verlangen, dass ein Student z.B. den Figaro auch in deutsch und englisch und französisch draufhat oder sogar in spanisch, portugiesisch, niederländisch, japanisch und kisuaheli muss man mir erstmal zeigen. :stern:

    F.Q.

    Liebe Fairy,

    internationale Stars zu bekommen, ist natürlich schwierig, wenn man in o.g. Sprachen singen sollte, aber das könnte dann ja jedes Opernhaus für sich entscheiden, welche Prioritäten es setzen möchte. Weiß nur, dass Herr Hintze total der Meinung war, dass der Holländer, der ja zuerst in Russland von Herrn Konwitschny inszeniert wurde, mit den russischen Sängern auch in ihrer Sprache noch viel besser geworden wäre.

    Liebe Grüße
    Ingrid

    PS. Die KOB hat ja nun die neueste Übersetzungsanlage in den Sesselrücklehnen.

  • Dass das Übersetzen allerdings dann sinnlos ist, wenn man keine Sänger zur Verfügung hat, die den übersetzten Text verständlich artikulieren können, ist ein anderes Thema.

    Das halte ich auch für ein gewichtiges Argument gegen deutsche Übersetzungen (und da existiert ein sehr großer Unterschied zum Sprechtheater).

    Werner Hintze kann ja leider nciht überall sein ;+)

    :mlol: :mlol: :mlol:
    Aber in dieser Frage würden mich seine Anmerkungen sehr interessieren (obwohl das sicher noch mehr ein Reizthema wäre als Schostakowitsch). Ich hatte gerade in den Kölner Meistersingern die Erfahrung, daß ich mehrfach darauf angesprochen wurde, daß doch so wenig textverständlich gesungen werde - ich hatte das gar nicht so empfunden, aber ich kenne den Text auch mittlerweile nahezu auswendig. These: Wenn die Textverständlichkeit flöten geht, bleiben die (guten) Argumente für deutsche Übersetzungen auf der Strecke.

    PS. Die KOB hat ja nun die neueste Übersetzungsanlage in den Sesselrücklehnen.

    Macht die dann ggf. Rück-Übersetzungen? Ich nehme doch nicht an, daß die KOB jetzt anfängt, nicht-deutsche Opern in Originalsprache zu produzieren!

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • Hello Queen,

    Lieber Christian, wie tröstlich ist es doch , dass Instrumentalisten in nur einer Sprache spielen müssen und sich mit solchen Problemen übersensibler Sänger erst gar nicht weiter auseinanderzusetzen brauchen! :rolleyes:

    Du glaubst gar nicht, mit welchen Problemen der Sensibelchen ich mich schon so rumschlagen musste :wacko: ! Aber lassen wir das...

    Kann man das nicht mit anderen Parametern im Instrumentalbereich vergleichen und dann ein anderes Verständnis dafür entwickeln?

    Z.B. verschiedne Anschlagstechniken, die die Finger automatisieren und die zu wechseln ein deutlicher Unterschied ist?

    Hm, vielleicht könnte es damit vergleichbar sein, dass ich in jedem Konzertsaal andere, teilweise extrem unterschiedliche Flügel spielen muss?

    Was es mit "Sensibilität" zu tun haben soll, wenn ein international tätiger Sänger es als Zumutung empfindet, eine Oper in allen Landessprachen draufzuhaben, weiss ich nämlich nciht, aber das war auch nicht mein ,sondern Bustophers Hauptargument.(wobei er m.E. da vollkommen Recht hat)

    Wer sagt eigentlich, dass Sänger in allen Ländern gleichermaßen auftreten müssen? Bühnenschauspieler machen das doch in der Regel auch nur, wenn sie die entsprechende Landessprache sprechen. Beim Startheater von Netrebko und co. leuchtet mir das ja noch ein, aber warum muss man an einem durchschnittlichen Opernhaus in einer deutschen Großstadt oder gar in der Provinz den Gepflogenheiten einiger weniger international tätiger Sängerstars folgen? Das künstlerische Potential dieser kleineren und mittleren Häuser liegt doch gerade in stimmigen Ensembleleistungen, die im Idealfall weit mehr als die Summe der Einzelleistungen sein können. Von festen Ensemblemitgliedern kann man m.E. sehr wohl erwarten, dass sie eine neue Übersetzung einstudieren.

    Mein Hauptargument ist die Klanglichkeit der Sprache im Verhältnis zur Komposition und die Melodie einer Sprache an sich im Bezug zu einem in eben dieser Sprache komponierten Werk .

    Ein Eugen Onegin in russisch ist eine andere Oper als ein Onegin in deutsch oder französisch.

    Hier geht nun wirklich um Sensibilität, nämlich die für den Charakter einer Sprache.

    Eine Übersetzung ist auch somit ein musikalischer Eingriff und wenn man den hinnimmt und für das kleinere Übel hält , ist dagegen nichts einzuwenden- man sollte das aber dann bitte so zugeben und kennzeichnen.

    Wo ist das Problem? Meist wird einfach angekündigt, wenn auf deutsch gesungen wird, und immer kann man sich problemlos danach erkundigen. Das ist bei anderen üblichen "musikalischen Eingriffen" nicht so: Striche, eigene Kadenzen und Koloraturen, Transpositionen usw., alles das kommt vor, und alles das greift wahrlich nicht weniger in die Partitur ein als eine gelungene Übersetzung. Wenn die Aufführung dadurch besser wird, ist mir das alles Recht. Und gerade Aufführungen bzw. Aufnahmen des "Onegin" in sogenannter "Originalsprache" lösen bei muttersprachlichen Russen häufig je nach Gemütslage Verzweiflung oder ungestüme Heiterkeit aus. Dennoch auf dieser sogenannten "Originalsprache" beharren wird da wohl nur noch der, der sie nicht versteht. Gehts noch paradoxer?

    Viele Grüße,

    Christian

  • Meine Lieben,

    Zum Problem ein Zitat von Marcel Prawy, der ja oft damit konfrontiert war: Puccini-Opern auf englisch klingen italienischer, asl wenn sie italiensich gesungen werden. Wenn Sie aber "Kiss me, Kate" auf deutsch übersetzen wollen, müssen Sie wissen, wo Sie Zugeständnisse machen müssen..., denn die deutsche Sprache verträgt so viele Reime nicht...Bernstein sagte mir, "West Side Story" sei auf deutsch besser als auf englisch. Das ist eine Schmeichelei. Nach meinem Gefühl habe ich bei meinen Übersetzungen 40 Prozent des Originals eingefangen, und das ist sehr viel!

    Liebe Grüße
    Waldi

    ______________________

    Homo sum, ergo inscius.

  • Zitat

    komischerweise wird vom Sprechtheater so gut wie nie verlangt, dass Stücke ausschließlich in Originalsprache aufgeführt werden sollen.


    Das ist natürlich völlig korrekt. Man kann allerdings dagegen einwenden, daß Oper einen wesentlichen Parameter mehr hat als Sprechtheater: die Musik. Man kann ja beim Sprechtheater schlecht auf den Text verzichten. Bei der Oper stellt sich die Frage, welches Gewicht das Publikum den beiden Parameter Musik bzw. Text und Handlung zuweist. Nun wird es kaum jemand geben, der nur des Textes halber in die Oper geht, aber vermutlich doch einige (vorsichtig formuliert!), die der Musik halber kommen und dem unmittelbaren Textverständnis im Konfliktfall gegebenenfalls auch weniger Wert beilegen. Von dorther rührt ja auch die regelmäßige Verärgerung vieler Besucher, wenn die Regie (die sich ja nun zwangsläufig nur auf Text und Handlung bezieht) in die musikalische Substanz eingreift.
    (Oder etwas unernst: Bei einem Konzert gehen ja auch höchst wenige hin, um die Handlung auf dem Podium anzusehen....)


    Im übrigen ist es im Prinzip falsch, bei Opernlibretti von "Übersetzungen" zu reden. Korrekter wäre "Nachdichtung", da es in der Regel keine reinen Prosatexte sind, bei denen es nur auf den Inhalt ankommt, sondern die Anzahl der Silben und idealerweise auch das Metrum des Originals sollten möglichst beibehalten werden sollten, damit es keine Konflikte mit der Komposition gibt.

    Aber auch schon reine Prosa-Übersetzung ist schwierig genug. Ich habe da mein ganz persönliches Schlüsselerlebnis.:Ich habe mal just for fun eine Übersetzung von Wayne Anthonys The Clowns' Macbeth angefertigt, eine turbulente Travestie auf Shakespeares Drama. (Seither weiß ich, daß sich manche Dinge schlechterdings nicht übersetzen lassen!) Damit der Travestie-Charakter erhalten bleibt, habe ich Dorothea Tiecks klassische Shakespeare-Übersetzung als Arbeitsgrundlage genommen. Irgendwann bin ich an einen Punkt gegelangt, an dem ich nicht mehr weitergekommen bin, da die beiden Texte völlig divergente Aussagen enthielten. Ein Blick in eine Shakespeares Folio-Ausgabe hat mir dann echt die Augen geöffnet: Im Vergleich zu Shakespeares Sprachgewalt ist Tiecks Übertragung ein Text aus der Gartenlaube, nicht nur in inhaltlicher und sprachlicher Verharmlosung, sondern über ganze Passagen hin sogar sinnentstellt, falsch übersetzte Vokabeln inklusive.

    Seither bevorzuge ich fremdsprachige Literatur inkl. Sprechtheater im Originaltext, falls es eine mit geläufige Sprache ist. Übertragungen nehme ich nun allenfalls als notwendiges Übel hin, weil es halt hierzulande schwierig ist, z.B. Shakespeare in englisch zu sehen. Das ist allerdings meine ganz persönliche Einstellung. Ungeachtet der Tatsache, daß es AUCH gute Übertragungen gibt.


    Damit vielleicht einmal zu einem konkreten Beispiel, Richard Strauss' Salomé:

    Zitat

    "Wie gut ist es, in den Mond zu sehen. Er ist wie eine Blume, kühl und keusch. Ja, wie die Schönheit einer Jungfrau, die rein geblieben ist."


    heißt es im Lachmann-Text. Notabene: der Mond ist im Französischen weiblich, das wäre in der Aussage etwas schlüssiger... Aber das nur am Rande.

    Das Problem beim deutschen Text : Aus der ursprünglichen Religionskritik Wildes, in der Jochanaan der eigentlich "Böse" ist (und Salome durchaus naive Kind-Frau), wurde über die (schlechte) englische Übersetzung, die die Grundlage für die stellenweise sinnentstellende Lachmannsche Nachdichtung ist (der Hinweis in der Reclamausgabe von 1990 "aus dem Französischen" ist definitiv falsch!) bis hin zur Berliner Reinhardt-Inszenierung von 1902 genau das Gegenteil: Die zunehmende sexualitätsbezogene "femme-fatalisierung" Salomes und gleichzeitige "Verunschuldigung" Jochanaans. Fixierung auf weibliche Brutalität.Seitdem ist Jochanaan das Opfer und Salomé die Böse und ihr Tod am Ende gerechte Strafe. Dämonisierung weiblicher Sexualität, der Grenzen gesetzt werden müssen. Strauss´ geniale Umsetzung seiner Vorlage hat diese Sichtweise zementiert. 1905 mag man vielleicht in weiten Kreisen sogar so gedacht haben. Ob diese Betrachtungsweise auch heute noch zeitgemäß ist? Es liegt in der Natur der Sache, daß die Zankereien der 5 Juden und der 5 Nazarener in die übliche deutsche Fassung "irgendwie" nicht hineinpassen, das sind offenkundige Fremdkörper in diesem Personendrama. In der tiefschwarzen Originalfassung geben sie allerdings einen Sinn. Herodes ist mit seinem abschließenden Urteil ("tuez cette femme!") bei Wilde der weltliche Arm des religiösen Fundamentalismus, der sogar posthum noch "funktioniert". Und: Die staatliche Macht hat Angst vor diesem Fundamentalismus. Das hätte eine frappierende Aktualität. (Und weiter: Oscar Wilde ist makaberer Weise selbst Opfer dieses weltlichen Arms des Fundamentalismus geworden...)

    Strauss hat das auch erst später erkannt. Er schreibt, er wäre...

    Zitat

    "...von der irrigen Annahme ausgegangen, daß Frau Lachmann den Text wörtlich übersetzt hätte"

    Er ging dabei von der ebenfalls irrigen Zusatzannahme aus, daß der englische Text das Original wäre.

    Konsequenterweise hat er daher auch eine französische Fassung geschrieben, wobei er den brillianten französischen Originaltext von Wilde zugrundelegte, was ihn dann (wegen der erheblichen Unterschiede in der Aussage!) jedoch beträchtliche Arbeit bei der kompositorischen Adaption gemacht hat. Da diese "Originaltextfassung" allerdings keinen Erfolg hatte (weil die erste Salomé ja schon zum "Schlager" geworden war!), wurde 1909 zur ursprünglichen deutschen Opernfassung einfach der Lachmanntext ins Französische rückübersetzt, was den Zusatzeffekt hatte, daß die Sänger nur(!) den neuen Text lernen mußten, nicht aber die Gesangsrolle. Man kann nun ohne große Schwierigkeiten Wildes Original mit der Version vergleichen, die aus der Übertragung ins Englische, von dort ins Deutsche und wieder zurück ins Französische entstand… Sehr aufschlussreich...

    (Die "Originaltextsalome" wurde meines Wissens nur einmal noch inszeniert, 1989 in Lyon.)

    So kann's gehen, mit übersetzten Operntexten…
    Jetzt lag die "Übersetzung" im konkreten Fall sogar vor der Realisierung der Komposition vor. Normalerweise ist es anders herum....

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!