Oper übersetzt: prima la Verständlichkeit?

  • Das geht aber von der Annahme aus, dass man jede Fremdsprache beherrscht, in der man was lesen will, und dann würde man ja auch viel verpassen, weil man eben nur eine begrenzte Anzahl an Sprachen können kann. Die häufige Kritik an Übersetzern kann ich nicht nachvollziehen. Übersetzer haben jahrlang eine anspruchsvolle Berufsausbildung, und gute Übersetzer achten ja darauf, eine Übersetzung zu produzieren, die möglichst viel vom Werk in unsere Zeit/Kultur transportiert, sodass für heutige Leser ein möglichst authentischer Eindruck ensteht. Natürlich ist das eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.

    Volle Zustimmung bie jedem Punkt. Und ja, ich bewundere Übersetzer ungemein.

    Ich lese auch eigentlich nur englische und deutsche Sachen. Der Stanislav Lem hat mich wieder darin bestätigt, dass ich mich wirklich Frage, was ich da alles verpasst habe. Es war trotzdem interressant, aber so ganz glücklich war ich mit der Sprachsache nicht.
    Nun kann man sagen, dass man sowieso nie alles mitbekommt, selbst in der Muttersprache, weil man ja nicht unbedingt das Hintergrundwissen hat. Naja , das ist ein weites Feld.

  • Im Bezug auf peinlich muss ich genauso sagen, dass es natürlich persönlich ist, was man peinlich findet. Aber das Ende von Otello wäre so ein Beispiel für mich.

    Auf Deutsch will ich nicht unbedingt so was hören, dass er noch einen einzigen Kuss haben will. Klingt etwas banal. Aber auf Italienisch! Oh, da schwingen Welten

    Wo ist denn da der Unterschied? Er sagt dasselbe. Und zwar in der Muttersprache des Komponisten und seines Publikums. Für diese Leute schwingen da überhaupt keine Welten mit, die in einer deutschen Übersetzung nicht auch mitschwingen würden. Es wird nur auf eine nebelhafte Weise schöner, weil man es nicht versteht. Allerdings haben die Komponisten in der Regel nicht beabsichtigt, dass man es nicht versteht, und deshalb den Text in der Sprache des Publikums oder in einer, die der Gebildete gut beherrschte vertont. Denn wenn man damit rechnen muss, dass die Leute mangels Verständnis die Feinheiten der Textvertonung nicht wahrnehmen können (und die kann man nicht wahrnehmen, wenn man die Sprache nicht sehr gut beherrscht, nicht nur ihren Wortschatz und ihre Grammatik, sondern so, dass man auch winzige Abweichungen in der Intonation bemerken und deuten kann), dann kann sich der Komponist diese Mühe ja auch sparen. Und dass man dies auch ohne Kenntnis der Sprache intuitiv erfassen könnte, kann nur behaupten, wer nicht weiß, wovon die Rede ist.

  • Eben! Für mich ist es ganz klar: Ich höre fremdsprachige Opern üblicherweise lieber in einer Sprache, die ich verstehe, eben weil nur die Muttersprache richtig ins Herz geht.

    Es hängt immer davon ab, welche ursprüngliche Sprache ins Deutsche übersetzt wurde. Als in anfing in die Oper zu gehen, wurde Eugen Onegin noch auf Deutsch gegeben und ich hatte keine Probleme damit, während mir bei dieser deutsch gesungene Falstaff-Aufführung (abgesehen davon, dass man eh nicht jedes Wort versteht) es alles recht hölzern vorkommt und diese ungeheure italienische Geschmeidigkeit und Leichtigkeit schlichtweg fehlt. Natürlich muss ich dann Abstriche machen, aber das muss jeder für sich selber entscheiden. Grundsätzlich habe ich Probleme mit französischen oder italienischen Opern, die nun in Deutsch gegeben werden, während ich Wagner auf Italienisch ganz faszinierend finde, weil es diesen Werken für mein Ohr eine andere Dimension hinzufügt. Aber es bleibt alles sehr persönlich und dem eigenen Geschmack unterworfen.
    Wenn fremdsprachige auf Deutsch, dann muss aber auch gewährleistet sein, dass es sich um eine wirklich gute Übersetzung handelt. Ich kenne solche Übersetzungen meistens dank GA's oder Querschnitten aus den 50iger und 60iger Jahren und da sind die Übersetzungen, um auf der musikalischen Linie zu liegen, oftmals sehr - naja - gewöhnungsbedürftig.

    https://www.youtube.com/watch?v=2gqd76IQXsQ

    Aber ich weiß, dass es viele anders sehen, daher wäre natürlich eine Mischung aus originalsprachlichen Aufführungen und Aufführungen in Landessprache am besten.

    Das wäre sicherlich die beste Lösung, ist aber im normalen Opernalltag nicht mehr gewährleistet und sicherlich auch nicht mehr praktikabel. Welch ein Luxus daher in London, dass sie mit der ENO eine dauerhafte Alternative anbietet.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Um auf den Film zu kommen. Grundsätzlich versuche ich diese immer im Original zu sehen, es sei denn ich habe Probleme mit dem Klang der jeweiligen Sprache(mein Problem). Das hängt mit verschiedenen Gründen zusammen, ist aber eigentlich nicht prätentiös. Englisch und Französisch, weil ich beide Sprachen trainieren möchte (es gibt ja zum Glück Untertitel), weil sich bei älteren Filmen das Original oftmals sehr von der deutschen Übersetzung unterscheidet und weil ich, wenn ich einen Film mit Gielgud, Burton, mit Piccoli oder Cocteau sehe einfach deren Stimme hören möchte und nicht einen anderen Schauspieler, sei er noch so gut. Sprache gehört zum Schauspieler genauso wie seine Gestik und seine Mimik. Ihn davon trennen zu wollen, wäre, als würde man ihn amputieren. Zudem wirkt die Synchronisation oftmals wie ein Fremdkörper (was sie ja auch ist), die sich über den eigentlichen Film legt. Ganz besonders deutlich wird das bei fremdsprachigen Filmen, die während der Nazi-Zeit in Deutschland nicht gezeigt werden konnten und erst in den 50iger, teilweise auch erst in den 70iger Jahren synchronisiert wurden. Da passt dann Ton und Bild für mich gar nicht mehr zusammen.

    Sehe ich dann z.B. einen Film von Carl Theodor Dreyer so sind es trotz ihrer Allgemeingültigkeit zunächst einmal dänische Filme. Und diese dänischen Sujets mit einer anderen Sprache zu kombinieren, nimmt ihnen für mein Verständnis einen Großteil ihrer Wirkung. Werke anderer Länder, anderer Kulturen einzudeutschen (und dank DVD ist das ja nicht mehr notwendig) oder sie überhaupt in eine andere Sprache zu übersetzen, nimmt ihnen eben nicht nur einen Teil der Gesamtwirkung, sondern ist für mich auch immer ein Art von Einverleibung.

    Das geht natürlich nur, wenn z.B. Untertitel angeboten werden können. Ansonsten muss man die jeweilige Sprache können und da kommen wir halt alle an unsere Grenzen. Aber Übersetzungen bleiben Krücken. 'The Importance of Being Earnest' ist einfach mehr als 'Ernst sein ist alles', von 'Ernst ist das Leben' mal ganz zu schweigen. Wenn es also irgend geht, sollte man sich schon durch das Original 'durchquälen'. Das scheitert bei mir meistens an Bequemlichkeit und Unfähigkeit. Aber befriedigend ist das nicht.

    :wink: Wolfram

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  • Die Aufführung in Originalsprache hat natürlich auch den profan praktischen Vorteil, dass es viele Sänger/-innen weltweit gibt, die entsprechende Partien in Originalsprache im Repertoire haben, so dass man sie problemlos besetzen kann. Sänger/-innen, die z. B. Mozart- oder Verdi-Opern in deutscher Übersetzung im Repertoire haben, sind zahlenmäßig deutlich seltener verfügbar.

    Ja, das könnte ein Argument sein. Allerdings könnte man es auch umdrehen und das Star-Theater mit weltweit von einem zum nächsten Haus reisenden Solisten in Frage stellen. In Deutschland war ja (bis zur Intendanz von Barrie Kosky) viele Jahre die KOB das Opernhaus, in dem konsequent auf deutsch gesungen wurde. Ich habe da etliche großartige Aufführungen in wunderbaren Übersetzungen gesehen. Die Freiheit, die im Vorgang des Übersetzens naturgemäß liegt, sehe ich persönlich als künstlerischen Vorteil. Und frag mal einen Muttersprachler, wie "original" denn die angebliche "Originalsprache" auf Opernbühnen eigentlich ist... Ich habe vor ein paar Jahren in Hannover bei einem "Eugen Onegin" in angeblichem russisch zufällig neben zwei Russinnen gesessen, die vor Empörung über die Entstellung ihrer Sprache kaum stillsitzen konnten. Ich vermute, dass das kein Einzelfall ist.

    Ich muss aber sagen ich bin erstaunt, dass Du das in Frage stellts

    Du hast halt eine Behauptung aufgestellt, ohne sie zu belegen. So etwas stelle ich grundsätzlich in Frage.

    Ich will die Originalsprache geniessen und auskosten, selbst wenn ich sie komplett nicht verstehe, denn Sprache hat einen Charakter, beherbergt eventuell Aspekte einer Mentalität UND hat einen eigenen Rhythmus und Klang. Alles Dinge, die man nicht übersetzen kann.

    Das ist auch wieder so eine Behauptung... Aber ich habe schon verstanden: Du findest im Theater Rhythmus und Klang der Sprache so wichtig, dass es egal ist, wenn Du "komplett nichts verstehst". So hat halt jeder seine Prioritäten.

  • Und frag mal einen Muttersprachler, wie "original" denn die angebliche "Originalsprache" auf Opernbühnen eigentlich ist... Ich habe vor ein paar Jahren in Hannover bei einem "Eugen Onegin" in angeblichem russisch zufällig neben zwei Russinnen gesessen, die vor Empörung über die Entstellung ihrer Sprache kaum stillsitzen konnten. Ich vermute, dass das kein Einzelfall ist.

    Nein, das ist kein Einzel-, sondern der Normalfall. Wenn italienisch gesungen wird (in geringerem Maße wenn es französisch oder englisch ist) mag es angehen. Aber was in »originalsprachlichen« Aufführungen als Russisch, Russisch, Tschechisch usw. angeboten wird, ist in aller Regel so beschaffen, dass ein Muttersprachlicher nicht einmal sicher ermitteln kann, in welcher Sprache da gesungen wird.

    Übrigens ist das Argument mit dem schönen Klang der Originalsprache, den man genießen kann, auch wenn man nichts versteht, natürlich Unsinn. Denn der Klang und seine Schönheit ist natürlich an den Sinn des Ausgesprochenen gebunden. Wenn man den nicht versteht, versteht man gar nichts und hat nur ein hübsch klingendes Geräusch ohne jeden Sinn. Es soll freilich nicht wenige geben, für die Musik ohnehin nichts anderes ist als eine schöne Klangtapete. Da stimmt es dann wieder zusammen.

    Aber ich habe schon verstanden: Du findest im Theater Rhythmus und Klang der Sprache so wichtig, dass es egal ist, wenn Du "komplett nichts verstehst". So hat halt jeder seine Prioritäten.

    Ja, das ist ja auch richtig so. Nichts geht über eine Komödie von Ostrowski in russischer Sprache, wenn der Zuschauer kein Wort Russisch spricht. (Übrigens ist das auch für den des Russischen unkundigen Leser so: Die Schönheit der Schrift geht über alles.) Man versteht gar nichts, aber das macht nichts. Man berauscht sich drei Stunden lang an der Schönheit der Sprache und ist dann dem »Originalwerk« auf jeden Fall viel, viel näher, als wenn man etwas verstehen würde. Und zwar vor allem, wenn die Originalsprache von Deutschen geradebrecht wird, die ihre Texte phonetisch auswendig gelernt haben. Gelacht wird dann zwar nicht viel, aber darauf kommt es ja bei einer Komödie nicht so an. (Der absolute Geheimtip ist natürlich Sakuntala auf Sanskrit. Da versteht man mit Sicherheit nicht einmal ansatzweise, was gesagt wird, darum ist der Kunstgenuss maximal.)

  • Als die "Salome" in Paris aufgeführt werden sollte, war die Vorgabe, dass Französisch zu singen sei.

    Richard Strauss hatte gar nichts dagegen, passte aber die Gesangslinien an, damit sie zum übersetzten Text passen.

    Bei solchen Voraussetzungen habe ich spontan keine Einwände.

    Wenn es nur um den Transport der Handlung ginge, könnte man eigentlich auch die Musik weglassen.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Ja, das könnte ein Argument sein. Allerdings könnte man es auch umdrehen und das Star-Theater mit weltweit von einem zum nächsten Haus reisenden Solisten in Frage stellen. In Deutschland war ja (bis zur Intendanz von Barrie Kosky) viele Jahre die KOB das Opernhaus, in dem konsequent auf deutsch gesungen wurde. Ich habe da etliche großartige Aufführungen in wunderbaren Übersetzungen gesehen. Die Freiheit, die im Vorgang des Übersetzens naturgemäß liegt, sehe ich persönlich als künstlerischen Vorteil. Und frag mal einen Muttersprachler, wie "original" denn die angebliche "Originalsprache" auf Opernbühnen eigentlich ist... Ich habe vor ein paar Jahren in Hannover bei einem "Eugen Onegin" in angeblichem russisch zufällig neben zwei Russinnen gesessen, die vor Empörung über die Entstellung ihrer Sprache kaum stillsitzen konnten. Ich vermute, dass das kein Einzelfall ist.


    Ich stimme Dir vollkommen zu. Ich wollte das globalisierte Startheater in der Opernwelt ja auch keineswegs befürworten, sondern einfach feststellen, dass dies ein sehr trivialer Grund für die heutzutage anzutreffende Bevorzugung von Aufführungen in Originalsprache sein dürfte.

    Deine Bedenken bei Aufführungen in einer weniger gängigen Opernsprache (Russisch, Tschechisch) teile ich vollkommen. Das ist dann häufig nur noch eine halbgare phonetische Imitation der Sprache, mit der man Leute zufriedenstellen kann, die die Sprache noch nicht einmal im Ansatz beherrschen. Wer dies nicht glaubt, möge mal eine amerikanische Fernsehserie im Original sehen, in der Deutsch vorkommt. Wenn die Produzenten dafür nicht gerade einen "native speaker" engagieren, klingt das häufig eher wie Charlie Chaplins Deutsch-Imitation im "Großen Diktator" - mit dem entscheidenden Unterschied, dass Chaplin diese Imitation parodistisch intendiert hatte. Wir mussten gerade gestern ein Szene zweimal sehen um zu verstehen, dass die amerikanischen Schauspieler versuchten, ein Gespräch über Brecht darzustellen... Sehr schön auch die Folge von "Scrubs" mit dem deutschen Patienten - der von einem amerikanischen Schauspieler verkörpert wurde, der kein Deutsch konnte. Blöd nur, dass die Hauptdarstellerin Sarah Chalke - die in der Folge mit diesem Patienten zu interagieren hatte - fließend deutsch spricht, was die Sache im Ergebnis noch holpriger gemacht hat. Ich stelle mir dann vor, ich wäre Russe und würde mir die deutschen Gehversuche im Russischen bei einer solchen Opernaufführung antun müssen - autsch!

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Die Aufführung in Originalsprache hat natürlich auch den profan praktischen Vorteil, dass es viele Sänger/-innen weltweit gibt, die entsprechende Partien in Originalsprache im Repertoire haben, so dass man sie problemlos besetzen kann. Sänger/-innen, die z. B. Mozart- oder Verdi-Opern in deutscher Übersetzung im Repertoire haben, sind zahlenmäßig deutlich seltener verfügbar.

    Das stimmt natürlich, aber wo ist das Problem? Es gibt ohnehin zu viele Opernsänger, und ich bin der Meinung, dass die Opernwelt mittlerweile zu globalisiert ist. Daraus ergibt sich natürlich, dass immer mehr Häuser in Originalsprache singen (und dafür in Kauf nehmen, dass das Publikum den Text mitlesen muss).

    Das sehe ich anders. Ein Italiener versteht ja auch genau das, was ein Deutscher/Österreicher bei diesem Text auf Deutsch verstünde.
    Natürlich ist es schwierig, so einen Wagner-Text zu übersetzen, aber meiner Meinung nach ist eine gute Übersetzung besser als keine Übersetzung.

    Das wäre sicherlich die beste Lösung, ist aber im normalen Opernalltag nicht mehr gewährleistet und sicherlich auch nicht mehr praktikabel. Welch ein Luxus daher in London, dass sie mit der ENO eine dauerhafte Alternative anbietet.

    Hmm, das würde ich nicht so sehen. Die Komische Oper in Berlin spielt viel auf Deutsch, die Wiener Volksoper viel auf Deutsch, zeitweise gibts auch übersetzte Aufführungen an anderen Häusern. Wenn man will, geht es ja. Ich finde es super, wenn es da die Wahlfreiheit gibt.


    Weil auch die schlechte Aussprachequalität angesprochen wurde: Ich finde, dass es zu den Merkmalen eines guten Sängers gehört, die Worte richtig auszusprechen, dafür gibt es ja Sprachcoaches etc. Letzens habe ich "An die ferne Geliebte" von Thomas Hampson gehört, und sein ganz deutlich zu merkender amerikanischer Akzent hat mir dann den Rest gegeben, nachdem ich seine Stimme ohnehin nicht sonderlich mag.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Wenn man will, geht es ja.


    Das hat nicht nur mit Willen zu tun, sondern auch mit Sachen wie z. B. einem Budget.

    Ein kleines Opernhaus in der (relativen) Provinz kann es sich vielleicht einfach nicht leisten, aus einem kleinen Kreis von Sänger/-innen einzukaufen, die Standard-Partien in Übersetzung beherrschen. Da ist dann die Verführung groß, das Ding auf Italienisch zu machen und sich im Gegenzug aus einem großen Markt an Sänger/-innen zu bedienen (die ja auch noch gut singen sollen - mit der Beherrschung eines Textes ist es schließlich nicht getan).

    Die KOB ist eine Top-Adresse mit entsprechenden Möglichkeiten, auch was die Qualität der Übersetzung angeht. Solche Voraussetzungen hat man nicht überall.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Als die "Salome" in Paris aufgeführt werden sollte, war die Vorgabe, dass Französisch zu singen sei.

    Richard Strauss hatte gar nichts dagegen, passte aber die Gesangslinien an, damit sie zum übersetzten Text passen.

    Bei solchen Voraussetzungen habe ich spontan keine Einwände.

    Der Fall liegt aber etwas anders: Die Pariser Fassung der Salome ist keine "Übersetzung" sondern verwendet Oscar Wildes französischsprachigen Text. Insofern müsste also eher die deutschsprachige Fassung der Oper als "übersetzt" gelten. Und in Frankreich hat sich meines Wissens schon kurz darauf (jedenfalls noch zu Strauss' Lebzeiten) eine Rückübersetzung der deutschen Fassung durchgesetzt, die den ursprünglichen Notentext wieder möglich machte.

    Wenn es nur um den Transport der Handlung ginge,

    Das hat keiner behauptet. Hier ging es um Theateraufführungen in einer Sprache, die man "komplett nicht versteht". Das sei angeblich sogar gut, weil die Texte ja sowieso oft "peinlich" seien. Das ist typisch für solche Diskussionen: Die Verteidiger der Unantastbarkeit des "Originals" ziehen es im selben Atemzug in den Schmutz, indem sie es z.B. für "peinlich" erklären oder behaupten, es sei überhaupt nicht wichtig zu verstehen, was da eigentlich im Detail gesungen wird.

  • Wenn es nur um den Transport der Handlung ginge, könnte man eigentlich auch die Musik weglassen.

    Unter der Voraussetzung, dass man glaubt, die Musik wäre ohne den Text denkbar und sinnvoll, ist diese Schlussfolgerung durchaus denkbar. Die Frage ist, ob die Voraussetzung stimmt. Dient der Text wirklich nur zum Transport der Handlung? Ist die Musik wirklich nur auf den Klang des Textes bezogen? Spielt die Intonation des Textes für die Komposition gar keine Rolle? Und wenn doch: Kann ich diese Intonation erkennen und verstehen, wenn ich die Sprache nicht beherrsche? Und wenn nicht (was wohl selbstverständlich sein dürfte), kann ich die Musik verstehen, wenn ich eine fundamental wichtige Ebene nicht verstehe?

  • Unter der Voraussetzung, dass man glaubt, die Musik wäre ohne den Text denkbar und sinnvoll, ist diese Schlussfolgerung durchaus denkbar.

    Diesen Bezug verstehe ich nicht, da ich vom Weglassen der Musik sprach, hier aber ein Szenario gedacht wird, in welchem die Musik ohne Text gedacht wird.

    Dient der Text wirklich nur zum Transport der Handlung?

    Das hat niemand behauptet. Sollte diese rhetorische Frage auf mein "Wenn es nur um den Transport der Handlung ginge, ... " bezogen sein, so verweise ich auf die grammatische Funktion des Irrealis, in welchem dieser Konditionalsatz eingeleitet wurde.

    Ist die Musik wirklich nur auf den Klang des Textes bezogen?

    Wer glaubt ernsthaft, dass diese Frage in ebenso sinnleerer Allgemeinheit beantwortet werden könne, wie sie gestellt wurde?
    Als Nicht-Fachmann - und, wer in dieser Diskussion schon vorher weiß, dass er recht hat, scheint ja festzustehen - meine ich, dass der Fall bei Monteverdi, da Ponte/Mozart, Wagner/Wagner, von Hofmannsthal/Strauss anders sein könne als bspw. in der Oper der Generalbasszeit, in welcher bisweilen präexistente Musiken einem neuen Text untergeschoben wurden. - Was nicht heißen soll, dass diese Rekombination nicht mitunter mit großem Geschick und eventuell Anpassungen der Musik vor sich gegangen sein mag.

    Und wenn doch: Kann ich diese Intonation erkennen und verstehen, wenn ich die Sprache nicht beherrsche?

    Was heißt "beherrschen"? Und welches Deutsch müsste jemand, der nicht Deutsch als Muttersprache spricht, kennen, um dem Rheingold, dem Tristan zu folgen? Das fällt ja schon Muttersprachlern schwer.

    In Englisch und Französisch komme ich ganz gut zurecht - wenn ich die Handlung und ihre Schlüsselszenen mit eventuell höherer Text- und Handungsdichte und -komplexität kenne. Das muss ich aber auch im Deutschen vorher wissen. Eine Elektra ohne vorherige Kenntnis der Handlung alleine durch den Vortrag auf der Bühne nachzuvollziehen. stelle ich mir als große Herausforderung vor.

    Im Italienischen geht es so lala - je besser, je öfter ich das Werk kenne und in häuslicher Vorbereitung mit Lektüre von Originaltext und Übersetzung beim Hören verinnerlicht habe. Und ja, von den Monologen von Rigoletto und Iago sollte man mehr als eine Zusammenfassung kennen, um sie hörend in Echtzeit mitvollziehen zu können. Oder um zumindest eine Chance dafür zu haben. Da muss man während des Gesangs den Sinn wortweise verstehen. Ob es jedem Hörer gelingt - wer mag das zu beurteilen? Es gibt Nicht-Italiener, denen dies gelingt.

    Es scheint darüber hinaus so zu sein, dass es Opern gibt, bei denen eine glückliche Übersetzung vorliegt, die in der Praxis funktioniert. Der schon genannte Figaro scheint ein solcher Fall zu sein.

    Philbert hat andernorts schon darauf hingewiesen. dass das Band zwischen Text und Musik in der Oper bisweilen loser geknüpft sein mag als im Lied. So ist es wohl.

    Andererseits bedaure ich es sehr, keine slawischen Sprachen zu kennen und die Werke von Mussorgsky, Dvorak, Smetana, Tschaikowsky, Schostakowitsch und anderen immer nur durch die Vermittlung einer Übersetzung wahrnehmen zu können, die stellenweise mal mehr, mal weniger gelungen ist und dort, wo der Komponist das Band zwischen Text und Musik eventuell enger flocht - sei es, um ein Wort musikalisch zu illustrieren, zu konterkarieren, was auch immer, diesen Bezug nicht wahrnehmen zu können, weil ich den Sinn des Wortes an dieser Stelle, zu diesen Noten nicht verstehe. Mir persönlich wäre wohl in diesen Fällen mit einer Opernaufführung in deutscher Sprache besser geholfen.

    Aber soll ich das egoistisch fordern und damit für andere verhindern, dass sie das Werk mit seinen originalen Kongruenzen von Text und Musik wahrnehmen können? Schwierige Entscheidung.

    Man trifft eine Entscheidung für alle, über die man sich im Voraus eine Meinung gebildet hat.

    Ach ja, das ist ja in der Diskussion hier so ähnlich. Die Meinung über andere steht ja schon fest, also kann man auch für alle entscheiden, was richtig und was falsch ist.

    Und wenn nicht (was wohl selbstverständlich sein dürfte), kann ich die Musik verstehen, wenn ich eine fundamental wichtige Ebene nicht verstehe?


    Was heißt hier genau "verstehen"? Das Werk hat seinen Sinn in sich selbst. Da gibt es nichts zu "verstehen";

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Wo ist denn da der Unterschied? Er sagt dasselbe. Und zwar in der Muttersprache des Komponisten und seines Publikums. Für diese Leute schwingen da überhaupt keine Welten mit, die in einer deutschen Übersetzung nicht auch mitschwingen würden. Es wird nur auf eine nebelhafte Weise schöner, weil man es nicht versteht. Allerdings haben die Komponisten in der Regel nicht beabsichtigt, dass man es nicht versteht, und deshalb den Text in der Sprache des Publikums oder in einer, die der Gebildete gut beherrschte vertont. Denn wenn man damit rechnen muss, dass die Leute mangels Verständnis die Feinheiten der Textvertonung nicht wahrnehmen können (und die kann man nicht wahrnehmen, wenn man die Sprache nicht sehr gut beherrscht, nicht nur ihren Wortschatz und ihre Grammatik, sondern so, dass man auch winzige Abweichungen in der Intonation bemerken und deuten kann), dann kann sich der Komponist diese Mühe ja auch sparen. Und dass man dies auch ohne Kenntnis der Sprache intuitiv erfassen könnte, kann nur behaupten, wer nicht weiß, wovon die Rede ist.

    1. Der Unterschied ist im KLANG und RHYTHMUS der Sprache. Dieses ist Teil der Komposition und man kann es nicht ohne Konsequenzen ändern. Ich möchte das gerade an dieser Bacio Stelle nicht, aber jemand anderes kann es gerne mögen.
    2. Wie willst Du Kuss auf dieselbe Musik singen wie Bacio?
    3. Dass der Komponist für Muttersprachler geschrieben hat, nicht für Leute, die im Flugzeug anreisen mussten, ist ein Argument für meinen Standpunkt, dass man es nicht ohne Kosequenzen ändern kann.
    4. Was für wen mitschwingt und was das für Auswirkungen auf die individuelle Rezeption hat, kannst Du nicht wissen.

    Man kann sehr viel intuitiv erfassen, besonders wenn ein Text mit Musik gekoppelt ist, auch wenn man den genau übersetzten Sinn der Worte nicht kennt. Die Musik hat allein auch eine Aussage.

    Übrigens ist das Argument mit dem schönen Klang der Originalsprache, den man genießen kann, auch wenn man nichts versteht, natürlich Unsinn. Denn der Klang und seine Schönheit ist natürlich an den Sinn des Ausgesprochenen gebunden. Wenn man den nicht versteht, versteht man gar nichts und hat nur ein hübsch klingendes Geräusch ohne jeden Sinn. Es soll freilich nicht wenige geben, für die Musik ohnehin nichts anderes ist als eine schöne Klangtapete. Da stimmt es dann wieder zusammen.

    Der Klang der Sprache und die Empfindung seiner Schönheit ist nicht unbedingt an den Sinn gebunden.
    Es ist auch nicht so, dass Leute, die Sprache einen Musikcharakter zuschreiben, seicht sind.

    Ich kann kein Wort Russisch und finde den Klang der Sprache sehr schön. Bin ich deshalb seicht?

  • Das ist auch wieder so eine Behauptung... Aber ich habe schon verstanden: Du findest im Theater Rhythmus und Klang der Sprache so wichtig, dass es egal ist, wenn Du "komplett nichts verstehst". So hat halt jeder seine Prioritäten.

    Du kannst mir nicht absprechen, dass ich die Originalsprache geniesse und auskoste, ohne sie zu verstehen. Das ist keine Behauptung, das ist meine eigene Erfahrung.

    Der Rest Deiner Kommentare, dass es mir egal sei usw ist so verdreht und desinteressiert an einer sachlichen Unterhaltung, dass ich gar nicht darauf eingehen werde.

  • @Sadko

    mir ging es bei dem Otello Zitat nicht um den übersetzten Sinn der Worte, sondern um das Problem, dass man nun Kuss auf eine Musik singt, die aber für das Wort Bacio komponiert ist.
    Hör Dir die Stelle an, dann weisst Du, dass es schwierig werden könnte. Wo will man zB mit dem Doppel ss in Kuss hin. Und dann fehlt bei Kuss der End-Vokal von Bacio.

    Die Rheigold Stelle ist problematisch, und das sagte ich ja auch, zum einen wegen der Alliterationen, die aber an vielen Stellen wichtig sind, sonst wäre Wagner nicht so besessen auf sie gewesen.

    "Weia! Waga! Woge, du Welle,
    walle zur Wiege! wagala weia!
    wallala, weiala weia!"

    Man kann in einer Übersetzung natürlich die Wortneuschaffungen auf Deutsch stehen lassen, aber der Witz ist doch, dass sie sich aus Welle, Woge und eventuell Wiege ergeben. Wenn man diese Worte übersetzt, dann passt das nicht mehr so einfach zu den deutschen Neologismen.
    Die Neologismen beruhen wohl auf Onomatopoesie. Das neue Wort hat einen eigenen Klang, der aber auch mit auf dem Inhalt des Wortes basiert, von dem es abgeleitet ist. Das hat einen sehr poetischen Effekt und gibt dem Text seine eigene künstlerische Stellung.
    Nun kommt hinzu, dass man natürlich bei Übersetzung auf die Vokal- und Konsonantverteilung auf die Musik achten muss.

    Diese 3 Merkmale dieser Verse sind aber schwierig alle in einer Übersetzung unter einen Hut zu bringen.

    "Weia! Waga! Woge, du Welle,
    walle zur Wiege! wagala weia!
    wallala, weiala weia!"

    Diese Stelle ist von der oberflächlichen momentanen Handlung her erstmal nicht so wichtig, ausser dass sie natürlich einen Aspekt des Rheins beschreibt. Der hat aber nach meinem Verständnis eine unglaublich wichtige Stellung im ganzen Ring, weil er mE für etwas steht. Aber das ist ein anderer Thread.

  • Was mich in dieser ganzen Diskussion über Librettoübersetzungen doch mal interessieren würde: Wie denken denn die Librettisten und Komponisten selbst darüber? Gibt es Äußerungen etwa von Wagner, Verdi, Tschaikowski, Debussy, Strauss und Janáček, die sich dagegen gewehrt hätten, daß ihre Opern auch in anderen Sprachen aufgeführt würden als im Original? Würde mich übrigens wundern, da solche Übersetzungen seinerzeit allgemein üblich waren. Vermutlich gibt es höchstens Beschwerden über möglicherweise mißlungene Übersetzungen - aber auch gegen Übersetzungen generell?

    Aber vielleicht weiß hier jemand Genaueres?

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Die Neologismen beruhen wohl auf Onomatopoesie

    Aus einem Brief R. Wagners an Nietzsche, 12.6.1872:

    Zitat

    Dem Studium Jacob Grimms entnahm ich einmal ein altdeutschen "Heilawac", formte es mir, um es für meinen Zweck noch geschmeidiger zu machen, in ein "Weiawaga", (welches wir noch heute in "Weihwasser" wiedererkennen), leitete hiervon in die verwandten Sprachwurzeln "wogen" und "wiegen", endlich "wellen" und "wallen" über, und bildetet mir so, nach der Analogie des "Eiapopeia" unserer Kinderstubenlieder, eine wurzelhaft syllabische Melodie für meine Wassermädchen.


    zit. nach:
    Eckhard Roch: Das Undine-Motiv in Richard Wagners Dramenkonzeption, in:
    Die Musikforschung, 51. Jahrg., H. 3 (Juli–September 1998), pp. 302-315
    "http://www.jstor.org/stable/41123123"

    E. Roch fährt fort:

    "Woge, du Welle! walle zur Wiege! Wagalaweia!" will folglich nichts geringeres bedeuten als das Wiegenlied, mit dem die Rheintöchter das im geweihten Wasser des Rheins schlummernde Gold in den Schlaf wiegen. Die Wellenbewegung im Rheingold sei gleichsam das Wiegenlied der Welt, notiert Cosima im Tagebuch.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

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